30 November 2020

Den Popo zusammenkneifen, bitte!

Ich bin einigermaßen verzweifelt, wenn ich mir anschaue, wie meine »Landsleute« angesichts eines mörderischen Virus ticken, das weltweit schon eineinhalb Millionen Menschenleben gekostet hat. In Deutschland wähnte man sich im Sommer auf der Siegerstraße, freute sich darüber, »nur« 9000 Tote zu haben. Und ging fleißig auf Partys und in Urlaub ...

Mittlerweile haben wir den Salat. Ich will nicht über Zahlen klagen und jammern, die kann sich jeder Mensch selbst besorgen. Ich kann nur nicht mehr die Diskussionen hören, kein Wehklagen mehr über Weihnachten und Urlaub. 

 Auch keine Vergleiche mehr mit asiatischen Ländern, wo angeblich die Disziplin höher sei und ... ich verkneife mir weitere Vergleiche, die immer ein wenig rassistisch klingen, um es höflich zu sagen.

Ich war im Sommer 2020 nicht im Urlaub. Wir hatten vor, zwei Wochen nach Südfrankreich zu fahren; wir wollten in die Corbières-Region, wir hatten ein Ferienhäuschen mitten in den Weinbergen gebucht. Das ließen wir natürlich alles ausfallen (die Anzahlung haben wir nicht zurückgefordert) – und es hat uns nicht viel ausgemacht.

Es kann doch nicht so schwer sein, sich im Jahr 2020 zu Weihnachten ein wenig einzuschränken! Wir besuchen keine Verwandten, wir machen keine Party mit Freunden. Wir gehen vielleicht mit Freunden spazieren. Wir machen sicher Skype-Abendessen und Skype-Weihnachten mit Verwandten. Aber ich werde mich mit so gut wie niemandem treffen.

Wo ist das verdammte Problem, mal einen Winter lang auf den Wintersport zu verzichten? Wo ist das Problem damit, einmal Weihnachten daheim zu verbringen oder sich maximal an der frischen Luft zu treffen? Ich versteh's nicht.

Am liebsten würde ich die Leute, die so lauthals jammern, öffentlich anschreien. »Da musst du halt die Arschbacken zusammenkneifen«, sagte mein Vater immer, wenn man durch eine unangenehme Situation durch musste. 

Vielleicht hülfe es, wenn mehr Leute diesen Corona-Winter 2020/21 so betrachten würden.

Mal wieder Feine Sahne Fischfilet

Zu den bekanntesten Bands im deutschsprachigen Raum, die Punkrock und artverwandte Musik spielen, zählen Feine Sahne Fischfilet aus Mecklenburg-Vorpommern. Im vergangenen Jahrzehnt wurde die Band immer populärer, füllte zuletzt Hallen und große Festivals, trat aber auch immer bei den einschlägigen Polit-Veranstaltungen gegen rechtsradikale Umtriebe auf.

Ich habe dieser Tage mal wieder »Scheitern & Verstehen« angehört, die 2012 als dritte große Platte veröffentlicht worden ist. Auf allen elf Stücken zeichnet sich das ab, was die Band erfolgreich gemacht hat: Die Stücke sind schmissig und melodisch, die Blasinstrumente setzen immer wieder Akzente, und die Texte sind jederzeit verständlich und nachvollziehbar.

In den Texten geht es um das Herumsitzen mit Freunden (»Heute Nacht werden wir lachend um die Häuser zieh'n«), um das Feiern (»Tanzen, kotzen, Feierei«) und um die Grundlage fürs Punkrock-Dasein (»Punk heißt gegen's Vaterland, das ist doch allen klar«). Man kann also nicht behaupten, die Band sei immer politisch; sie ist viel öfter schunkelig unterwegs und lädt zur feuchtfröhlichen Party ein.

Womöglich wäre die Band nicht so populär geworden, wenn sie nicht ins Visier von Polizei und Staatsschutz gelangt wäre. Weder musikalisch noch textlich ist sie besonders auffällig – was ich nicht negativ meine. Dass sie für jüngere Leute das sind, was in den 90er- und Nuller-Jahren wohl die Toten Hosen für viele waren, ist da folgerichtig.

Ich kann mir eine Platte wie »Scheitern & Verstehen« jederzeit anhören. Das ist gefälliger Punkrock, der gut ins Ohr geht und mich unweigerlich dazu bringt, mit dem Kopf zu wackeln oder beschwingter durch die Wohnung zu gehen. Passt also!

29 November 2020

Black Books sind völlig gaga

Wie ich auf die englische Fernsehserie »Black Books« stieß, lässt sich nicht mehr genau nachvollziehen. Der Algorithmus unseres Streaming-Anbieters schlägt manchmal seltsame Kapriolen. Von wegen Künstliche Intelligenz … Es geht um eine Buchhandlung und um die Leute, die darin arbeiten – das passt ja schon zu meinen privaten Passionen. Also sah ich mir an, was es von dieser Serie zu sehen gab.

Um es klar zu sagen: Es ist ein unfassbarer, ein großartiger Blödsinn! Erzählt wird von einem Buchhändler namens Bernard Ludwig Black, der die meisten seiner Kunden so richtig beschissen findet und am liebsten Rotwein in großen Mengen trinkt, seinem Angestellten Manny, der ziemlich verdreht ist, und seiner Nachbarin, Fran Katzenjammer, die eigentlich ganz nett ist, aber vor allem auch Unmengen an Rotwein konsumiert.

Dieses Trio schlingert durch das Leben, plagt sich mit allerlei Dingen des Alltags herum – etwa nervigen Kunden oder einer dringend nötigen Grundreinigung, einer Sicherheitstür und dergleichen – und versucht vor allem, sich rauchend, schimpfend und saufend am Leben zu halten. Sex findet keiner statt, die Dialoge sind häufig ziemlich wirr. (Ich kenne die Serie nur in der deutschen Übersetzung.)

Die erste Staffel wurde 200o0 in England abgedreht; es ist auch die einzige, die es hierzulande gibt. Die folgenden zwei Staffeln kann man sich nur via DVD besorgen, was ich vielleicht noch tun werde. In England erhielt die Serie auch einige Preise, im deutschsprachigen Raum scheint sie nicht funktioniert zu haben.

Ich saß die meiste Zeit vor der Glotze, staunte und schüttelte den Kopf angesichts des grassierenden Schwachsinns. Unglaubliche Gags, unglaubliche Dialoge – irgendwie ging’s häufig in die Richtung der Monty Pythons …

 

28 November 2020

Anglizismen von früher

Bekanntlich war früher alles besser. Männer waren Männer, Frauen waren Frauen, und kleine pelzige Außerirdische waren kleine pelzige Außerirdische. Und natürlich gab es früher in der deutschen Sprache keine Anglizismen. Habe ich jetzt ein Klischee ausgelassen?

Zumindest scheint es Menschen zu geben, die so etwas glauben. Anglizismen seien eine Plage der heutigen Zeit, früher gab es diese kaum. Da hilft es, gelegentlich in einen Roman aus den fünfziger Jahren zu blicken.

