Es passiert einiges um mich herum, und nicht alles gefällt mir. Vieles fasziniert mich, vieles interessiert mich – und das soll Thema dieses Blogs sein.
29 April 2023
Leipzig nach der Pause
Der Tenor war oft derselbe: »Wir sind so froh, dass wir uns wieder auf der Messe sehen.« Wegen der Corona-Pandemie hatten wir uns zumeist drei Jahre lang nicht gesehen. Manche Leute waren grauer geworden, andere hatten kräftig zugenommen, einige hatten sich stärker verändert, als ich mir vorher hätte vorstellen können.
Aber überall herrschte eine positive Stimmung. Auch die Leute, die durchaus – wenn man nachbohrte – über wirtschaftliche Probleme zu berichten hatten, erzählten von ihren positiven Empfindungen, von ihrem Glauben, dass es wieder aufwärts gehen könnte. Sie erzählten mir von Projekten und von Träumen.
Am Ende des Tages konnte ich kaum noch sprechen. Ich hatte zu wenig getrunken, zu wenig gegessen sowieso und viel zu viel geredet. Und weil ich keinen »eigenen« Messestand hatte, war ich die ganze Zeit herumgestanden und hatte meine Termine stehend absolviert – es gibt auf der Messe schon immer viel zu wenig Sitzgelegenheiten.
Ich überlege mir für 2024, einfach einen Klappstuhl mitzubringen ...
28 April 2023
Lesung in der Reichenstraße
Es war meine erste Lesung seit Jahren; zuletzt war ich »vor Corona« auf einer Bühne gesessen. Ich las vor allem Texte aus »Für immer Punk?« vor, bei denen ich selbst merkte, dass ich die nicht mehr so gut intus hatte – ich verlas mich einige Male und hoffte, dass das nicht so sehr auffiel.
Darüber hinaus griff ich zu einigen anderen Texten: die Parkuhr-Geschichte aus den 90er-Jahren, Szenen aus »Vielen Dank Peter Pank« oder auch aus »Chaos en France«. So entstand eine bunte Mixtur aus völlig erfundenen Geschichten und einigen Szenen mit biografischem Hintergrund.
Im Abschluss wurde noch viel geredet, und noch später stand ich an der Theke der Bar, wo ich mir das Bier schmecken ließ und wir in Fachsimpeleien über irgendwelche Bands fast schon versackten. Immerhin wurde es nicht zu spät: Es mussten ja alle am nächsten Morgen früh aufstehen und zur Arbeit ...
26 April 2023
Literarischer Krimi aus Zürich
Kobler führt in ihrem Roman eine Polizistin namens Rosa Zambrano in die Krimilandschaft ein. Diese gehört zur Seepolizei und ist bestens mit Zürich verbunden. Sie kennt überall Leute, die hat ein soziales Umfeld, und sie hat einen Kinderwunsch. Aus diesem Grund geht sie – eher heimlich – zu einem Arzt, der sich auf Frauen mit solchen Wünschen spezialisiert hat. Umso schockierter ist sie dann, als dieser kurz darauf einem Mord zum Opfer fällt.
Die Polizei nimmt die Ermittlungen auf. Schnell wird klar, dass der verheiratete Arzt mit Edel-Prostituierten zu tun hatte und gern mal eine Partydroge zu viel konsumierte. Es zeichnet sich ebenso ab, dass es bei dem Fall um Genforschung im weitesten Sinne geht. War der Täter eine eifersüchtige Frau, oder handelt es sich um einen Fall von Mord aus Habgier?
Seraina Kobler kennt Zürich sehr gut, das merkt man in jeder Szene. Wenn die Hauptfigur durch die Stadt schlendert, im See taucht oder mit ihren Ermittlungen beschäftigt ist, wirkt das stets glaubhaft; man steht neben ihr in der Fußgängerzone, man ist mit ihr auf dem Boot unterwegs, man läuft mit ihr durch die Partyzonen der Stadt. Das ist alles dicht erzählt und auf einem stilistischen sehr ansprechenden Niveau.
