06 November 2024

Tolles Thema blöd versenkt

Was für eine starke Idee! Eine Gruppe von Autorinnen und Autoren macht gemeinsam eine Anthologie, die im Zeichen des Klimawandels einerseits und der Zusammenarbeit mit ChatGPT andererseits steht. Ich freute mich sehr auf die Lektüre.

Leider wird die ganze Idee kläglich kaputtgeschrieben. Für »Regen in Zeiten der Klimakrise oder Kann ChatGPT Literatur« kann ich beim besten Willen keine Empfehlung aussprechen.

Die Idee war: Die Autorinnen und Autoren, allesamt aus dem Verband Deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller, sollten einen Text zum vorgegebenen Thema schreiben, daraus einen Prompt machen und dann schauen, was die Künstliche Intelligenz daraus macht. Original-Text, Prompt und KI-Version sollten gemeinsam veröffentlicht werden – um zu sehen, wie das mit der Literatur so ist.

Eine tolle Idee, echt! Aber …

Gut die Hälfte der Mitwirkenden verweigerte sich der Aktion. Es gibt im Buch also deren Texte, aber weder einen Prompt noch eine KI-Lösung. Warum machen die Leute dann bei so einer Aktion mit, und warum werden ihre Texte gedruckt, wenn sie sich der Aufgabe verweigern?

Aber auch die Texte, die gedruckt wurden, waren durch die Bank so schlecht, dass die KI sie nicht besser machen konnte, sondern halt triviale Abklatsch-Versionen lieferte. Was lernen wir daraus? Schlechte Gedichte, ideenlose Geschichten – das erste ist sogar eine schlechte Science-Fiction-trifft-die-Arche-Noah-Version – und selbstverliebte Experimente können gerne geschrieben werden, ChatGPT macht aus diesem Murks aber nichts, das man hinterher lesen möchte.

Ich lese gern, ich lese viel. Die Anthologie »Regen in Zeiten der Klimakrise oder Kann ChatGPT Literatur« kann man sich allerdings sparen. (Sie ist ein Beleg dafür, dass auch in einem guten Verlag wie Hirnkost bisweilen Texte erscheinen, die ich grausig und unlesbar finde.)

Eine Bahnhofshalle in Frankreich

Ich liebe es immer wieder, Science Fiction zu lesen, die ein bisschen älter ist. Das kann manchmal schiefgehen, weil die Charaktere in früheren Zeiten oft arg flach gezeichnet wurden, kann aber auch große Freude machen. So las ich zuletzt eine Geschichte von Joanna Russ, die den schönen Titel »Die außergewöhnlichen Reisen der Amelie Bertrand« trägt und in der Anthologie »Insekten im Bernstein« veröffentlicht wurde.

Die Anthologie erschien 1980 in der Reihe »Die besten Stories aus The Magazine of Fantasy and Science Fiction«, es war die Folge 57 dieser Reihe, in der sich immer wieder Perlen entdecken lassen. Zusammengestellt wurde sie von Manfred Kluge, und ich trauere ein wenig den Zeiten nach, in denen ständig hochwertige Anthologien mit internationaler Science Fiction veröffentlicht wurden.

Die Geschichte spielt in Frankreich – für amerikanische Leser dürfte das exotisch genug gewesen sein – und irgendwann im 20. Jahrhundert. Ohne ins Detail zu gehen: Ein Durchgang in einer Bahnhofshalle führt offensichtlich in andere Dimensionen. Dort kann man unglaubliche Abenteuer erleben und kehrt dann, ohne Zeit verloren zu haben, in die eigene Welt zurück.

Das ist vielleicht nicht schreiend originell, aber Joanna Russ macht daraus eine elegant geschriebene, sehr unterhaltsame Geschichte, die wunderbar unterhält und sehr leichtfüßig daherkommt. Ob das nun Science Fiction oder Fantasy ist, darüber mögen die Gelehrten schreiben – in ihrer klassischen Art hat mich die Geschichte auf jeden Fall überzeugt.