In den Western dieser Zeit und auch in den Krimis wimmelte es von »Guns« und »Girls«, weil die Autoren mit diesen Begriffen ihre Romane »authentischer« gestalten wollten. Aber nicht nur in der Trivialliteratur wurde mit Anglizismen gearbeitet; die moderne oder anspruchsvolle Literatur war nicht viel besser.

Aktuell lese ich »Tracy's Tiger« von William Saroyan, ein amerikanischer Klassiker, in einer Hardcover-Ausgabe aus den fünfziger Jahren, in einer Übersetzung, die mir recht sorgsam vorkommt. Aber die Leute gehen in dieser Übersetzung einmal auch »Icecream« essen. Ich musste echt lachen, als ich das las. Das würde ich heute anstreichen ...

27 November 2020

Ansible wurde 400

Seit wann genau ich das Science-Fiction-Fanzine »Ansible« kenne, weiß ich gar nicht mehr genau. Irgendwann in den späten 80er- oder frühen 90er-Jahren fiel es mir erstmals in die Hände: Es handelte sich immer um ein A4-Blatt, beidseitig bedruckt, meist auf Papier von unterschiedlicher Farbe.

Man bekam das Fanzine bei Veranstaltungen, und man konnte es abonnieren. Zeitweise hatte ich ein Abonnement, wenn ich mich düster erinnere, was nicht ganz preiswert war: Einmal pro Monat kam ein Brief aus England, in dem sich ein doppelseitig bedrucktes Info-Fanzine auf farbigem Papier befand.

Heute erhalte ich »Ansible« nicht mehr geschickt, sondern lade mir einmal im Monat die aktuelle Ausgabe von der entsprechenden Internet-Seite herunter. Da ich immer noch »papierorientiert« bin, drucke ich mir das Fanzine aber aus, lese es und stecke es hinterher sogar in meine Fanzine-Sammlung.

Am Inhalt hat sich in all den Jahren nicht viel geändert. David Langford stellt eine Mixtur aus Informationen, Pressenotizen, persönlichen Meinungsäußerungen und fannischen Nachrichten zusammen, alles in einer unterhaltsamen Mixtur und in einem gut verständlichen Englisch.

Ich mag das Fanzine immer noch und freue mich darüber, dass es dieser Tage seine Nummer 400 veröffentlichte. Meine Gratulation an das »Ansible«!

Der Neue Stern mit Ausgabe 63

Dass ich immer noch gern Fanzines lese, habe ich schon hundertmal erzählt. Deshalb mag ich »Neuer Stern«, ein Science-Fiction-Fanzine aus Halle/Saale, obwohl es so häufig erscheint, dass ich mit der Lektüre kaum nachkomme. Im August 2020 wurde die Ausgabe 63 veröffentlicht, die ich komplett durchlas – kein Wunder, war es doch eine Schwerpunkt-Ausgabe zu Wolfgang Jeschke und Ray Bradbury.

Bradbury wäre im August 2020 schon hundert Jahre alt geworden, Jeschke hätte im November seinen Geburtstag gefeiert. Beide Autoren waren prägend für die Science Fiction und auch für mich, offenbar ebenso für einige der Mitwirkenden an diesem Fanzine.

Es gibt Rezensionen ihrer Bücher, dazu einen umfangreichen Artikel von Udo Klotz, in dem dieser von seinen Begegnungen mit Wolfgang Jeschke erzählt. Das sind Beiträge, die ich in einem Fanzine mag: ein wenig subjektiv, mit viel Faszination für Bücher und Autoren. Das kann ich dann teilen.

Die Kurzgeschichte »Wo der Fluss rauscht« von Peter Schünemann ist mein liebster Beitrag in diesem Fanzine. Sie spielt auf dem Mars, wo sich die Kolonisten aufmachen, zur Erde zurückzukehren – doch die Kinder haben andere Pläne. Die Geschichte ist gut erzählt, und sie spiegelt den Geist der alten Mars-Geschichten wider, die Bradbury berühmt gemacht haben. Klasse!

Der »Neue Stern« hat mir mit seiner Ausgabe 63 sehr gut gefallen, die 48 Seiten sind lohnenswert. Das farbige Titelbild rundet den positiven Eindruck nur ab. (Ein vernünftiges Impressum gibt es bei diesem Fanzine nicht. Man bestellt es am besten per Mail beim Herausgeber: phantastische.ansichten@web.de.)

26 November 2020

Maradona in Schwarzweiß

Über den Fußballer Diego Maradona ist am heutigen Tag überall viel zu lesen. »Die Hand Gottes« ist mit nur 60 Jahren gestorben, und ich bin sicher, dass in Argentinien sehr viele Leute sehr ernsthaft trauern. Für mich ist Maradona vor allem in schwarzweißen Bildern im Gedächtnis geblieben.

Und das kam so: Ich hatte keinen Fernseher. Also traf ich mich mit Freunden im Café Müller in Freudenstadt, das von uns nur »Café Siff« genannt wurde und wo wir uns regelmäßig betranken. Dort gab es einen Schwarzweiß-Fernseher, und dort guckten wir die großen Spiele.

Weil das Café von einem Jugoslawen geführt wurde, saßen also eine Handvoll zersauster junger Deutscher – die man eher in die Punk- oder Alternativ-Ecke stecken würde – zusammen mit zwei Dutzend älterer Jugoslawen in einer Gaststube. Wir tranken Schnaps und Bier in unfassbaren Mengen, wir aßen dazu Käsewürfel. Und so guckten wir 1982, 1984 und 1986 die großen Fußballturniere.

Diego Maradona war ein kleiner Mann, ein wenig pummelig, der immer fröhlich wirkte. Er rannte wie ein Kugelblitz über das Feld, und er ließ die deutschen Spieler – gefühlt – alle wie irgendwelche Trottel stehen. Es war unfassbar. Ich kannte ihn nur in Schwarzweiß, und so ist mein Bild von ihm geblieben …

JazzCore aus den späten 80er-Jahren

Ich sah die Band mit dem coolen Namen Geteilte Köpfe ein einziges Mal; es war zu Beginn der 90er-Jahre, und sie trat – wenn ich mich recht erinnere – als Vorgruppe von NoMeansNo auf. Das passte gut, weil man den Sound der Band als JazzCore betrachtete und sie damit in eine ähnliche Schublade wie die Kanadier steckte. (Die Indiepedia bezeichnet die Band als »New Wave Jazz«, was zumindest Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre kein Mensch sagte.)

Dieser Tage hörte ich mir mal wieder die Platte »hitting the past« an, die 1989 veröffentlicht wurde. Sie ist ganz schön vertrackt; da ist wenig Punk und Hardcore zu hören, das geht in der Tat wesentlich stärker in eine »jazzige« Richtung.

Die Sängerin hat eine klare Stimme, die sie mal zu einem »schönen Singen« bringt, dann zu eher abgehackten Zeilen. Die Musik schwingt zwischen break-lastigem Hardcore und jazzigen Tönen, in denen ein Saxophon, eine Trompete oder auch mal ein Akkordeon eingesetzt werden; das klingt gelegentlich melodisch-rockig, dann wieder driften die Stücke in einen hektischen Ton ab.