Die Autorin kann schreiben. Sie zeichnet die Farben des Sees und die Szenerien eindeutig und klar; sie bevorzugt kräftige Bilder, die mich überzeugt haben. Auch die Arbeit der Polizei wirkt auf mich glaubhaft, ebenso die Darstellungen persönlicher Beziehungen.
Für mich war das eine andere Art von Krimis. Normalerweise mag ich knappe Dialoge und Beschreibungen – das bekomme ich hier nicht. Die Autorin kommt offensichtlich vom literarischen Schreiben her, ihr Krimi ist eher als Literatur überzeugend, nicht unbedingt als Krimi.
Sehr gut unterhalten habe ich mich bei der Lektüre des 2022 veröffentlichten Werks trotzdem. Wer einen eher literarischen Krimi zu schätzen weiß oder einen besonderen Blick auf Zürich möchte, sollte sich »Tiefes, dunkles Blau« anschauen. Lohnt!
25 April 2023
Urban Fantasy mit starken Bildern
Der Reihe nach: Es gibt neben unserer Erde noch eine Reihe von Dimensionen und parallelen Welten. Eine davon wird als Openworld bezeichnet, in der Zeitungen und Journalisten den Ton angeben. Darüber hinaus gibt es die grüne Welt oder auch die graue Welt – das wiederum ist unser Kosmos.
Als allerlei Probleme auftauchen, stellt Darryl, ein Schreiberling, auf einmal, fest, was oder wer dahinter steckt. Er nimmt den Kampf gegen allerlei dunkle Mächte auf.
Um es klar zu sagen: »Darryl Openworld« hat mich streckenweise begeistert, was die Grafik angeht. Krystel, von der ich auch den Comic »Ash« sowie die Serie »Magda Ikklepotts« kenne, hat einen Stil, der Elemente des klassischen frankobelgischen Comics mit dem modernen Manga-Stil verbindet. Das sieht richtig klasse aus, sowohl bei den einzelnen Bildern als auch bei der gesamten Komposition.
Problematisch finde ich, dass die Geschichte, die Rémi Guérin erzählt, einerseits dünn ist und andererseits sehr sprunghaft anmutet. Das Verhalten der Figuren ist nicht überzeugend, die Ideen muten eher schwach an. Bei der Lektüre habe ich mich nicht geärgert, gepackt hat mich »Darryl Openworld« allerdings nicht.
Erschienen ist der Comic als dickes Hardcover-Buch. Ich bin sicher, dass er seine Fans finden wird. Wer moderne Comics mit Fantasy-Geschichten mag, sollte auf jeden Fall einen Blick riskieren.
24 April 2023
Peter Pank fährt nach Quedlinburg
Tatsächlich bin ich einigermaßen nervös. Es ist meine erste Lesung nach der Pandemie; davor hatte ich auch nicht mehr so viele Veranstaltungen bestritten. Und ich weiß nach wie vor nicht, welches Publikum mich erwartet. Aber das macht die Sache ja auch spannend.
Wer in der Nähe wohnt, kann sich den Termin ja anstreichen und vorbeikommen. Für mich ist es ein willkommener Zwischenstopp auf dem Weg zur Leipziger Buchmesse ...
Eine ungewöhnliche Ermittlerin in packenden Comics
Was für eine Heldin! Caroline Baldwin ist eine Detektivin, wie man sie nur selten sieht: Sie trinkt gern mal in einer Bar, sie leistet sich wechselnde Partner, und sie ist in der Lage, selbst mit modischem Schuhwerk einem Verdächtigen durch eine Straße nachzurennen. In Szene gesetzt wird sie von dem belgischen Comic-Künstler André Taymans, und seit einiger Zeit werden die Geschichten über sie in einer schönen Gesamtausgabe präsentiert. Ich habe den ersten Band davon endlich gelesen.
