»Wir schaffen das«, sagte der eine Mann. »Das haben sie uns 2015 auch gesagt.« – »Ach, hör bloß auf damit!«, gab der andere Mann zurück. Ich stand direkt daneben und war kurz davor, mich in das Gespräch einzumischen, ließ es aber sein.
2015 haben wir es tatsächlich geschafft. Deutschland schaffte es in diesem Jahr, endlich einmal eine menschliche Seite zu zeigen. Gut eine Million flüchtender Menschen wurde aufgenommen. Die meisten von ihnen kamen rasch in menschenwürdige Unterkünfte, viele von ihnen fanden Arbeit, viele wurden längst deutsche Staatsbürger und tragen zum Gemeinwesen bei.
2015 hatte ich einen kurzen Anflug von Nationalstolz, nur sehr kurz, aber immerhin. Zu diesem Land wollte ich gern gehören: ein Land, das Flüchtlinge aufnahm, ein Land, in dem sich Hunderttausende von Menschen aller politischen Richtungen engagierten, ein Land, in dem man anpackte, um anderen Leuten zu helfen. Das fand ich sympathisch. Der Zeitgeist war endlich einmal positiv und nicht der widerwärtige Griesgram, als den er sich heute präsentiert.
Was danach kam, ist bekannt. Heute tun die Faschisten von der AfD, die Putinisten vom BSW und die Erzreaktionäre bei den sogenannten Parteien der Mitte tatsächlich so, als seien Menschen mit nichtweißer Hautfarbe das zentrale Problem unseres Landes. Als ob man nur genügend von ihnen abschieben müsste, um das Land wieder an irgendeine Spitze zu führen. Als ob man nur der Welt seine hässliche Fratze präsentieren müsste, um im Konzert der Mächtigen mitspielen zu können.
Der Sommer 2015 war positiv. Zehn Jahre später gerät das ein wenig in Vergessenheit, schon klar. Aber diesen Zeitgeist von damals – den wünsche ich mir oft zurück.

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