Ganz ehrlich: Das war eine Platte, bei der ich dachte, die würde nicht mehr funktionieren – ich hatte sie seit gut einem Dutzend Jahren nicht mehr angehört. Doch sie ging angenehm ins Ohr, sie ist sehr abwechslungsreich, wenngleich sie ohne jeglichen »Hit« auskommt.

Und natürlich stecke ich die Band und ihre Schallplatten weiterhin ins Punk-Regal und nicht zu den anderen Platten. Schließlich war die Attitüde damals schon eher »Hardcore« und nicht gerade »Wave«, was immer das in diesem Kontext bedeuten sollte ...

25 November 2020

Einige Worte zu Richard A. Lupoff

Dass der amerikanische Schriftsteller Richard A. Lupoff bereits im Oktober 2020 gestorben ist, bekam ich erst dieser Tage mit. In meiner »Blase«, durch die ich mich im Internet bewege, war das offenbar kein Thema. Vielleicht liegt das wiederum daran, dass man von Lupoff hierzulande seit langem nichts mehr gehört hat.

Ich kenne auch nur einen einzigen Roman des Schriftstellers, der ansonsten ja auf ein umfangreiches Werk zurückblicken kann. (Erstaunlich umfangreich ist der Artikel über ihn in der deutschsprachigen Wikipedia.) »Space War Blues« war ursprünglich 1978 in englischer Sprache erschienen und kam 1983 in deutscher Sprache heraus.

Ich las diesen Roman damals auch recht schnell. Seither habe ich ihn behalten, durch alle Umzüge hindurch, immer mal wieder in der Hand gehalten und mir überlegt, ihn noch einmal komplett zu lesen. Das liegt nicht nur an der Handlung dieses skurrilen Science-Fiction-Werkes, die im Prinzip ja auch eine Verarschung von Space-Opera- und Military-SF-Klischees ist, sondern unter anderem an der Übersetzung.

Im Original lebt der Roman wohl von diversen amerikanischen Südstaaten-Dialekten; die Soldaten stammen beispielsweise aus Alabama. Das wurde von dem Übersetzer – es war Joachim Körber – in einen deutschen Pseudo-Dialekt übertragen. Das fanden hierzulande nicht alle Leser toll, ich mochte es sehr.

So blieb mir Lupoff im Gedächtnis, über all diese Jahrzehnte hinweg. Das hat nicht jeder Autor geschafft, mit dem ich in den frühen 80er-Jahren eine erste Bekanntschaft schloss ...

Über ein gefühlloses Mädchen

Bereits 2003 verstarb der chilenische Schriftsteller Roberto Bolaño, der von vielen Kritikern als einer der besten Autoren seines Landes bezeichnet wurde. Gelesen habe ich von ihm endlich mal ein Buch – ein schmales Werk mit dem schönen Titel »Lumpenroman«.

Der sehr lakonisch erzählte Roman ist in Rom angesiedelt, was aber relativ egal ist, denn er könnte überall in der »westlichen Welt« spielen. Bianca ist ein Mädchen, das ziel- und gefühllos durchs Leben stolpert. Sie jobbt bei einem Friseur, ansonsten vertrödelt sie ihre Zeit zusammen mit ihrem Bruder; die Eltern sind tot.

Als sich zwei Männer in der Wohnung der Geschwister einzecken, wird aus dem sowohl gemütlichen als auch langweiligen Leben der beiden ein Abenteuer. Die Männer wollen nämlich Bianca als Köder einsetzen, um endlich an das große Geld heranzukommen.

Ein alternder, längst erblindeter Mann kommt ins Spiel. Er war in früheren Jahren als Bodybuilder und Schauspieler erfolgreich, lebt zurückgezogen in einer Villa und verbirgt angeblich große Schätze in seinem Tresor. Bianca erhält den Auftrag, sich an den Mann heranzumachen, um so den Männern den Zugang zum Haus zu verschaffen.

In ihrer überaus coolen Art gelingt ihr das; sie schläft mit dem Mann, der im Buch gelegentlich als »Ungeheuer« bezeichnet wird. Aber zum Überfall auf den Tresor kommt es dann doch nicht ...

Robert Bolaño erzählt die Geschichte eher nüchtern und gelassen. Bianca ist eine Hauptfigur, die mir als Leser nicht sympathisch wird; sie schläft mit ihren Mitbewohnern ebenso gleichgültig wie mit dem alternden Muskelprotz, den sie eigentlich um sein Geld erleichtern möchte. Sie scheint völlig gefühlskalt zu sein, und mit dieser trockenen Darstellung erzeugt der Autor ein leicht gruseliges Gefühl: Als Leser fragt man sich unweigerlich, warum sie sich so verhält und was sie in ihrem Inneren versteckt.

Man erfährt das nicht, vieles in diesem Roman bleibt den eigenen Gedanken überlassen. Die Geschichte steckt, wenn man sich auf sie einlässt, voller depressiver Einblicke. »Lumpenroman« ist kein fröhlicher Roman, sondern ein düsterer Blick in die Welt einer seltsamen Hauptfigur. Okay, es war der Roman, den Bolaño kurz vor seinem Tod veröffentlichte – vielleicht gibt es hier Zusammenhänge.

»Lumpenroman« ist kein Werk, das ich mit Begeisterung empfehlen möchte. Es ist aber lohnenswert. Ich habe es als spannend und sehr unterhaltsam empfunden, und es ist sicher ein Buch, das ich auch mal wieder in die Hand nehmen werde, um einzelne Seiten zu lesen.

Die Hardcover-Ausgabe erschien hierzulande im Jahr 2010, seit 2014 liegt im Fischer-Verlag auch eine Taschenbuch-Version vor. Die 112 Seiten kosten in dieser Version 9,99 Euro; wer mag, kann das Buch mithilfe der ISBN 978-3-596-18785-0 überall im Handel bestellen. Oder eben bei den einschlägigen Versandhändlern.

24 November 2020

Comic-Krimi zwischen »James Bond« und »Largo Winch«

Grafisch sehr cool, inhaltlich spannend gemacht: Mit »Der Mann, der die Gebete der toten Kinder hört« liegt seit einiger Zeit der erste Band einer neuen Comic-Serie im Splitter-Verlag vor, die neugierig auf eine Fortsetzung macht. Der Name der Serie ist »Der Erlöser«, eigentlich ein Krimi, gleichzeitig aber auch eine Geheimagentengeschichte.

Hauptfigur des ersten Albums ist ein Milliardär namens Jean Ravelle. Tagsüber bewegt er gigantische Geldbeträge um den Globus, nachts geht er auf Verbrecherjagd. Vor allem hat er es auf Männer abgesehen, die Kinder und Jugendliche missbrauchen, sie für den Drogenhandel einsetzen oder vergewaltigen. Ravelle übt Selbstjustiz an Stellen, wo die wirkliche Justiz seiner Ansicht nach versagt, und dabei stehen ihm diverse Leute zur Seite.