André Taymans erzählt und zeichnet die Serie, und beides gelingt ihm gut. Er schreibt spannend und hat einen originellen Zeichenstil. Dazu gleich mehr – erst einmal einen Blick auf den Inhalt der Serie, die seit der Mitte der 90er-Jahre mit Erfolg in mehreren Ländern veröffentlicht wird.
In der ersten Geschichte geht es um einen Astronauten, der offensichtlich von der Mondsucht geplagt wird. Caroline Baldwin soll ihn aufstöbern, dabei werden auch die Tricks einer Hightech-Firma angedeutet. Die Ermittlerin fragt herum, sie reist nach Europa, es kommt zu Begegnungen in Venedig und zu einem Showdown auf einer Straße über irgendwelchen Klippen.
Die Ermittlerin trinkt Cocktails in Bars, sie tritt einem Mann in die Weichteile, sie ist verbissen und zäh – unterm Strich hat die Geschichte neben all der Action stets eine melancholische Seite, die sich in den traurigen Gesichtszügen des alten Astronauten zeigen.
Melancholisch wird es in dieser Serie immer wieder. Caroline Baldwin ist eine Figur, wie man sie normalerweise eher von männlichen Krimi-Helden her kennt. Sie ist eigentlich einsam, sie sehnt sich irgendwie nach festen Beziehungen, sie scheitert auch am Leben – aber sie ist natürlich in der Lage, stets die Fälle zu lösen, die sie übernommen hat.
Der erste Band der Gesamtausgabe bietet insgesamt vier Abenteuer der Detektivin. Die Geschichten spielen in den USA und in Europa oder gar auf Kuba. Es gibt Kämpfe und Action, Szenen aus der Stadt und aus der Natur; die Handlung läuft rasant ab und ist mit einer gut gemachten Krimi-Serie im Fernsehen zu vergleichen.
Taymans weiß zu erzählen. Seine Geschichten sind nicht gerade intellektuell, aber stets abwechslungsreich und spannend. Sie funktionieren als Krimis, vor allem natürlich, weil sie eine interessante Hauptfigur aufweisen.
Sie haben mich vor allem zeichnerisch überzeugt. Taymans hat einen Stil, der klassisch wirkt, fast ein wenig altmodisch also. Er kennt die frankobelgischen Comics früherer Jahrzehnte offensichtlich sehr gut und übernimmt von ihnen manche stilistischen Eigenheiten, bleibt dabei aber stets eigenständig.
Wer Krimis mag und auch mal einen ernsthaften Comic lesen möchte, der mit klassischen Krimi-Elementen arbeitet, dem kann ich »Caroline Baldwin« auf jeden Fall empfehlen. Auf der Internet-Seite des Verlages steht eine Leseprobe für den ersten Eindruck zur Verfügung.
Erschienen ist der erste Band der »Caroline Baldwin«-Gesamtausgabe im Verlag Schreiber & Leser. Das vierfarbig gedruckte Buch ist 240 Seiten stark und kostet 39,80 Euro.
(Die Rezension wurde bereits vor Wochen auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie veröffentlicht. Hier wiederhole ich sie aus Gründen der Dokumentation.)
Neu-Interpretation für einen jungen Helden
Seine Eltern, ein Artisten-Ehepaar, werden ermordet, doch ein Milliardär nimmt sich des jungen Zirkusartisten an. Aus Dick Grayson, der quasi in der Manege groß geworden ist, wird ein junger Superheld. Unter dem Namen Robin kämpft er an der Seite von Batman, dem Dunklen Ritter, gegen Verbrecher aller Art.
So weit ist die Vorgeschichte dieser Comic-Figur bekannt, Robin gehört seit Jahrzehnten zum Superhelden-Kosmos. Mit »Robin und Batman – der Weg zum Helden« liegt jetzt eine gelungene Neu-Interpretation der Figur vor.
