21 Februar 2016

Deutscher sein?

Die junge Frau an der Tür hatte auffallend hellblond gefärbte Haare. Genau das Grellblond, das ich vor zwanzig Jahren auch gern auf dem Kopf gehabt hatte. »Hast du einen Stempel?«, fragte sie, als ich hinaus wollte.

Ich nickte zu dem jungen Mann mit Vollbart hinüber, der neben ihr an der Kasse saß. »Er hat mich doch schon gesehen«, sagte ich. »Ich geh doch ständig raus, um Luft zu schnappen, und komme wieder rein.«

»Wenn er das sagt, ist das okay.« Sie sprach mit einem osteuropäisch klingenden Akzent. »Aber jetzt bin ich der Babo an der Kasse, also kriegst du einen Stempel.«

Ich nickte, kassierte meinen Stempel und stand dann im Freien. Der Rauch vieler Zigaretten, den ich nicht mehr gewöhnt war, und die grelle Elektromusik blieb hinter mir zurück. Ich atmete tief die vom Regen geschwängerte Luft ein.

Nach einer Woche in einem kurzen Urlaub war ich da – und gleich in einer Kneipe mit Tanzfläche gelandet, die ich noch nicht kannte und in der die Gäste rauchten wie die Schlote. Und ich hatte zum ersten Mal den Ausdruck »Babo« gehört, von dem ich bisher gedacht hatte, den gäbe es nur bei Jugendforschern und grenzdebilen Hiphoppern.

Als ich wieder hineinging, strahlte mich die Blondine an. »Du bist Deutscher, oder?«

»Ähm.« Ich kratzte mich hinterm Ohr. »Das schon. Aber eigentlich bin ich Schwabe. Und ...«

»Das verstehe ich nicht. Ich verstehe euch Deutsche nicht. Mit euren Fußballvereinen, mit eurem ›Ich bin da, ich bin jenes‹. Du bist doch Deutscher?«

»Ja klar.« Worauf wollte sie hinaus? Klar war ich Deutscher. Seit Geburt. Meine Eltern waren Deutsche gewesen, meine Großeltern auch, der Opa ein eingedeutscher Deutschweizer, meine Urgroßeltern.

»Du siehst aus wie ein Deutscher, du redest wie ein Deutscher, also bist du ein Deutscher.«

»Und wo bist du her?«

Sie strahlte über das ganze Gesicht und nannte mir einen russisch klingenden Ort. »Das ist bei Krasnojarsk, also mitten in Russland, also fast Sibirien«, erläuterte sie. »Voll Scheiße da. Und jetzt bin ich hier und deutsch., und ich bin so froh, Deutsche zu sein.«

Neue Gäste kamen, junge Leute, die hippelig wirkten und sich amüsieren wollten. Sie musste sich um die neuen Gäste kümmern. Ich schob mich an der Blondine vorbei und stellte mich zu dem Bier an die Theke.

»Na?«, wurde ich gefragt. »Hat dich die Türsteherin angebaggert?«

»Was? Wir haben uns unterhalten.«

»Die hat dich voll angestrahlt.«

Ich guckte zur Tür und zur Kasse. Die Blondine grinste in meine Richtung und winkte euphorisch. Ich grüßte mit der rechten Hand lahm zurück und kümmerte mich um mein Bier.

2 Kommentare:

RoM hat gesagt…

Salut, Klaus.
Interessante Methode, mit drei oder vier Türen ins Haus zu fallen. :-)
Soziale Kontakte anknüpfen!? Besagtes "Anbaggern"!? Sprachübung!? Selbstvergewisserung - "ich bin jetzt deutsch"!?
Seltsamkeiten des Alltags wohl.

bonté

Christina hat gesagt…

Freu dich doch, dass dich junge Frauen begehrenswert finden. Das »noch« verkneife ich mir an dieser Stelle. :-)