Als es zum Konflikt um die Macht in seinem Konzern kommt, bei dem seine chinesische Frau und ihre Familie ihn offenbar betrügen wollen, beschließt er, sofort unterzutauchen. In der Folge reist er um die Welt, taucht in Zürich oder in Dubai auf, trifft Bekannte und kämpft gegen Mörder.

(Kurzer politisch-wirtschaftlicher Einschub: Wie so ein Konzern eigentlich entsteht und wie man ihn führt, darum geht es in diesem Comic nicht. Aber das erfährt man in »Batman« oder »Largo Winch« auch nicht, um zwei Serienfiguren zu nennen, die ebenfalls steinreich sind und gegen Verbrecher kämpfen. Wahrscheinlich interessiert das weder Comic-Autoren noch Comic-Leser.)

Erzählt wird die Geschichte von Stephen Desberg. Der belgische Autor hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von erfolgreichen Comics geschrieben; bei »Stern der Wüste« war er im Western aktiv, bei »Golden Dogs« lieferte er einen starken historischen Vierteiler.

Mit »Der Erlöser« setzt er auf knallige Thriller-Elemente in verschiedene Weltgegenden: Schnelle Szenenwechsel treiben die Handlung voran, es gibt Action und Erotik und eine Reihe von geheimnisvollen Verwicklungen.

Die spannende, wenngleich nicht schreiend originelle Geschichte überträgt Miguel Lagor in rasante Bilder. Der aus Brasilien stammende Zeichner setzt nicht nur sein Heimatland hervorragend in Szene, sondern liefert auch beeindruckende Bilder von anderen Metropolen. Darüber hinaus zeichnet er Action oder Gesprächsszenen gleichermaßen in einem sehr realitätsnahen Strich, der tatsächlich »cool« wirkt.

Das ist alles richtig gut gemacht – ein gelungener Comic, den ich in einem Rutsch gelesen habe. Nun warte ich gespannt auf die Fortsetzung ...

Erschienen ist der erste Band von »Der Erlöser« in typisch aufwendiger Splitter-Optik; die 48 Seiten im Hardcover-Format kosten 14,80 Euro. Mithilfe der ISBN 978-3-95839-358-5 gibt's den Comic überall im Buchhandel.

23 November 2020

Das härteste Weihnachten?

Wenn Politiker zu Aussagen greifen, die etwas mit Superlativen zu tun haben, werde ich immer misstrauisch. Meist vergreifen sie sich im Ton, häufig ist es auch inhaltlich falsch. Und das wird in Zeiten der Corona-Pandemie leider nicht viel besser.

So ist das Beschwören der weihnachtlichen Freuden in meinen Augen sowieso eher peinlich. Als ob wir in diesem Land angesichts der Pandemie nicht andere Probleme hätten!

Richtig ärgerte ich mich aber über die Bezeichnung, es kämen eventuell die »härtesten Weihnachten« seit dem Krieg auf uns zu. Das kommt ein erschütterndes Geschichtsbewusstsein zum Vorschein.

Wir brauchen uns nicht mal einen Kopf darüber machen, dass es viele Menschen weltweit gibt, für die das Weihnachten 2020 sicher schlimmer sein wird als für wohlstandsverwöhnte Mitteleuropäer. Millionen von Menschen sind auf der Flucht, leben unter erbärmlichen Umständen, leiden an Hunger und Krankheiten, sind von Krieg und Terror bedroht.

Aber ein Blick in die deutsche Geschichte belegt, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg sicher »härtere« Weihnachten gab. Schon einmal etwas vom Hungerwinter gehört? So viel Geschichtswissen sollte ein deutscher Politiker aufbringen.

Im Winter 1946/1947 starben allein in Deutschland einige hunderttausend Menschen, im restlichen Europa und auch in Asien gab es sicher ähnlich katastrophale Zahlen. In welchem Elend die Ausgebombten und Vertriebenen, die Flüchtlinge und Gefangenen die Weihnachtsfeiern 1945, 1946 und so weiter verbringen mussten, kann ich mir kaum vorstellen.

Die Corona-Pandemie ist schlimm. Aber falsche historische Vergleiche machen die Lage nicht besser.

Probleme aus Portland

Ich habe die Band P.R.O.B.L.E.M.S. tatsächlich noch nie live gesehen. Das ist ein Fehler, den ich irgendwann hoffentlich ausgleichen kann. Ich habe es zudem geschafft, die Platte »Doomtown Shakes« erst dieser Tage anzuhören, obwohl sie 2017 worden ist. Es wird also Zeit, dass ich an dieser Stelle auch einiges nachhole.

Die Band ist ja eine Institution in der aktuellen Punk-Hardcore-Szene. Sie stammt aus Portland, Oregon, tourte mehrfach kreuz und quer durch die Lande. Die einzelnen Mitglieder spielten davor bei anderen Bands, die allesamt szenebekannt geworden sind.

Höre ich mir die Platte an, auf der sich zehn knallige Stücke befinden, höre ich vor allem Hardcore-Punk der alten englischen Schule, gelegentlich mit einer tüchtigen Prise Rock'n'Roll oder Hardrock abgeschmeckt. Der Sänger brüllt die meiste Zeit, kotzt die einzelnen Silben der Texte geradezu raus. Die Gitarre rattert, gelegentlich wird mir aber zu viel herumgefiedelt. Das kann nicht alles gefallen, zumindest nicht mir.

Manchmal klappt der Spagat zwichen den Stilrichtungen ja gut. »Fortunate One« ist beispielsweise ein starkes Beispiel für die Fusion aus Hardcore-Punk und klassischem Hardrock, das klingt dann nach alten Motörhead-Stücken, was ich hier positiv meine. Bei anderen Stücken ist mir der Metal-Anteil zu groß.

Unterm Strich serviert die »Doomtown Shakes!« aber einen tüchtigen Prügel-Sound, zu dem sich der klassische 80er-Jahre-Pogo hervorragend tanzen ließe. Vom Tempo her passt das allemal, da käme auch ein alternder Mensch wie ich gut mit. Gute Platte!

22 November 2020

McDonald & Dodds

Mehr aus Zufall sah ich mir in der ZDF-Mediathek die erste Folge der britischen Krimi-Serie »McDonald & Dodds« an, war davon gleich ganz angetan und möchte nun auch schnellstmöglich die anderen Folgen ansehen. (Zu meiner Freude hat die BBC eine weitere Staffel in Auftrag gegeben.) Die Serie ist sehr neu, die Ausstrahlung im englischen Fernsehen erfolgte auch erst im Frühjahr. Bisher kann man in der Mediathek nur zwei Folgen anschauen.

Es handelt sich um einen Polizei-Krimi mit leichtem Witz. Der Witz kommt vor allem von der Kulisse und von den Hauptfiguren. In Bath, der schicken englischen Kleinstadt, gibt es ab und zu auch ein Verbrechen. Ansonsten aber ist man dort sehr gemütlich unterwegs.