Manchmal ist so ein Traum von anderen Welten sowieso zu begrüßen. Vielleicht ist das ein eskapistischer Gedanke, vielleicht ist es sogar weltfremd, solche Träume zu haben. An manchen Tagen aber finde ich sie sehr postitiv.

05 November 2024

Ein Schwarzfahrer von 1993

Es gibt Filme, die sind wichtig und sie sind unterhaltsam, und ich kenne sie nicht. So war mir bislang der gelungene Kurzfilm »Schwarzfahrer« völlig unbekannt. Dabei wurde er sogar mit einem Oscar ausgezeichnet. Dieser Tage sah ich ihn mir endlich einmal an; er steht bei YouTube kostenlos zur Verfügung.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein Schwarzer Mann sitzt in einer Straßenbahn neben einer älteren weißen Frau, und die beschimpft ihn in einer Tour. Gleichzeitig ist ein weißer Mann im Zug, der sehr schnell eingestiegen ist und keine Fahrkarte besitzt. Als ein Kontrolleur den Wagen betritt, eskaliert die Situation gewissermaßen ...

Der Film ist in Schwarzweiß gehalten, wodurch er noch älter aussieht, als er ist. Gedreht wurde er 1993, er spielt augenscheinlich in Berlin, könnte aber in jeder anderen deutschen Großstadt angesiedelt sein. Ich fand ihn gut erzählt und witzig; mit zwölf Minuten hat er eine angenehme Länge.

Wer ihn noch nicht kennt: unbedingt angucken! Und alle anderen können ja noch mal reingucken ...

Großartige Graphic Novel mit Musik und Emotion

Es gibt Comics, die entziehen sich den üblichen Kategorien von Genre und Zeichenstil; sie begeistern mich durch ihre originelle Art. Ein solcher Comic ist »Ballade für Sophie«, eine Graphic Novel, die im Sommer des vergangenen Jahres erschienen ist und für mich einer der besten Comics im Jahr 2023 war.

Die Geschichte beginnt im Jahr 1933 und in einem Dorf in Frankreich. Dort treffen zwei Klavierspieler erstmals aufeinander: Der eine entstammt einer wohlhabenden Familie, die in ihm einen Künstler sieht, der andere kommt aus der Unterschicht und ist ein musikalisches Genie. Die Geschichte findet ihren Abschluss im Jahr 1997, als sich eine junge Journalistin auf die Spur eines Geheimnisses macht: Warum hat ein berühmter Komponist vor Jahren seine Kunst abgelegt und nie wieder ein Klavier angerührt?

»Ballade für Sophie« fasst ein halbes Jahrhundert in einen Comic; am Beispiel der beiden Klavierspieler wird quasi die Geschichte Frankreichs erzählt. Von der Vorkriegszeit über die Zeit der deutschen Besatzung bis hin zu den Aufschwungzeiten der fünfziger und sechziger Jahre spannt sich der Bogen. Wie in einem großen Roman prallen die Gegensätze aufeinander, spielen einzelne Figuren wichtige Rollen, geht es teilweise sehr emotional zu.

Das Szenario, das sich Filipe Melo ausgedacht hat, ist wirklich »groß«; es würde für einen Film oder einen wuchtigen Gesellschaftsroman locker ausreichen. (Ich halte den Comic ja auch für eine künstlerische Richtung, die man als gleichwertig zu Film und Roman ansehen muss.) Der Autor setzt die Dialoge auf den Punkt, er entwickelt seine Figuren über all die Zeiten hinweg glaubhaft und in sich schlüssig.

Und er nimmt die Leser emotional mit: Man möchte zwischendurch bei der Lektüre echt weinen – das mag zwar kitschig klingen, kommt aber meinen Empfindungen nahe.