Jeff Lemire ist ein Autor, der in den vergangenen Jahren viel publiziert hat. Er kennt sich mit den unterschiedlichen Superhelden-Universen aus, ist aber stets auch in der Lage, eigenständige Serien zu schreiben. Dabei geht er gern ungewöhnliche Wege oder sucht nach Möglichkeiten, eine Geschichte so zu erzählen, dass sie neu wirkt.
Das ist bei seiner Version von Robin und Batman nicht anders. Der Autor zeigt den jungen Dick Grayson, wie er versucht, sich als Helfer von Batman zu etablieren, wie er Fehler macht, wie er in Kämpfe gerät, wie er aber auch die anderen jungen Helden kennenlernt, aus denen sich später die Teen Titans formen werden. (Für Superhelden-Fans gibt es eine Reihe von Gags, die man als Nicht-Kenner nicht bemerkt, die aber einen Fan zum Schmunzeln bringen dürften.) Am Ende muss er sich in einem großen Kampf bewähren – und versteht danach eher, wo sein Platz in der Gesellschaft und im Gefolge von Batman ist …
Diese Darstellung klingt jetzt ein wenig theoretisch, die Geschichte ist aber stark erzählt. Der Jugendliche kämpft mit sich und seinen Erinnerungen, der Butler Alfred und Batman sind seine einzigen Freunde, und in der Schule hat er riesige Probleme. Das färbt auf seine Persönlichkeit ab, und Lemire zeigt das sehr einfühlsam und spannend zugleich. Klar gibt es Action, aber das wichtigste Thema des Comics ist die Entwicklung des jungen Helden.
Bei der künstlerischen Umsetzung zeigt Dustin Nguyen sein Talent. Auch dieser Comic-Künstler hat in den vergangenen Jahren seinen eigenen Stil entwickelt: in eigenen Geschichten ebenso wie in Superhelden-Universen. Seine Bilder wirken oft wie Aquarelle, schnell getuschte und mit Farbe versehene Momentaufnahmen. Dadurch sehen die Hintergründe, die Action und auch die Gesichter zwar realitätsnah aus, sind aber stets künstlerisch verfremdet.
Alles in allem ist »Robin und Batman – der Weg zum Helden« ein spannender und auch optisch überzeugender Comic. Man sollte ein gewisses Interesse für Superhelden und für die Welt des Dunklen Ritters mitbringen, dann macht diese Geschichte großen Spaß.
(Diese Rezension erschien bereits im März auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie. Ich platziere sie hier unter anderem aus dokumentarischen Gründen.)
23 April 2023
Es wurde immer langweiliger
Ich hatte in den vergangenen Wochen viel über die Verfilmung von »Der Schwarm« gelesen. Die meisten Kritiken waren negativ, sogar der Autor des Romans distanzierte sich von der acht Teile umfassenden Miniserie. Das machte mich alles erst recht neugierig. Den Roman hatte ich damals nicht gelesen, der Umfang hatte mich abgeschreckt.
Dieser Tage sah ich mir die erste Folge an. Ich war positiv überrascht. Die Aufnahmen der Forschungsstation im Norden Europas, die Szenen im Wasser und unter Wasser – das alles fand ich unterhaltsam und recht glaubhaft. Das war weit entfernt von dem, was ich in den Kritiken gelesen hatte. Also entschloss ich mich, die Serie komplett anzuschauen.
Auch die zweite Folge war noch ganz gut, danach ließ das Niveau nach. Weil ich wissen wollte, wie die Geschichte zu Ende geht, sah ich mir die Serie tatsächlich komplett an. Das war streckenweise echt anstrengend, und ich quälte mich sehr durch die Folgen.