Als eine recht knallig auftretende Ermittlerin – das ist McDonald – von London nach Bath abkommandiert wird, möchte sie vor allem die Fälle schnell lösen und nicht viel Zeit mit nervigen Gesprächen verlieren. Man stellt ihr den Sergeant Dodds zur Seite, der ein wenig vertrottelt wirkt, sehr altmodisch ist und mit vielen Dingen der heutigen Zeit nichts anfangen kann.

Die BBC-Macher stellen also ein Paar gegenüber, die man es kaum gegensätzlicher machen kann: Karrierefrau gegen Nerd. Dunkelhäutig gegen sehr hellhäutig. Jung gegen ältlich. Sportlich gegen kränklich. Und so weiter. Aber schon in der ersten Folge wird klar, dass die Karrierefrau den Nerd brauchen kann, und in der zweiten Folge verstehen sie sich langsam.

Schon klar: Nach zwei Folgen kann man noch kein Fazit ziehen. Aber die Vermengung von Witz und Krimi-Ermittlung hat mir bisher sehr gut gefallen. Ich freue mich auf die Fortsetzungen!

Knatternd unter der Brücke

Den Lärm hörte ich schon, bevor ich mit meinem Rad die Brücke erreichte. Ich musste sie unterqueren, um von Neureut aus in das Naturschutzgebiet radeln zu können. Es war ein eindrucksvolles Bauwerk: Oben drüber floss der Verkehr in vier Fahrspuren, unten war eine große Platte, die dank der riesigen Säulen eine besondere Akustik bot.

In den 90er-Jahren hatte ich eine Party besucht, die unter dieser Brücke veranstaltet worden war. Der Lärm war enorm gewesen, das hatte ich lustig gefunden.

Lustig fanden auch die zwei Jungs das, was sie taten. Sie waren vielleicht 15 Jahre alt, saßen auf Mofas, die sie voll aufgedreht hatten, und fuhren im Kreis, hintereinander her oder zwischen den Säulen in Schlangenlinien herum. Sie trugen keine Helme und grinsten bis hinter die Ohren, als ob sie die Mofas erst seit Kurzem hätten.

Die Motoren knatterten, es stank nach Verbrennungsmotor und guter Laune. Ich strampelte zwischen den beiden hindurch, sie wichen mir ein wenig aus, ließen sich ansonsten aber nicht stören.

Immerhin halten sie jegliche Corona-Sicherheitsregel ein, dachte ich schmunzelnd, als ich danach in den Weg in Richtung Naturschutzgebiet einbog.

20 November 2020

Sünden, Schuld und Ekel

Zuletzt hörte ich im Autoradio das Hörbuch »Die Sünden«; dabei handelt es sich um den dritten Teil des Vierteilers »Die Dynastie der Winter« – und diese Miniserie gehört zum Serienkomplex um den exzentrischen Zeitreisenden »Doctor Who«. Ich kenne mich mit diesem Kosmos überhaupt nicht aus, betrachte ihn seit Jahren von außen und freue mich immer, ein wenig mehr davon mitzubekommen.

Die Hörbücher erzählen jeweils eine in sich abgeschlossene Geschichte. Das ist gut für Leute wie mich, die viele Zusammenhänge rings um den Doctor und seine Begleiterin Clara einfach nicht verstehen. Durch die drei Teile des Vierteilers, die ich bislang kennenlernen konnte, vermittelte sich mir auf jeden Fall ein erstes Bild.

Auch jemand, der keine Ahnung von der Szenerie hat, bekommt eine interessante Science-Fiction-Geschichte serviert: Irgendwo in den Weiten des Alls schwebt eine Weltraum-Kathedrale, sie ist praktisch das einzige Gebäude auf einem Asteroiden. Sie ist der Sitz einer Religionsgemeinschaft, die sich als »Kult des Primären Selbst« bezeichnet.

Anführer der Religion ist ein Kardinal namens Shadrak Winter. Er befürchtet, von seinen Gegnern umgebracht zu werden, weshalb er den Doctor zu Hilfe ruft. Als wirkliche Gefahr gibt es auf dem Asteroiden bereits die sogenannten Sündvollen, eine Art von riesenhaften Blutegeln, die sich von der Schuld und den Sünden der Menschen ernähren.

Das klingt kompliziert, ist es letztlich auch. Das Spannende an dem Hörbuch sind nicht die religiösen Verwicklungen, sondern die Vorstellung, dass es eklig aussehende Lebenwesen gibt, die einem wirklich die Schuld abnehmen können, bei denen man die Sünden loswerden kann und die dadurch auf unheimliche Weise wachsen. Das ist eine originelle Idee, die ich so in der Science Fiction noch nie gelesen hatte.

Streckenweise kam mir die Geschichte sogar recht witzig vor. Der Doctor wirkt verwirrt, während sich Clara an ihre Zeit als Lehrerin erinnert. Beim Kampf gegen die Sündvollen entsinnt sie sich der Techniken, die sie als Lehrerin erlernte.

Gelesen wird das Hörbuch von Lutz Riedel, der eine angenehme Stimme hat, der die Figuren auch gut rüberbringt. Manchmal wirkt seine Stimme zu »alt« – bei Clara, die doch eher jung ist, passt sie dann nicht. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau.

»Die Sünden« hat eine originelle Idee, die einen auch mit der Lösung überrascht. Ich fand das Hörbuch unterhaltsam, witzig und spannend. In der Reihe der bisherigen »Doctor Who«-Hörbücher gefiel es mir eindeutig am besten.

19 November 2020

Werbung für den SFCD

In den 90er-Jahren versuchte der Science-Fiction-Club Deutschland sich noch einmal an einer Offensive in Sachen Werbung. Es gab noch Fanzines, die in gedruckter Form geschickt wurden, und ihre Auflagen waren immer noch recht ordentlich. Also bot es sich an, in solchen Fanzines allerlei Anzeigen zu schalten.

Inwiefern diese Anzeigen funktionierten oder Erfolge brachten, ist von Außenstehenden kaum nachzuvollziehen. Als Beispiel soll einfach eine Anzeige dienen, die 1994 im »Fandom Observer« veröffentlicht wurde. So sah das damals aus – kurz bevor das Internet auch im deutschsprachigen Raum seinen Siegeszug antrat …

Als X zum Hardrock wechselten

Die kalifornische Band X zählt zu den legendären Gruppen, die bereits 1977 damit anfingen, ihre Version von Punkrock zu spielen. Im Verlauf der 80er-Jahre wurde die Band poppiger und rockiger, sie verließ den klassischen Punk und wurde radiotauglich. 1985 wurde die Langspielplatte »Ain't Love Grand« bei Elektra Records veröffentlicht, die ziemlich hardrockig klingt – dieser Tage hörte ich sie mir mal wieder an.

Mit dem Abstand von über dreißig Jahren heilt ja so manche Wunde: Die Platte gefällt mir nun weitaus besser als zu der Zeit, als ich sie mir kaufte; sie ist tatsächlich gut gealtert. Klar, die Gitarre wird oftmals sehr metallisch gespielt. Klar, die Aufnahmen sind ganz schön aufgemotzt. Und klar, das alles ist oftmals eben IndieRock oder Hardrock, aber eben weit weg vom Punk.

