13 Januar 2016

Anti-eskapistisch?

Wenn es mir früher darum ging, die Science Fiction gegen das Vorurteil zu verteidigen, sie sei nur Fluchtliteratur, argumentierte ich gern damit, dass sie »die Wirklichkeit spiegelt«. Ich nannte Autoren wie John Brunner (sein »Morgenwelt« sollte ich vielleicht mal wieder lesen) oder Philip K. Dick (auch »Der dunkle Schirm« bietet sich zu einer neuen Lektüre an, denke ich) und fand das ziemlich schlau.

Wenn ich mir die heutige Landschaft anschaue, sowohl in Hinsicht auf Politik als auch auf Science Fiction, kommt mir diese Argumentation seltsam vor. Einige deutschsprachige Science-Fiction-Autoren stecken offensichtlich sehr viel Lebensenergie in Diskussionen und Streitereien – sie kämpfen bei Facebook um Anerkennung und Öffentlichkeit, streiten über »pro und contra«, wenn es um Flüchtlinge geht, oder schimpfen einfach mal auf ihre jeweiligen politischen Gegner.

Wo bleibt der kritische Science-Fiction-Roman, der sich beispielsweise in ernsthafter Weise mit der aktuellen Flüchtlingspolitik auseinandersetzt? Das könnte ja auch durchaus kritisch sein: Wie wird sich das Land verändern, wenn jedes Jahr eine Million neuer Flüchtlinge kommt und alles schiefgeht? Gibt es dann Elendsquartiere mitten in den Städten, wird die Bundeswehr in den Fußgängerzonen aufmarschieren?

Das wäre ein Thema für Science-Fiction-Romane, die zwar nicht meiner politischen Weltsicht entsprechen dürften, aber sehr wohl spannend sein könnten. Literatur muss eh nicht meiner Meinung entsprechen, sonst wäre es langweilig.

Oder auch andersrum: Es könnte ja auch Science-Fiction-Romane geben, die eine positive Utopie entwickeln. Wenn die Integration funktioniert und alles gutgeht – welche Gesellschaft entwickelt sich dann, welche neuen Strömungen und Spannungen gibt es?

Von den aktuellen Science-Fiction-Autoren würde ich gerne solche Dinge lesen – und nicht hasserfüllte Postings auf irgendwelchen Sozialen Netzwerken. (Der einzige, der gesellschaftspolitische Themen auf hohem Niveau aufgreift und in spannende Bücher packt, scheint derzeit Andreas Eschbach zu sein.) Okay, viele schreiben derzeit Space-Opera-Romane oder Military-SF oder arbeiten für Heftromanserien; dagegen will ich aus verständlichen Gründen nichts sagen – aber die Realität wird dadurch eher selten gespiegelt.

Ich sehe schon: Die aktuelle politische Situation wird dann wieder von Gegenwartsautoren »gespiegelt«, die einen Blick in die nahe Zukunft wagen. Die Science Fiction ist mit der ganz fernen Zukunft beschäftigt ...

3 Kommentare:

Jim hat gesagt…

Vielleicht ist Zone 5 das Buch, das du suchst. Zumindest nennt der WDR es einen "sozialkritischen Science-Fiction-Thriller". Ich selbst habe ich noch nicht gelesen, gestern aber auch entdeckt, dass es ihn gibt.

http://www.droemer-knaur.de/buch/8572104/zone-5

Christina hat gesagt…

Die entscheidende Frage ist ja: Finden sich genügend Leute, die das auch lesen möchten? Die Wenigsten sind tatsächlich hautnah mit der Flüchtlingssituation konfrontiert. Viele machen sich, auf Grund einseitiger Berichterstattung, ihr eigenes düsteres Bild von der Zukunft und flüchten sich lieber in "heilere" Welten. Anderen ist es vielfach egal. Aber diejenigen, die bisher noch an eine positive Zukunft geglaubt haben, wird der Glaube an das Gute im Menschen, angesichts des Auftretens ihrer eigenen Freunde und Bekannten, schlichtweg genommen.

Sicher wäre es rückblickend gut zu wissen, wie man sich heute die Zukunft vorstellt. Aber das interessiert die Menschen frühestens in zwanzig Jahren, nicht heute, wo man eh mit Dystopien überhäuft wird.

Würde ich sowas lesen wollen? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.

RoM hat gesagt…

Yum tuv, Klaus.
Zu Ihrer Zeit hatten (zb) Brunner & Dick Möglichkeiten zur Publikation Ihrer Stoffe. Bezogen auf den hiesigen Markt ist & war der angelsächsische Raum ein fetter Fischteich. Was Wunder also, daß sich die deutschsprachigen Autoren mit dem Broterwerb beschäftigen. Ein kritisches Werk über eine neokonservative Entsolidarisierung Europas ist nicht in Sicht. Aber Ideen laßen sich aufgreifen...
So in Thomas Thiemeyers "Devil's River", der Hass & Verachtung Indianern, Frauen & Außenseitern gegenüber thematisiert.
Nichts was das Feuilleton auch nur mit der Kneifzange abhandeln würde; lieber intellektuell verschwurbelt wie in "Leider bin ich tot" von Dietmar Dath.
Also kein leicht Ding...

bonté