Nach wie vor finde ich viele Szenen großartig: Wenn die Figuren unter Wasser sind oder wenn es zu Begegnungen mit der Natur kommt, bin ich nach wie vor davon angetan. Sonst aber wurde die Serie von Folge zu Folge langweiliger und zäher.
Gefühlt ein Drittel der Szenen bestehen daraus, dass die Figuren vor Monitoren sitzen und darauf starren. Ab und zu sagt jemand etwas, die meiste Zeit gucken sie betroffen oder sehen sich vielsagend in die Augen. Ein weiteres Drittel besteht aus zähem Beziehungsgerede. So etwas kann man gut erzählen, hier war es lahm bis zum Gehtnichtmehr.
Am Ende war ich gelangweilt und entsetzt. So kann man also viel Geld mit einer Fernsehserie vernichten.
(Man kann Serie derzeit in der Mediathek des ZDF angucken. Da kann sich ja jeder ein Bild machen. In der Mediathek des ZDF befinden sich aber auch die ersten zwei Folgen der britischen Serie »Trigger Point«; da waren schon die ersten fünf Minuten in jeglicher Hinsicht besser als »Der Schwarm«.)
21 April 2023
Fantasy und kulturelle Diskussionen
Die Esraner, also die Gruppe von Fantasy-Fans, die das Volk von Esran »simulierten« lehnten sich an nordafrikanische Kulturen an. Das begann bei den Namen und endete beim Glauben an einen Gott, der sich ein wenig am Islam orientierte. Das gefiel mir gut, das fand ich originell.
Heute würde ich mich schon fragen, ob das schlau ist. Ist es »kulturelle Aneignung«, wenn ein weißer Mitteleuropäer aus einem süddeutschen Arbeiterhaushalt sich eine schwarzafrikanische Existenz zusammenfantasiert? Oder ist das alles unbedenklich, weil es sich ohnehin um eine phantastische Welt handelt?
Auf jeden Fall wurde ich so der einzige »Schwarzafrikaner in Magira« – und das wurde nicht immer unbedingt so formuliert. Ich gebe den Begriff hier nicht wieder, der damals benutzt wurde. In den frühen 80er-Jahren machten sich auch linksstehende Menschen keine Gedanken darüber, ob das »N«-Wort beleidigend sein könnte oder nicht.
Seit den frühen 80er-Jahren entstanden Fantasy-Geschichten über meine Hauptfigur, die ich sehr mochte. Sie erschienen in kleinauflagigen Fanzines, die Titel wie »Wüstenkurier« oder später »Hornsignale« trugen. Teilweise bekam ich gute Kritiken dafür, einmal wurde ich als »Erster Erzähler« für eine dieser Geschichten ausgezeichnet.
Und so wuchs die Figur des Ghazir en Dnormest, die ich mir Ende 1979 ausgedacht hatte, immer weiter an. In diesen Geschichten erlebte Ghazir allerlei Abenteuer; erzählerisch war das anfangs auf dem Niveau eines Jugendlichen, der sich als Schriftsteller sieht.
Mittlerweile liegen sie als eine Textsammlung froh, die mir sehr schmeichelt. Ich bin sehr froh darüber, dass der Verlag p.machinery »In Clanthons Auftrag« veröffentlicht hat. Eine schöne Entwicklung für die Geschichten meiner Fantasy-Figur …
20 April 2023
Der zwanzigste April in den 90ern
Wir schrieben die erste Hälfte der 90er-Jahre. In der Innenstadt von Karlsruhe gab es ein besetztes Haus, die »Steffi«, dessen Bewohner als durchaus schlagkräftig gaben. Die Szene aus Straßen-Punks hatte damit nichts zu tun, es herrschte zeitweise offene Feindschaft zwischen unterschiedlichen Gruppen von Bunthaarigen.
