17 November 2025

Abgewürgt

Fred hielt den Geländewagen an und wies auf die Senke, die sich vor uns erstreckte. »Wir fahren da ganz langsam durch«, sagte er. »Achtet auf die Büsche rechts und links. Hier sieht man immer viele Tiere, in der Senke ist auch ein Wildwechsel.«

Vorsichtig fuhr Fred weiter. Der Wildhüter war für unsere Tour verantwortlich. Der gebürtige Sambier sprach sehr gut Englisch, kam aus einem Dorf in der Nähe und hatte uns schon eine Reihe von phantastischen Eindrücken verschafft. Wir hatten dösende Löwen in der Savanne gesehen, waren hautnah an Giraffen und Büffeln vorbeigekommen, und nun rollten wir mitten durch den Wald.

Ich fühlte mich bei Fred sicher. Es war nicht meine erste Fahrt in einen afrikanischen Wald, aber ich hatte das Gefühl, es könnte die interessanteste sein. Fred kannte sich gut aus, und er vermochte es, uns die Faszination für seine Heimat zu vermitteln. Das Gewehr, das er mit sich führte, lag gut sichtbar an zwischen Steuer und Windschutzscheibe des offenen Geländewagens. Er hatte es noch nie benutzt, um ein Tier zu töten, wie er uns erzählt hatte; es war vor allem dazu gedacht, im Ernstfall in die Luft zu schießen.

Wir waren eine gemischte Gruppe: sechs dänische Mädchen, die zwischen 19 und 22 Jahren alt waren und vor allem abends ununterbrochen kicherten, ein holländisches Geschwisterpaar Ende der 20, die ich sehr mochte, und ich als Alleinreisender aus Deutschland, zu diesem Zeitpunkt schon Ende der 30. Wir kamen gut miteinander aus, Konflikte hatten wir bislang keine gehabt.

Sehr langsam fuhr Fred den holperigen Weg hinunter. Die Piste bestand aus roter Erde, die man festgestampft hatte. Rechts und links wuchs undurchdringlich wirkender Wald, über uns berührten sich die Äste und Zweige der Bäume. Ich kam mir vor wie in einem Tunnel aus grünen Blättern, in dem es ununterbrochen raschelte und zwitscherte. Überall waren Tiere, aber ich sah keines von ihnen.

Ich hatte meine Baseballkappe so aufgezogen, dass sie mir Sonnenschutz gab, ich aber trotzdem ins Gebüsch spähen konnte. Einmal glaubte ich, links eine Bewegung zu sehen, und wollte schon aufgeregt »hier!« rufen. Aber ich ließ es sein, weil ich nicht sicher war, was wirklich durch das Unterholz krabbelte.

Als der Geländewagen die Senke erreicht hatte, gab der Motor mit einem röchelnden Geräusch auf. Nichts ging mehr, wir standen mitten im Wald, und das Auto fuhr nicht weiter. Fred betätigte einmal den Anlasser; der Motor orgelte und gab seltsame Geräusche von sich, sprang aber nicht an.

Der Wildhüter blieb gelassen. »Das kann vorkommen«, sagte er ruhig. »Das Auto ist alt, und wir müssten den Motor dringend reparieren, aber es fehlen Ersatzteile.« Er lachte. »Ein bisschen anschieben, und dann geht alles wieder.«

Anschieben? Mitten im Wald? Ich rief mir in Erinnerung, wo wir uns aufhielten. Der South Luangwa Nationalpark in Sambia war ein Paradies für Tiere aller Art, und wir sahen sie ständig. Elefanten, Nilpferde und Affen lebten direkt neben den Zelten, in denen wir untergebracht waren. Und Leoparden galten als die gefährlichsten Raubtiere; ich hatte in diesem November 2001 noch keinen gesehen, rechnete aber ständig mit einer Begegnung. Aber so?

Die dänischen Mädchen waren still; sie waren enger zusammengerutscht und sahen sich um. Fred nickte dem Holländer und mir zu. »Das ist ein Job für euch zwei Männer«, sagte er. »Springt ab und schiebt den Wagen an; ich versuche ihn zu starten.«

Wahrscheinlich sahen wir ihn entsetzt an. Auf dem Fahrzeug fühlte ich mich sicher; auf dem Boden wäre das nicht mehr der Fall.

Fred lachte erneut. »Macht schnell!«, riet er. »Es wird ja nicht gleich ein Leopard aus dem Busch springen. Der beobachtet uns vielleicht, aber er greift nicht an. Also los – macht schon!«

Der Holländer sah mich an. Ich sah ihn an. Wir sahen beide nicht fröhlich aus in diesen Augenblicken. Dann nickten wir uns zu. Jeder sprang auf seiner Seite vom Wagen herunter; dann stellten wir uns hinter das Fahrzeug.

»Und los!«, rief Fred. Er löste die Handbremse, wie ich am knarrenden Geräusch vernahm.

Der Holländer und ich stemmten uns gegen die Rückseite des Geländewagens. Das verdammte Ding war ziemlich schwer und bewegte sich nur langsam über den unebenen Untergrund. Ich hatte anfangs das Gefühl, wir würden es gar nicht schaffen, aber dann ging es doch: Zuerst rollte das Fahrzeug ganz langsam, buchstäblich Zentimeter um Zentimeter, dann etwas schneller.

Mir lief der Schweiß über das ganze Gesicht, mein T-Shirt klebte am Körper. Immer wieder blickte ich nach rechts und zu dem Holländer, der ebenso schwitzte und angestrengt aussah, und immer wieder blickte ich nach links und in das undurchdringliche Dickicht des sambischen Urwalds. Tiere sah ich keine, die versteckten sich offenbar.

Mein Atem ging laut, er rasselte geradezu in meinen Ohren. Ich hörte keine Vögel mehr, deren Lärm sonst allgegenwärtig war. Mein ganzer Körper konzentrierte sich auf meine Arme, mit denen ich mich gegen das Fahrzeug stemmte.

Dann betätigte Fred den Anlasser, und gleich beim ersten Versucht klappte es: Der Motor sprang an, der Geländewagen rollte einige Meter aus eigener Kraft; langsam rollte er durch die Senke und steuerte den Hang an.

»Springt schon auf!«, rief Fred. »Ich kann jetzt nicht anhalten.«

Der Holländer und ich grinsten uns an, dann rannten wir los. So schnell war ich in meinem ganzen Leben noch nie auf einen Geländewagen geklettert.

Als ich saß, merkte ich, wie nassgeschwitzt ich war. Ich atmete tief durch und beruhigte mich. Es bestand ja keine Gefahr, machte ich mir klar; die Tiere hatten sich alle versteckt, und kein Leopard hätte uns angegriffen.

Aber etwas zu wissen und etwas zu spüren – das waren eben doch zwei ganz verschiedene Dinge.

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