16 November 2022

Graphic Novel über einen Schreiber und Neinsager

Der amerikanische Schriftsteller Herman Melville ist im deutschsprachigen Raum vor allem durch seinen Roman »Moby Dick« bekannt geworden. Seine Erzählungen lohnen sich ebenfalls, eine der berühmtesten davon ist »Bartleby, der Schreiber«. Davon gibt es mittlerweile eine gelungene Version als Graphic Novel, die ich jederzeit empfehlen kann.

Die Geschichte klingt vergleichsweise einfach; sie spielt an der Wall Street in New York, die schon im 19. Jahrhundert ein Zentrum der Wirtschaft war. Dort steigt ein junger Mann namens Bartleby ins Berufsleben ein. Zuerst ist er sehr ordentlich, er verrichtet seine Arbeit zur Zufriedenheit von Kollegen und Vorgesetzten, und niemand hat einen Grund zur Klage.

Doch eines Morgens entscheidet er sich, nicht weiter zu arbeiten. Seine Argumentation ist schlicht und klar: »Ich möchte lieber nicht.« Und das zieht er konsequent durch: Bartleby kommt jeden Tag zur Arbeit, wo er brav bleibt, aber nichts arbeitet. Nach einiger Zeit verschärft sich die Situation, mit der seine Kollegen und auch die Arbeitgeber nicht klarkommen: Er bleibt im Büro, es wird sein Lebensmittelpunkt. Aber natürlich arbeitet er trotzdem nicht, denn: »Ich möchte lieber nicht …«

Dieser Satz wurde seitdem geradezu sprichwörtlich, und der junge Bartleby ist über die Jahrzehnte hinweg zu einer Figur geworden, die häufig zitiert wird. Herman Melville schrieb eine Geschichte, die einen sarkastischen Klang hat, viel vom damaligen Arbeitsleben erzählt und wegen ihres sturen »Helden« zu einem politischen Text wurde, der auch in die heutige Zeit wirkt: Was passiert eigentlich, wenn jemand beschließt, einfach kein Rädchen mehr in der Maschinerie sein zu wollen?

Der Comic-Künstler José Luis Munuera nahm sich des Stoffes an, bearbeitete die originale Geschichte und verwandelte sie in eine gelungene Graphic Novel. Der Künstler ist vor allem durch seine Arbeiten im humoristischen Fach bekannt geworden, unter anderem ist er für moderne Ausgaben von »Spirou und Fantasio« mitverantwortlich.

Seine literarische Bearbeitung lässt vom historischen Stoff genügend übrig, so dass man Melvilles Originalgeschichte gut nachvollziehen kann. Künstlerisch geht Munuera seinen eigenen Weg. Er zeichnet sowohl die Figuren als auch die Örtlichkeiten auf eigenständige Weise: irgendwo zwischen realistisch und leichtem Funny-Stil. Die Geschichte ist ernsthaft, die Zeichnungen sind es ebenfalls; bei den Gesichtern blitzt Munueras Erfahrung mit amüsanten Comics durch.

Seine Version von »Bartleby, der Schreiber« ist eigenständig, zugleich aber eine gelungene Variation des literarischen Klassikers. Man bekommt nach der Lektüre des Buches große Lust, das Original zu lesen. Wer schöne Comics mag oder literarische Umsetzungen zu schätzen weiß, sollte diese Graphic Novel einmal anschauen – es gibt eine kostenlose Leseprobe im Internet.

Erschienen ist »Bartleby, der Schreiber« als schöner Hardcover-Band im Splitter-Verlag. Er umfasst 72 Seiten und kostet 18,00 Euro. (Diese Rezension wurde bereits auf der PERRY RHODAN-Seite im Internet veröffentlicht. Hier kommt sie vor allem zur Dokumentation.)

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