Aus der Serie »Dorfgeschichten«
Wir waren zu dritt auf dem Floß; langsam bewegten wir uns voran. Ausdauernder Regen hatte dem Tümpel im Gelände der alten Lehmgrube viel Wasser hinzugefügt, so dass ein See entstanden war, der den Kindern unseres Alters als großzügiger Raum für Abenteuer diente. Und so hatten wir die Chance genutzt, dass einmal keine Zehn- oder Elfjährigen unterwegs waren, und hatten uns auf das Floß gestellt.
Vorsichtig stakten wir durch den See. Wir benutzten alte Dachlatten, die jemand in das Gelände geschleppt hatte. Das Floß bestand aus Brettern und Kanthölzern, darunter hatte jemand große Styroporblöcke geklemmt. Es war eine wackelige Angelegenheit, und wenn man nicht aufpasste, kippte man ins schmutzige Wasser – aber man konnte damit fahren.
Wir hörten ein Auto, das sich näherte. Es fuhr an den oberen Rand des Geländes; dort stieß der See an den Rand des Waldes. Das Auto hielt an, jemand stieg aus. Kurz erschraken wir, dann aber beruhigten wir uns. Es war kein Erwachsener, der uns anschreien wollte. Wäre das so gewesen, hätte er sich mit energischen Schritten auf uns zubewegt.
Die Erwachsenen wussten von dem See und dem Floß und den Kämpfen, die wir auf den wackeligen Dingern und am See austrugen. Aber sie schienen solche Ereignisse auszublenden.
Wenn sich Kinder gegenseitig ins Wasser stießen oder die Gesichter mit Lehm einschmierten, war das ihr Problem. Kamen sie schmutzig heim, gab's eine Tracht Prügel, zu Beginn der 70er-Jahre in allen Haushalten, die ich kannte, eine gängige Praxis, über die sich niemand aufregte.
Wir hielten mit dem Floß an der Stelle an, wo der See einen Knick hatte. Vorsichtig spähten wir um die Ecke, hinter der Steilwand aus Lehm und Steinen versteckt. Über uns neigten sich einige Bäume bedenklich in die Tiefe; wenn es bald wieder regnete, würde sicher einer von ihnen nach unten rutschen.
Wir sahen einen Mann in Arbeiterkleidung: Latzhose, Pullover, Stiefel, eine Mütze auf den grauen Haaren. Ich kannte ihn, es war der alte Mattes aus unserer Nachbarschaft. Er trug einen Sack in der Hand. Vorsichtig näherte er sich dem Ufer des Sees. Man merkte, dass er sich nicht gut auskannte – als Erwachsener wusste er nicht, auf welche Steine man zu treten hatte.
Als er das Ufer erreichte, hielt er inne, nahm den Sack am oberen Ende. Etwas schien sich darin zu bewegen. Er hob ihn hoch über seinen Kopf und schmetterte ihn auf Stein, einmal, zweimal, dreimal. Dann nahm er den Sack am anderen Ende, schüttelte ihn und ließ seinen Inhalt ins Wasser fallen.
Atemlos sahen wir dem Mann zu. Wir blieben hinter der Kante, bis er zu seinem Auto gegangen und weggefahren war. Von unserer Position aus sahen wir das Auto an uns vorbeirollen. Dann stakten wir zu der Stelle hinüber, an der vorher der Mann gestanden war.
Im schlammigen trieben die zerschmetterten Körper von vier kleinen Katzen. Wir starrten darauf, wir sagten kein Wort. Dann stakten wir zurück zu der Stelle, wo das Floß leicht ans Ufer gezogen werden konnte. Niemand sagte etwas.
So begann für mich der Sommer 1972.
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