Grafisch bleibt Juan Cavia mit seinen Bildern ebenso originell. Die Figuren sind leicht verzerrt, die Farbgebung ist absichtlich ein wenig »falsch«; unterm Strich kann man diesen Stil als »künstlerisch« bezeichnen, was ich hier positiv meine.

Cavia stellt die Figuren mit ihren Emotionen und all ihrem Innenleben klar und eindeutig dar. Seine Bilder zeigen, wie die Musik bei den Zuhörern ankommt und wie sie buchstäblich dazu führt, die Grenzen des Raumes zu sprengen. Ich empfehle unbedingt, die Leseprobe auf der Internet-Seite des Verlages anzuschauen!

Entstanden ist auf diese Weise ein umfangreicher Comic-Roman im kleineren »Book«-Format, also nicht im Format eines Albums. Ein so umfangreiches Werk kostet seinen Preis: Die 45,00 Euro finde ich absolut angemessen. Ich halte »Ballade für Sophie« für ein Meisterwerk, das ich seit der ersten Lektüre schon einige Male in der Hand hatte.

Wer sich dafür interessiert, bekommt das Comic-Buch überall im Comic-Fach- und Buchhandel. Die ISBN 978-3-98721-118-8 kann bei der Bestellung hilfreich sein. Versender wie der PERRY RHODAN-OnlineShop liefern »Ballade für Sophie« ebenfalls aus.

(Die Rezension erschien ursprünglich auf der PERRY RHODAN-Seite. Hier wiederhole ich sie vor allem aus dokumentarischen Gründen.)

04 November 2024

Brot und Spiele in der Zukunft

Im Mai 2020 veröffentlichte der Verlag Schreiber & Leser einen Comic, der für mich damals schlicht unterging. Im ersten »Lockdown« waren Comic-Läden und andere Buchhandlungen geschlossen, viele Leute waren verunsichert und kauften deutlich weniger ein als sonst. Viele Romane und Comics, die in dieser Zeit veröffentlicht wurden, erhielten so kaum Aufmerksamkeit.

Aus diesem Grund erlaube ich mir, an dieser Stelle einen Comic vorzustellen, der zwar schon vier Jahre alt ist, für die meisten Leserinnen und Leser trotzdem »neu« genug sein sollte. »Mechanica Caelestium« spielt im Großraum Paris und im Jahr 2068, in einer düsteren Zukunft, die sich stark von der unseren unterscheidet. Mittlerweile ist ein zweiter Teil veröffentlicht worden, ich schreibe hier aber nur über den ersten Band.

Offensichtlich hat es einen Krieg gegeben, der weite Teil der uns bekannten Welt zerstört hat. Menschen leben in den Trümmern der Städte oder haben sich in den Wäldern eine neue Heimat aufgebaut; es herrschen Armut und Not. Eine zentrale Regierung für Frankreich gibt es nicht mehr, sondern unabhängige Dörfer und einige größere Staatsgebiete – sofern man diesen Begriff benutzen kann. Die Technik von früher wird gelegentlich eingesetzt, zum größten Teil aber nicht verstanden.

Aster ist eine junge Frau, die in einer Waldhütte wohnt und zu den Außenseitern der Gesellschaft gehört. Mit ihrem Kumpel Juba stromert sie durch die Ruinen der alten Städte – man erkennt immer wieder Aufschriften, die auf die frühere Zivilisation hinweisen – und steuert ihr Boot über ehemalige Boulevards, die längst zu einer Seenfläche geworden sind. Was sie finden, versuchen sie in einem Ort namens Pan gegen Nahrungsmittel umzutauschen. Ihr Leben ist anstrengend, aber sie sind frei; und weil Pan als kleines Bauerndorf seine Bewohner ernähren kann, kommen sie halbwegs gut durchs Leben.

