12 Oktober 2022

Wie mich ein sogenannter Frauenroman packte

Der unglaubliche Erfolg der Neapolitanischen Saga fasziniert mich seit Jahren. Ich bekam mit, wie Elena Ferrantes erster Roman in deutscher Sprache erschien, wie ihn die Kritik bejubelte und ihn die Massen kauften. Ich wurde neugierig, las ihn aber nie. Dass es sich bei »Meine geniale Freundin« um einen sogenannten Frauenroman handelt, schreckte mich tatsächlich ab. Dieser Tage griff ich dann doch danach und war davon sehr gefesselt – die weiteren Bände dieser Saga werde ich auch noch lesen.

Die Geschichte beginnt in einem Arme-Leute-Viertel in Neapel. Zwei Mädchen werden beste Freundinnen. Aus ihrer Sicht erzählt die Autorin von den fünfziger Jahren, von der Gewalt im Viertel, von der Armut und von den Versuchen, sich nach oben zu arbeiten. Die beiden Mädchen werden älter, sie gehen zur Schule, sie entwickeln sich unterschiedlich, und sie bleiben dennoch Freundinnen.

Im Mittelteil des Romans zog sich dieser für mich ein wenig. Ich verlor streckenweise den Überblick, wer denn nun wer ist – immerhin gibt es ein Personenverzeichnis am Anfang, das sehr hilfreich war – und wer mit wem verwandt ist. Nachdem ich mich durch diesen Teil gebissen hatte, fesselte mich der Roman aber stärker.

Am Ende konnte ich mit »Meine geniale Freundin« kaum aufhören und wollte wissen, wie es ausgeht. Um es anzudeuten: Der fiese Cliffhanger am Ende – es sind nur zwei Sätze, wenn man es genau nimmt – brachte mich fast dazu, gleich das nächste Buch der Saga anzufangen.

Die Autorin schafft es, dass man die Figuren sympathisch und unsympathisch findet, sie aber auf ihre Weise zu mögen beginnt. Ich verfolgte gebannt die Entwicklung der Familien, das Entwickeln der ersten Liebe, die Begegnung der Leute aus dem Arme-Leute-Viertel mit den wohlhabenden Menschen, das langsame Aufblühen der Camorra. Geschickt zeigt die Autorin die sozialen Entwicklungen, ohne unangenehm den Zeigefinger zu einer moralischen Anklage zu erheben.

Der Stil des Romans gefällt: klare Dialoge, überschaubare Beschreibungen, keine unnötigen Eskapaden und Experimente. Das lässt sich alles wunderbar »weglesen«, was sicher dazu beigetragen hat, dass das Buch ein solcher Erfolg war. »Meine geniale Freundin« ist Lesefutter der besten Art – und sicher ein Roman, das man auch als Mann gewinnbringend lesen kann. (Ein weiterer Beleg dafür, wie blödsinnig der Begriff »Frauenliteratur« ist.)

1 Kommentar:

Enpunkt hat gesagt…

Wer bislang noch nichts von »Meine geniale Freundin« gehört oder gelesen hat, kann sich vielleicht am schnellsten auf der Internet-Seite des Suhrkamp-Verlags informieren.

Hier:
https://www.suhrkamp.de/buch/elena-ferrante-meine-geniale-freundin-t-9783518425534