Nur ... schaut man sich an, wie gut oder schlecht oder auch drogenverseucht viele amerikanische Punk-Bands in der Mitte der 80er-Jahre waren, weiß man eben, warum Hardcore um diese Zeit seinen Siegeszug antrat. »Ain't Love Grand« ist eine schmissige Platte mit sehr gelungenen Rock-Riffs, mit oftmals schrammeliger Gitarre, mit teilweise gnadenlos guten Melodien.

Stücke wie »Supercharged« sind durch die Aufnahmen arg geglättet, aber die zickige Stimme der Sängerin und die schroffe Gitarre peitschen das Stück in einer Art und Weise nach vorne, die ich heute wieder richtig klasse finde. Von den elf Stücken auf der Platte ist mehr als die Hälfte richtig gut – und auch die anderen bieten zumindest ordentliche Rock-Musik.

Wobei das Eröffnungsstück »Burning House Of Love« mit allerdings heute noch Schmerzen bereitet; das ist wahrscheinlich gar nicht schlecht, wurde aber völlig überproduziert, inklusive ekligem Gitarrengewichse. Das hätte auch von Styx oder sonst einer der damals angesagten »Rock«-Bands sein können. Aber die zweite Seite der Langspielplatte ist einfach deutlich besser als die erste ...

Ganz klar: keine Platte für die Ewigkeit, sicher kein Meisterwerk der Band. Aber weitaus besser als ich sie in Erinnerung hatte und ein schöner Beleg dafür, wie man Mitte der 80er-Jahre versuchte, aus ehemaligen Punk-Bands einen wie auch immer gearteten kommerziellen Erfolg zu schnitzen. Wenige Jahre gelang das bekanntlich, und heute ist Punkrock in seiner kommerziellen Version gut auf den großen Festivals dieser Welt vertreten.

18 November 2020

Wahlkampf in der Stadt

Vereinzelt hängen Wahlplakate in Karlsruhe, die auf etwas hindeuten, das eigentlich sehr wichtig ist: Der Oberbürgermeister soll gewählt werden. Es ist eine Wahl unter Corona-Bedingungen, und man merkt, dass es praktisch keine öffentlichen Veranstaltungen gibt. Da ich keine lokale Tageszeitung lese, würde ich von der Wahl kaum etwas mitbekommen.

Die Wahlplakate sind an Aussagelosigkeit kaum zu übertreffen. Die Sprüche sind markig und austauschbar; man erkennt nicht, für welche Ziele welcher Kandidat oder welche Kandidatin stehen. Immerhin kann man ab und zu Internet-Adressen erkennen – aber ob ich mir dann daheim anschauen werde?

Mittlerweile steckte doch die eine oder andere Information im Briefkasten. Auf dem Markt nahm ich zudem eine Infobroschüre mit, die ich als braver Steuerzahler komplett durchlas. Wie immer enthielten alle Broschüren viel Politiker-Blabla: Man möchte halt alles ganz toll machen. Das kann man glauben oder als Werbung betrachten.

Für den Amtsinhaber stimmte ich vor acht Jahren. 2013 wurde er aber vor allem deshalb gewählt, weil man den Kandidaten der CDU verhindern wollte. So ging es mir ja auch; ich hatte nicht die geringste Ahnung, für welche Inhalte denn Frank Mentrup steht.

Nach acht Jahren weiß ich das eigentlich immer noch nicht. Es gibt viel Kritik an ihn, die ich nicht unbedingt nachvollziehen kann. Auf mich macht er keinen unfähigen Eindruck. Mancher Unfug in der Stadtpolitik ist nicht ihm anzulasten, sondern der grünen Mehrheitsfraktion.

(Ich bin auch für mehr Radwege in der Stadt, fahre ja schließlich selbst sehr viel Rad. Wenn man aber eine neue Stau-Situation nach der anderen produziert, ist das weder ökologisch noch sonstwie sinnvoll.)

Da ich das Wahlrecht für eine wichtige Errungenschaft der Demokratie halte, werde ich auf jeden Fall zur Wahl gehen (Briefwahl-Unterlagen habe ich angefordert). Wo ich mein Kreuz mache, weiß ich allerdings noch nicht …

Eine persönliche Reise durch ein spannendes Leben

Ich muss gestehen, dass ich von Curt Siodmak nicht viel wusste. Ich kannte den Namen, klar, aber ich hatte nie einen Roman, eine Erzählung oder ein Drehbuch von ihm gelesen. Auch keiner der Filme, für die er geschrieben hatte, war von mir konsumiert worden. Das ist eine Bildungslücke, ich weiß.

Umso gespannter war ich auf sein Buch »Unter Wolfsmenschen«, mit dessen Lektüre ich dieser Tage begann. Es erschien bereits 1995 im Weidle-Verlag in Bonn und ist der erste Teil der Siodmakschen Autobiografie. Es deckt die Jahre von seiner Geburt bis zu seiner Emigration in die Vereinigten Staaten ab – und es ist spannender als mancher Krimi. (Teilweise wurde es auch zu einer filmischen Dokumentation verarbeitet, die ich aber nie gesehen habe.)

Siodmak wuchs in der Kaiserzeit auf. Zu seinen frühen Erinnerungen zählen Spaziergänge über den Markt in Dresden. Später interessiert er sich für Filme, wird zu einem wichtigen Menschen in der deutschen Filmlandschaft, wird dann aber – weil er Jude ist – ins Exil gezwungen. Letztlich landet er mit seinem Bruder Robert in den USA, wo sie beide zu berühmten Filmemachern werden.

In seinem Buch »Unter Wolfsmenschen« springt er munter hin und her, erzählt aber so spannend und mitteilungsbedürftig, dass ich mit der Lektüre kaum aufhören konnte. So wechselt er von einer Kindheitserinnerung zur Massenverbrennung von Leichen in Dresden nach den schrecklichen Bombenangriffen gegen Kriegsende.

Wenn er von seinen Verwandten erzählt, kommt durchaus eine lustige Begebenheit, auf die dann eine Auflistung folgt, wer in welchem Lager umgebracht wird. Ähnliches bei seinen Klassenkameraden, über die er Anekdoten aus der Kindheit erzählt und dann berichtet, an welchem Abschnitt der Kriegsfronten oder in welchem Gefangenenlager sie umgekommen sind.

Siodmak erzählt von seinen Begegnungen mit Schauspielern und Regisseuren, von seiner großen Liebe zu seiner Frau, von seinen Reisen durch Europa, von seinen verzweifelten Versuchen, im Exil Fuß zu fassen, von seinem traurigen Blick auf Deutschland, das sich während des Nazi-Regimes immer fürchterlicher veränderte. Das Buch ist wie eine Achterbahnfahrt durch einige Jahrzehnte mitteleuropäischer Geschichte, erzählt aus einem subjektiven Blickwinkel und deshalb umso spannender.

Tolles Buch! Ich versuche nun, mir den zweiten Teil dieser Autobiografie zu besorgen.