Dann aber greift eine größere Macht nach dem kleinen Pan und seinen Bewohnern. Um diesem Druck standzuhalten, müssen sich Aster und ihre Freunde ausgerechnet auf eine Art Ballspiel einlassen, dessen Schwierigkeitsgrade sich von Runde zu Runde steigern. Beim Mechanica Caelestium kommen auch Techniken aus der Zeit von vor dem Krieg zum Einsatz, und es geht hoch her ...

Merwan Chabane – als Künstler benutzt er nur seinen Vornamen – ist der Autor und Illustrator dieses packenden Science-Fiction-Comics, der durchaus seine Schwächen im Weltenbau hat (wie hängt das alles zusammen, und warum zum Teufel ist das Spiel so wichtig?), an sich aber durch seine spannende Geschichte packt und mitreißt.

Der Künstler bleibt die meiste Zeit an der Seite seiner Hauptfigur, und so erlebt man die Kämpfe zumeist aus der Sicht Asters. Andere Bilder zeigen aber die politischen Unruhen, die parallel ausbrechen, ohne dass das groß thematisiert wird. Diese Darstellung kommt mir schlüssig vor, Aster bekommt davon ja auch nichts mit.

Das ist alles spannend erzählt und macht viel Freude; die Dialoge sind oft sarkastisch, womit die düstere Zukunftsvision schlagartig ein wenig optimistischer wirkt. Künstlerisch gefällt mir der Comic ebenfalls: Die Zeichnungen sind dynamisch, die Action wird klar gezeigt, Merwan verzichtet aber auf die Darstellung von übertriebener Brutalität. Gelegentlich schimmert ein leichter »Funny-Stil« durch, mit den klassischen Knollennasen hat das aber alles nichts zu tun.

Bei »Mechanica Caelestium« handelt sich um einen actiongeladenen Science-Fiction-Comic, dessen Lektüre gut unterhält. Die Ausgabe bei Schreiber & Leser sieht toll aus: ein Hardcover-Band mit 208 Seiten Umfang, den man für 32,90 Euro überall im Comicfach- und Buchhandel bestellen kann.

Wer sich für das Buch interessiert, erfährt auf der Verlags-Seite mehr. Dort steht auch ein Buch-Trailer zur Verfügung, den man sich angucken kann.

(Die Rezension hatte ich im August bereits auf der Internet-Seite von PERRY RHODAN veröffentlicht. Hier teile ich sie aus dokumentarischen Gründen.)

Einmal Horror, einmal Punkrock

Es ist eine Weile her, seit ich zum letzten Mal über das »Klausbuch« geschrieben habe, und das tut mir leid. Dabei finde ich nach wie vor höchst spannend, was Christina Hacker und Alexandra Trinley unter dem Titel »Das wüsste ich aber!« zusammengetragen haben. Das Buch erschien zu meinem sechzigsten Geburtstag, der schon einige Tage her ist, und ich lese halt immer mal wieder ein Kapitel oder zwei.

Sehr amüsant ist Rüdiger Schäfers Geschichte »Audienz beim dunklen Herrscher«. Mit dem dunklen Herrscher bin eindeutig ich gemeint, und der Autor schafft es, eine gruselige Atmosphäre um Rastatt und den Verlag zu erzeugen, die ich sehr sympathisch finde. Die Pointe ist ein wenig berechenbar, aber die Geschichte an sich ist toll geschrieben. Eine Prise Horror also!

Punkrock gibt es in »Alles Gute, Peter Pank« von Marc A. Herren. Der Autor erzählt eine Geschichte, die inhaltlich zu meinen »Peter Pank«-Romanen passt, aber in Bern spielt. Er blendet – wie in den veröffentlichten »Peter Pank«-Büchern – Liedzeilen von Bands ein, und erzählt eine rundum gelungene Geschichte, in der ganz nebenbei noch ein zusammengerolltes Romanheft thematisiert wird.

Ich war von beiden Texten geradezu gerührt. Das klingt vielleicht blöd, ist aber so. Und jetzt bin ich sehr gespannt darauf, wie das Buch weitergeht ...