Aber weil das Gerücht aufkam, die Nazis wollten die Aufnahmestelle für Asylbewerber am Stadtrand angreifen, aktivierte die Straßen-Szene ihr politisches Rest-Hirn. Weil einige Freunde und ich nicht so recht wussten, was wir wegen etwaiger Nazi-Umtriebe tun sollten, setzten wir uns in mein Auto und fuhren zu dem Gebäude.
Uns bot sich ein seltsames Bild, das Außenstehende vielleicht sogar witzig gefunden hätten: Verwirrte Menschen mit dunkler Hautfarbe, die vom 20. April und seiner Bedeutung nichts wussten, blickten auf teils betrunkene Punks, die mit Knüppeln in der Hand vor dem Heim versuchten, so etwas wie eine Verteidigungsposition zu beziehen. Später tauchte die Polizei auf, und zuckendes Blaulicht sorgte endgültig für eine Szenerie, über die ich auch mal eine längere Geschichte schreiben könnte.
So waren die 90er-Jahre. Nicht immer intellektuell, nicht immer schlau, aber sehr oft sehr unterhaltsam …
Hüpfen mit The Regents
Wobei The Regents nicht so unbekannt waren. Die vier Briten schafften es 1979 auf Platz elf der englischen Single-Charts. Die Platte, die ich kaufte, hieß »See You Later«, und dieses Stück kam auf Platz 55. Das war aber nicht der Grund für mein Kaufen – von diesen Platzierungen wusste ich nichts –, mir ging es sicher nur um die Optik.
Das Titelstück ist übrigens richtig gut. Zwei Typen und zwei Frauen, allesamt recht jung, liefern ein schmissiges Stück und hüpfen gewissermaßen mit frohem Enthusiasmus durch die rotzige Melodie. Das ist noch ein wenig punkig, wenngleich es nicht mehr dem Punk des Jahres 1980 entspricht (im selben Jahr brachten Exploited ihre erste EP heraus, um das Gegenbeispiel zu nennen), und macht auch heute noch gute Laune. Eigentlich will ich dazu durchs Wohnzimmer hüpfen.
Im Prinzip wäre es korrekt, das Stück als New Wave im ursprünglichen Sinn zu bezeichnen. Egal – es gefällt mir heute noch. (Die B-Seite ist übrigens lahm.) Cooles Ding!
19 April 2023
Leipzig im Blick
Wir haben keinen Stand, den der Verlag offiziell anbietet und betreut. Ich fahre gewissermaßen halbprivat nach Leipzig. Ich bin im Auftrag des Verlags vor Ort, habe einige Termine und werde ansonsten schauen, was sich an den Ständen so tut. Mein Plan ist, mit Kolleginnen und Kollegen zu sprechen, mit den unterschiedlichsten Menschen meine Gedanken auszutauschen und vielleicht das eine oder andere ernsthafte Gespräch zu führen.
Bei diesem Beruf bleibt es nicht aus, dass sich private und berufliche Interessen verbinden. Egal wie ich es betrachte: Ich freue mich schon sehr, dass ich in diesem Jahr zum ersten Mal in diesem Jahrzehnt nach Leipzig fahre – zuletzt war ich 2019 auf der dortigen Buchmesse!
Lebensnaher Krimi aus Benin
Ihre Hauptfigur ist Reporterin von Beruf, und sie kennt sich sehr gut in Westafrika aus. Als sie nach Cotonou reist, die größte Stadt von Benin, geht sie davon aus, auf bekanntem Terrain eine Reportage zu fotografieren. Doch eines Abends wird vor ihren Augen ein guter Freund ermordet, und dann beginnt sie in einen Strudel aus Gewalt, Intrigen und Voudou zu rutschen. Sie selbst wird bedroht, während ihr langsam klar wird, dass europäische Interessen und afrikanische Machtmenschen zusammenwirken …
Man merkt bei der Lektüre ständig, wie gut sich die Autorin auskennt. Ich selbst war nie in Benin, sieht man von einer Zwischenlandung ab, habe dafür aber einige der Nachbarländer besucht; das dürfte vergleichbar sein.