17 November 2020

Verschachtelter Krimi-Comic

Manchmal versacken bei mir die Dinge: Romane landen in Stapeln ungelesener Bücher, Platten stehen ungehört in einer Ecke, Comics verstauben in einem Stapel. Das ist peinlich, aber angesichts meines Lebenswandels und meiner Arbeitszeit kaum zu ändern. Immer wieder bin ich dann verblüfft, was ich alles finde und lese ...

Ein Beispiel dafür ist der Comic »Dieb der Diebe«, der nun doch schon einige Jahre auf dem Buckel hat, den ich aber erst dieser Tage las. Den fand ich packend erzählt und auch ziemlich gut gezeichnet; ich las den ersten Band der Serie, der hierzulande von Panini veröffentlicht worden ist.

Worum es geht? Ein Einbrecher will eigentlich aus seinem bisherigen Gewerbe aussteigen, aber es stellen sich ihm bei seinem Rückzug aus dem Gangsterleben viele Hindernisse in den Weg. Er muss sich mit der Polizei ebenso herumschlagen sowie mit ehemaligen Kampfgenossen, und das alles ist mit viel Ärger verbunden ...

Die gelungene Geschichte, die sehr temporeich erzählt wird, stammt von Robert Kirkman – unterstützt durch Nick Spencer –, der mit einigen seiner Comics sehr erfolgreich wurde. Richtig bekannt wurde er durch »The Walking Dead«, wobei die wenigsten Serienzuschauer gewusst haben dürften, dass es sich um die Verfilmung eines Comics handelt. Kirkman veröffentlichte darüber hinaus eigene Comics im Eigenverlag und lieferte umfangreiche Arbeiten für Marvel. Der Mann weiß also, wie man Comics so erzählt, dass sie spannend und modern sind und trotzdem nicht die Leser überfordern.

Seine Geschichte ist dynamisch, sie bietet eine Reihe von ungewöhnlichen Wendungen und packt einen als Leser über die gesamte Distanz hin. Die Zeichnungen von Shawn Martinbrough und die Farbgebung unterstreichen die schnelle Erzählweise, die mich über die gesamte Länge fesselte.

Klar, das ist nicht schreiend originell – halt die Story eines sympathischen Verbrechers –, aber einfach sehr gut gemacht.

In einem Buch mit Heinrich Böll

1982 wurde eine Kurzgeschichte von mir in einem Buch veröffentlicht, in dem auch der Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll vertreten war. Wie ich zu dieser Veröffentlichung kam, vergaß ich aber im Verlauf der vielen Jahre, die seitdem vergangen sind. (Ich vermute, dass der Kontakt über das »Ulcus Molle Info« zustande kam, das ich damals abonniert hatte und in dem viele Tipps für angehende Autorinnen und Autoren zu finden waren.)

Herausgeber der Anthologie war Harry Böseke – ich erfuhr erst durch diese aktuelle Recherche, dass er bereits verstorben war. Wir hatten damals einige Briefe gewechselt, ich fand sein Heft »Betonstadt« beeindruckend; ich wohnte auf dem Dorf, und für mich war das alles sehr fremd. Mir kam er sehr alt und erfahren vor, dabei war der Kinderbuchautor und Journalist damals gerade anfangs der dreißig.

Als Verlag zeichnete der Lamuv-Verlag verantwortlich. Einer der Verlagsgründer war ein Sohn von Heinrich Böll, was ich damals natürlich nicht wusste – es hätte mich wohl kaum interessiert. Heinrich Böll war Literatur für den Deutschunterricht, erst später las ich seine Werke freiwillig.

Die Anthologie versammelte die Texte von Jugendlichen, dazu einige kurze Artikel über Jugendliche, und sie trug den Titel »Der (un)demokratische Alltag«. Von mir stammt die Geschichte »Tagebuchnotizen«, die in der fernen Zukunft der Jahre 2005 und 2013 spielt – eine sehr düstere Zukunft übrigens, in der in Mitteleuropa die Demokratie abgeschafft worden ist. Es ist die einzige Science-Fiction-Geschichte der rund 200 Seiten starken Anthologie.

Schön ist auch, wie man mich vorstellte: »Klaus N. Frick, 17 Jahre, lebt in Freudenstadt« steht über der Überschrift. Ob ich damals stolz auf die Veröffentlichung war? Sicher! Ansonsten fanden es sowohl meine Familie als auch Eltern oder Mitschüler eher albern.

16 November 2020

Spezielle Diebe

Warum wir auf das Thema »Diebstähle« kamen, wusste ich hinterher nicht mehr. Ich erzählte von dem Kleptomanen, der zeitweise unseren Verlag unsicher gemacht hatte, und mein Kumpel Torsten plauderte über Interna der Firma, in der er arbeitete.

»Man glaubt ja nicht, was die Leute alles stehlen«, sagte er kopfschüttelnd. »Kannst du dir vorstellen, dass Leute ernsthaft Armaturen im Klo klauen?«

»Wieso das denn? Haben sie die selbst gebraucht?«

»Keine Ahnung. Hör’s dir mal an.« Er trank einen Schluck Bier, als wollte er meine Aufmerksamkeit fesseln. »Ich versuch’s zu rekonstruieren.«

»Mach’s nicht so spannend!«

»Schon recht.« Er winkte ab. »Eines Tages stellten wir fest, dass in unserem Klo an einem Waschbecken die Armaturen abgeschraubt worden waren. Fachmännisch hatte jemand die alte Mischbatterie entfernt. Wir wunderten uns alle, weil das Ding ja alles andere als neu war. Aber …« Er zuckte mit den Achseln.

Ich verdrehte die Augen. Torstens Gerede war echt wie im Film. Aber ich hielt die Klappe. Die Genugtuung, dass ich zu zappeln anfing, wollte ich ihm nicht geben.

»Wir haben dann eine neue Armatur gekauft«, erzählte Torsten weiter. »Die passte genau in das Loch am Waschbecken, sie war ein bisschen schicker und teurer. Und die montierten wir dann hin.« Er holte tief Luft.

Ich platzte fast. »Jetzt sag schon!«

Er grinste nur. »Einen Tag später kam ich ins Klo, und die neue Armatur war abgeschraubt, wieder fachmännisch und korrekt. An ihrer Stelle steckte nun die alte Armatur drin. Da hatte sich der Kollege wohl gedacht, wenn er sich schon so ein Ding daheim reinschraubt, soll es auch eine moderne Mischbatterie sein und nicht eine, die schon zwei, drei Jahre auf dem Buckel hat.«

Er schüttelte den Kopf, er grinste, und dann lachten wir beide.

Die Idles sind stark

Wenn eine Band von der allgemeinen Presse abgefeiert wird und beispielsweise in der »Zeit« einen großen Artikel bekommt, bin ich immer misstrauisch. Kann man so einer Band dann noch irgendwie trauen, gefällt mir so etwas? Das ist bei mir vielleicht ein pubertärer Reflex, aber ich kann kaum dagegen ankämpfen. Die Band Idles aus England ist auf jeden Fall so ein Phänomen: international durchaus erfolgreich, allerdings doch so geartet, dass sie mir sehr gut gefällt.

