11 März 2020

Der Mann, der sich selbst verlor

Monsieur Mahé ist ein junger Arzt, der sich selbst in ein Korsett aus Aufgaben und Arbeiten gezwängt hat. Zumindest hat er sich nicht gewehrt, als seine Mutter ihn bereits als jungen Menschen auf seine Aufgaben vorbereitete. Klaglos erfüllt er seine Arbeit, ohne jegliches Abweichen vom Kurs kümmert er sich um seine junge Frau und die Kinder.

Alles könnte so verlaufen, wie es die bürgerliche Existenz in der französischen Provinz der Zwischenkriegszeit erfordert und wie man es von ihm erwartet. Doch dann fährt er mit seiner Familie in den Süden. Auf der Insel Porquerolles verändert sich sein Blick auf die Welt, und er beginnt ebenfalls, sich zu verändern ...

Das ist – wenn man so will – die Handlung des Romans »Die Ferien des Monsieur Mahé«, den der Schriftsteller Georges Simenon im Jahr 1944 verfasste. Der Autor stellt darin einen Mann ins Zentrum der Geschichte, den man als Leser eigentlich gar nicht sonderlich mag, mit dem man aber immer stärker mitfühlt, mit dessen Leben man buchstäblich mitzufiebern beginnt.

Es ist ein ruhiger Roman, weit entfernt von einem Krimi, und die Handlung verläuft so gemächlich wie das Leben des jungen Arztes. Schöne Naturbeschreibungen wechseln sich ab mit Einblicken in die Gedankenwelt des Monsieur Mahé, der sich immer mehr in seinen Träumen und Sehnsüchten verliert, ohne dass er sich klar artikulieren würde.

Es geht ganz nebenbei auch um Sex, was in diesem Roman erstaunlich offen angesprochen wird. Ein Bordell wird mehrfach erwähnt, dazu eine Frau, die Männern dafür bezahlt, dass sie am Strand mit ihr Sex haben. Seltsame Verhältnisse für einen Roman dieser Zeit.

Was Simenon dazu bewogen hat, mitten im Krieg – kurz vor der Invasion der Alliierten in der Normandie – einen solchen Roman zu schreiben, würde mich tatsächlich interessieren. Vielleicht muss ich doch einmal nach einer Biografie des Schriftstellers Ausschau halten. Aber betrachte ich die eigentliche Geschichte, stelle ich fest, wie schnell sie einen unaufhaltsamen Sog auf den Leser ausübt.

Man blickt mit dem jungen Arzt in die Tiefen des Meeres, man spaziert an seiner Seite durch die Gassen eines südfranzösischen Fischerdorfes, man nimmt mit ihm Anteil an einem Dasein, das er selbst als langweilig empfindet, und man leidet mit ihm, wenn Familienangehörige erkranken oder gar sterben. »Die Ferien des Monsieur Mahé« ist ein stilles Drama, das lange nachwirkt und das ich als packender empfand als manchen Kracher-Krimi mit viel Action.

Der Roman hat wenig gemeinsam mit einem »Maigret«-Krimi, könnte tatsächlich eher mit einem der großen literarischen Klassiker verglichen werden. Stark!

(Nachbemerkung: Ich habe diesen Roman in der Version als Diogenes-Buch gelesen. Er wurde als Band 24 der »Ausgewählten Romane« veröffentlicht und ist im Buchhandel derzeit nicht zu kaufen. Nur Second-Hand kann man ihn erhalten.)

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