29 April 2019

Der moderne Parallelwelt-Klassiker akustisch

Viele Science-Fiction- und Krimi-Leser kennen den Roman »Vaterland«. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen hatte ich den Bestseller des britischen Schriftstellers Robert Harris nie gelesen – aber ich hörte mir jetzt endlich das Hörbuch an und war von diesem begeistert. Das lag selbstverständlich an der herausragenden Geschichte, ebenso aber an der Präsentation durch den Schauspieler und Sprecher Karlheinz Tafel (er ist leider schon verstorben).

»Vaterland« war tatsächlich der erste Roman, den der Autor veröffentlichte. Es ist eine klassische Alternativweltgeschichte, die zusätzlich Elemente eine spannenden Krimis aufweist. Das Thema liegt für Briten wohl auf der Hand: Gezeigt wird ein Europa, in dem die Deutschen den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben (wie genau das geschehen ist, wird aber so gut wie nicht erzählt).

Die Handlung setzt im Jahr 1964 ein. Hauptfigur ist Xaver März, ein Sturmbannführer, der für die Kriminalpolizei tätig ist. Er wird als typischer Mitläufer eingeführt, der die Darstellungen des Regimes stets glaubt. Er weiß, dass an der Ostgrenze des Deutschen Reiches – also auf der Höhe des Ural-Gebirges – immer noch ein Kleinkrieg mit russischen Truppen tobt. Zwar hat er durchaus seine eigene Meinung, aber er fragt nicht nach.

Als er damit beauftragt wird, den Mord an einem Staatssekretär aufzuklären, wird er schnell in eine riesige Intrige verwickelt. In deren Verlauf trifft er auf eine junge Amerikanerin, er lernt Regimegegner kennen und erfährt, dass vieles von dem, was er bisher glaubte, einfach nicht stimmt.

Robert Harris stellt die Großmacht Deutschland im Jahr 1964 als ein starres Regime dar. An den Grenzen herrscht einerseits Krieg, während man andererseits mit den USA – unter Kennedy – in Verhandlungen steht. Widerstand im Innern wird nicht geduldet, die Gestapo hat eine eiserne Herrschaft errichtet. Riesige Prunkbauten zeigen die Pracht des Dritten Reiches.

Was mit den Juden geschehen ist, interessiert den normalen Deutschen nicht. Sie sind verschwunden, und niemand stellt Fragen. Allerdings kommt Xaver März dem monströsen Geheimnis der Wannsee-Konferenz auf die Spur ...

Es gibt eine Reihe von Kritiken, die Robert Harris vorwerfen, er habe schlampig recherchiert oder stelle das Nazi-Regime falsch dar. Das merkte ich kaum, als ich das Hörbuch anhörte – weil es derart spannend ist, dass ich kaum aufhören wollte.

Die Opfer der Mordserie, auf deren Spur Xaver März kommt, sind allesamt historisch verbürgt. Viele Details in diesem Roman basieren ebenfalls auf Plänen der Nazis oder historischen Tatsachen, die der Autor extrapoliert hat. Allein damit ist »Vaterland« ein Alternativweltenroman par excellence.

Das Hörbuch ist bei Random House Audio erschienen; ich fand es spannend und mitreißend. Bei diesem Stück könnte ich mir sogar vorstellen, dass ich es in einigen Jahren noch einmal anhören werde. Das liegt unter anderem an der ruhigen Erzählstimme: Karlheinz Tafel erzählt auch die härtesten Elemente seiner Geschichte in einem ruhigen Ton, der sie dadurch noch viel schlimmer erscheinen lässt.

Großartig!

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