Nachdenklich nahm ich mein Glas zur Hand, setzte es an und trank einen kleinen Schluck Rotwein. Das passte zum Wetter, fand ich: ein schweres Aroma, das im Gaumen und im Hals verschiedene Geschmacksnerven ansprach. Ich hätte stundenlang dasitzen können, ein Glas Wein in der Hand und den Blick auf den Nebel gerichtet.
Der Mann vom Nachbartisch sprach mich an, riss mich aus meinen Gedanken. »Entschuldigen Sie, verstehen Sie Französisch?«
Ich blickte auf. »Nicht besonders gut«, gab ich zu. »Aber es geht so.«
Er lächelte breit. »Ich habe gehört, dass Sie und Ihre Frau sich in deutscher Sprache unterhalten haben. Deutsch kann ich nicht, nur einige Wörter.« Er räusperte sich. »Guten Tag«, sagte er dann in stark akzentuiertem Deutsch.
»Kein Problem. Mein Französisch wird notfalls ausreichen.«
»Oder geht auch Englisch?«
»Das kann ich besser.«
Er strahlte. »Mein Englisch ist besser als mein Deutsch, Ihr Englisch ist besser als Ihr Französisch. Dann klappt das mit der Kommunikation.«
Wir wechselten ins Englische, und wenn wir da nicht weiterkamen, behalfen wir uns mit Französisch. Während ich mit dem Mann sprach, trank ich immer wieder aus dem Glas. Schnell war es leer.
Einer der Kellner kam auf seinem Gang durch das Restaurant vorüber. Das Bistrot 1954 war sicher nicht hochklassig, aber ich fand das Essen sehr ordentlich und vergleichsweise preisgünstig. Es war eines der zwei Restaurants in der Hostellerie Pointe Saint-Mathieu, in einem der letzten Zipfel der Bretagne gelegen, eher auf Touristen und nicht gerade auf Gourmets ausgelegt, mit schnellem Service und großen Portionen. Das andere Restaurant des Hotels bot Sterneküche-Niveau, hatte man mir gesagt.
»Noch einmal?«, fragte der Kellner und schnappte sich das Glas.
Ich nickte. »Einen Chinon.«
Er nickte ebenfalls und verschwand. Ich nutzte die Gesprächspause, in der der Mann neben mir ebenfalls trank, um noch einmal ins Freie zu schauen.
Die Landspitze war völlig im Nebel versunken. Saint-Mathieu, tagsüber eine schöne Ecke mit Ruinen, Leuchtturm und wenigen Wohnhäusern, zeigte sich nur noch als vernebeltes Stück Dunkelheit. Für einen Gruselfilm altmodischer Machart bräuchte man da keine Kulissen mehr zu bauen.
»Was sind Sie denn beruflich?«, fragte mich mein neuer Gesprächspartner.
Ich beging einen Fehler, der mit im Urlaub eigentlich nie unterlaufen sollte. »Ich arbeite in einem Verlag«, antwortete ich. Und als er nachfragte, fügte ich hinzu: »Ich bin Redakteur.«
Wie es sich herausstellte, erwies sich mein Gesprächspartner, der auf einmal eine Visitenkarte in der Hand hatte, als Schriftsteller. Er schreibe historische Romane, erzählte er mir wortreich, die sich an Kinder und Jugendliche richteten. Sie seien abenteuerlich, er beschäftige sich auch mit der deutsch-französischen Geschichte.
»Das Mittelalter, wissen Sie«, meinte er und zwinkerte mir zu, »also keine historisch heiklen Sachen.«
Der Keller kam vorbei. Ohne mich anzusehen oder ein »Dankeschön« abzuwarten, platzierte er in neues Glas mit Rotwein vor meiner Nase und eilte mit einem Eimer weiter, der bis zum Rand mit dampfenden Muscheln gefüllt war.
Ich nahm einen Schluck, genoss den kräftigen Wein, den ich für das Wetter geradezu ideal fand. Düsterer Sound hätte noch gefehlt, aber aus den Boxen im Bistrot drang irgendwelche Popmusik, die ich nicht einschätzen konnte, die aber viel zu fröhlich und aufgesetzt klang. Ich sah dem Nebel zu, der über die Straße kroch. Der Scheinwerfer des Leuchtturms stach durch die Dunkelheit, wie ein Stern, der sein Licht aus einer fernen Galaxis bis auf unseren Planeten herüberschleuderte.
»Wäre das nicht etwas für Ihren Verlag?«, redete der Mann neben mir weiter. Ich hatte ihn schon fast vergessen. »Ich könnte Ihnen die Bücher zuschicken, dann lesen Sie alles, und dann sehen wir, ob das nichts für den deutschen Markt wäre.«
In Gedanken stöhnte ich auf. Da wollte ich an einem Fenster in der Bretagne sitzen, auf das Meer blicken und die Arbeit hinter mir lassen. Und jetzt saß ich mit einem Autor da und sollte ein Fachgespräch führen.
Ich eierte herum, erklärte dem Mann, dass ich nur für Science Fiction zuständig sei, dass der Verlag, in dem ich tätig sei, nichts mit Kinderbüchern oder historischen Romanen anfangen könne, dass er mir gern etwas zuschicken könne und ich ja keinerlei Verpflichtungen einginge. Er war nicht unsympathisch, und unter normalen Umständen hätte ich ihn sogar gefragt, in welche Richtung seine Bücher wirklich gingen. Aber an diesem Abend hatte ich keine Lust darauf, über meinen Arbeit zu sprechen.
Lieber wollte ich dem Nebel zuschauen und meinen Wein trinken. Bald würde ich nicht einmal mehr das Licht des Leuchtturms sehen. Immerhin erkannte ich noch Autos, wenn sie am Hotel vorbeifuhren, auf der Landstraße, die an diesem äußersten Rand der Bretagne entlangführte. Ihre Scheinwerfer stachen durch den Nebel, ihr Licht streute.
»Überlegen Sie es sich«, sagte der Schriftsteller neben mir. Vielleicht war er müde, vielleicht sah er ein, dass ich keine große Lust auf ausufernde Gespräche hatte. Er legte die Karte neben mein Weinglas. »Hier ist meine Website, dort können Sie in die Bücher hineinschauen. Zwar ist alles in Französisch ...« Er lächelte verbindlich.
»Ich werde es schon verstehen«, behauptete ich und schämte mich ein wenig für mein abwesendes Verhalten.
Er nickte und stand auf. »Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall noch einen schönen Aufenthalt.« Er lächelte mir zu, hob grüßend die Hand und ging in Richtung Ausgang.
Als er im Freien stand, konnte ich ihn durch die Glasscheibe gut sehen. Er zog seine Jacke an, klappte den Kragen hoch. Kurze Zeit später leuchtete ein roter Punkt vor seinem Gesicht auf, Zigarettenrauch verschmolz mit dem allgegenwärtigen Nebel.
Er ging einige Schritte, dann war er im Nebel verschwunden. Von ihm blieben nur die Karte neben dem Weinglas und das Echo seiner Stimme in meinem Gehör.
1 Kommentar:
Eine nette kleine Episode; schön und stimmungsvoll und vermutlich autobiografisch.
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