Die Idles kommen aus Bristol und spielen schon seit Beginn der Zehner-Jahre zusammen. Ich habe ihre Platte »Joy As An Act of Resistance« gehört, die 2018 erschienen ist. Die ist vor allem unglaublich abwechslungsreich: Manchmal bolzt die Band mit einer wahren Begeisterung durch punkig-schroffe Melodien, dann wieder wird im IndieRock herumgeschrammelt, dass ich am liebsten mitweinen würde. Stücke wie »Samaritans« habe eine Spannung wie bei einem guten Emopunk-Stück, das kann ich mir auch zweimal hintereinander anhören. Langweilig wird einem diese Platte nicht.

Bei den Texten ist die Band stets auf der kritischen Seite. Man äußert sich zu allgemein politischen Themen, erzählt vom Leben als Musiker, bringt das Ganze auch durchaus witzig zur Geltung. Die Platte ist richtig gut, man kann sie sich mehrfach anhören, ohne dass sie langweilen würde.

Der Hype um die Band ist mir unheimlich – das kann ich nicht bestreiten. Aber diese Platte ist trotzdem gut.

15 November 2020

Besuch im »Bücherland«

Von der Existenz des »Bücherlandes« wusste ich schon seit einigen Jahren. Ich war einige Male daran vorbeigefahren, hatte es aber nie geschafft, einen Fuß in den Laden zu setzen. Von der West- in die Oststadt von Karlsruhe komme ich dann doch nicht so oft, wie ich selbst annehmen würde.

Das »Bücherland« ist in einem schmucklosen Flachbau untergebracht, ganz in der Nähe von Wohnblocks, und dem eigentlichen Zentrum der Oststadt. Betritt man das Gebäude – so ging es zumindest mir –, ist man erst einmal erschlagen: Es ist ein großer Raum, der voller Regale ist, und die wiederum sind voller Bücher. Es handelt sich um einen riesigen Second-Hand-Laden, nein, um ein Paradies für Leute, die für kleines Geld Bücher kaufen wollen.

Es gibt eine lose Einteilung nach Genres; so ist beispielsweise die Lyrik in einem separaten Bereich zu finden. Science Fiction findet sich unter »Fantasie«, dort wiederum fand ich einen Haufen von Büchern, in denen mein Name im Impressum steht. Aber so richtig strukturiert ist dieser Bereich nicht.

Auch die alphabetische Ordnung wird wohl eher als eine Empfehlung verstanden. Und ob ein Roman bei »Krimi« oder bei »Literatur« steht, scheint ein wenig vom Glück abhängig sein.

Sagen wir es so: Ich wollte nur kurz reinschauen und blieb eine Viertelstunde. Ich wollte nichts kaufen und zog mit zwei Hardcover-Bänden von Jonatham Lethem und Dave Eggers ab. Ich nahm mir vor, so schnell nicht wieder in das »Bücherland« zu gehen, und weiß schon jetzt, dass ich das nicht einhalten werde …

13 November 2020

Doctor Doolittle und andere Phantasten

Wie so oft hinke ich mit der Lektüre der Zeitschrift »phantastisch!« dem Erscheinen hinterher. Mittlerweile liegt die Ausgabe 80 des Magazins vor, ich habe aber erst dieser Tage die Ausgabe 79 zu Ende gelesen. Das ändert nichts daran, dass sie lesenswert ist und ich sie empfehlen kann – man kann schließlich ältere Ausgaben des Magazins nachbestellen.

Mir gefällt vor allem immer die Bandbreite. In diesem Fall fand ich den Artikel über »Doctor Doolittle« spannend. Als Kind hatte ich von der Serie einige Teile gesehen, keine komplette Folge allerdings. Ich hatte die Bücher nicht gelesen, aber der Doktor, der mit den Tieren sprechen konnte, gehörte immer da zu den Themen meiner Kindheir zu. In einem spannenden Artikel zeigt Horst Illmer die Vorgeschichte des Arztes und die verschiedenen Ausprägungen des Doolittle-Universums. Die farbigen Abbildungen regen glatt die Fantasie an – toll!

Interessant sind wie immer die Interviews. Ken Liu und Martha Wells sind top-aktuell, ihre Bücher sollte ich endlich einmal lesen. Boris Koch und Frauke Berger werden über ihr gemeinsames Comic-Projekt ausgefragt, mit dem ich nicht so viel anfangen konnte – das Interview ist trotzdem lesenswert.

Darüber hinaus gibt es in diesem Magazin weitere Beiträge zur Science Fiction und zur Fantasy, nicht nur in gedruckter Form, sondern auch in Form von Filmen. Comics und Kinderbücher spielen ebenso eine Rolle; es ist wie jedes Mal eine sehr gelungene Mischung, die nicht nur viele Informationen vermittelt, sondern auch gut unterhält. Zu dieser Unterhaltung tragen zudem ein Comic und zwei Kurzgeschichten bei; eine schöne Mixtur.

Das Heft hat einen Umfang von 88 A4-Seiten, es sieht wie immer phantastisch aus und wirkt sehr professionell. In meinen Augen ist es die Publikation, die derzeit in Sachen Science Fiction und Fantasy im deutschsprachigen Raum unverzichtbar ist. Ich empfehle ein Abonnement beim Atlantis-Verlag, aber natürlich kann so ein Einzelheft auch direkt bestellt werden.

12 November 2020

Klassisches Fanzine für Lovecraft-Fans

Ich habe dieser Tage die Nummer 17 des einflussreichen Fanzines »The Miscatonic« gelesen. Es kam im Februar 1977 heraus, war die erste Ausgabe im fünften Jahrgang dieses Fanzines und wurde mit dem Umdruckverfahren hergestelt. Auf rund vierzig Seiten im A4-Format beschäftigte sich das englischsprachige Heft mit dem Phänomen H. P. Lovecraft – und man findet heute noch bekannte Namen darin.

So stammt ein ausführlicher Artikel von S.T. Joshi, der sich in späteren Jahren und Jahrzehnten als ein Experte nicht nur für Lovecraft, sondern auch für andere Phantastik- und Horror-Autoren erwies. Weitere Texte beschäftigen sich eher damit, in welchen Zusammenhängen der Autor genannt wurde und wo sich Artikel über ihn fanden. Sogar deutschsprachige Quellen – etwa von Franz Rottensteiner – wurden in dieser Auflistung erwähnt.

Stark finde ich, dass in diesem Fanzine sogar ein Lovecraft-Gedicht veröffentlicht wurde. Aber es war natürlich vor allem ein Fanzine, in dem über den Autor und sein Werk geschrieben wurde. Das geschah auf einem durchaus hohen Niveau. Vieles von dem, was man heute über Lovecraft weiß und in dicken Büchern lesen kann, wurde für eine Fan-Publikation wie »The Miscatonic« erstmals erarbeitet.

Das finde ich dann heute noch spannend. Einer der Gründe, warum ich gern Fanzines aus halb vergessenen Zeiten lese ..