Wenn Lena Blaudez von den Märkten schreibt, von dem quirligen Leben in Kneipen und Bars, von den Reisen über Land und den Menschen, denen ihre Heldin begegnet, wird immer wieder klar, wie gut sie sich auskennt. Sie vermittelt einen prallen Eindruck vom Leben in einem Staat der Gegensätze.
Stark fand ich bei der Lektüre auch, wie Voudou gezeigt wird. Die Autorin vermeidet europäische Klischees, auch wenn sie ihrer Hauptfigur einen europäischen Blick auf die westafrikanische Religion vermittelt. Das ist eindrucksvoll geschildert und zog mich bei der Lektüre in den Bann.
Der Roman ist nicht unbedingt »mainstream«; wer sich noch nie in Westafrika aufgehalten hat, wird mit manchen Szenerien vielleicht seine Schwierigkeiten haben. Aber er ist rundum unterhaltsam und spannend, hat streckenweise sogar den Charakter eines Road-Movies. Gelungene Lektüre!
(Zur Info noch: Die Hardcover-Version des Romans, die ich besitze, ist verlagsvergriffen; das Taschenbuch ist aber noch erhältlich. Wer sich dafür interessiert, kann sich über die Internet-Seite des Unionsverlags schlaumachen.)
18 April 2023
Der achte Teil einer phantastischen Comic-Serie
»Pik As« ist der Name einer Detektei, die im Paris des späten 19. Jahrhunderts tätig ist. Ein junger Detektiv und seine Assistentin ermitteln in Fällen, die immer einen phantastischen Einschlag haben. Sie haben es mit Geistern und Dämonen zu tun, die meisten Probleme haben sie aber mit der ständischen Gesellschaft, die auf althergebrachte Normen und Sitten setzt.
Das zeigt sich auch in diesem achten Band. Eigentlich geht es um ein familiäres Problem und um Geschäfte, die nicht sauber abgelaufen sind; gleichzeitig spielen die Mumie einer Mutter und eine höchst mysteriöse Geheimgesellschaft wichtige Rollen. Beim Showdown taucht dann auch noch ein Chtulhu-Monster auf …
Thierry Gloris ist der Schöpfer der Serie, die spannend-gruselige Unterhaltung mit historischen Details und viel Humor verbindet. Das gefällt mir auch in diesem achten Teil, den man allerdings nur versteht, wenn man vorherige Alben gelesen hat. Gloris weiß seine Figuren zu führen und schafft es, die Spannung immer aufrecht zu halten.
Emmanuel Despujol hält die Waage zwischen realistischen Darstellungen – Paris im 19. Jahrhundert sieht glaubhaft aus – und witziger Action. Da darf allerdings auch mal das Blut spritzen oder die weibliche Hauptfigur in Unterwäsche durchs Bild laufen … für Kinder ist das also nicht unbedingt geeignet. Despujols Zeichnungen sind nicht immer akkurat, vermitteln aber viel Dynamik, und man guckt sie sich gern an.
»Pik As« ist eine unterhaltsame Serie, die man immer wieder zur Hand nehmen kann: flott erzählt, flott gezeichnet. Gegen eine Weiterführung hätte ich da nichts …
17 April 2023
Seltsames im Wasser
Ich war bereits in der Badehose; wo ich mich umgezogen hatte und wo meine Sachen lagen, wusste ich in diesem Moment gar nicht. Wie es aussah, hielt sich außer mir niemand auf dem Gelände auf. Der Himmel war grau, der Eisstand hatte zu und setzte keine Farbtupfer an den Rand des Schwimmbeckens.
Verwirrt blieb ich stehen, als ich auf einmal die zotteligen Dinge sah, die sich durch das Becken bewegten. Ausgerechnet im Nichtschwimmerbereich waren sie unterwegs, zwei, drei auf einmal. Ich brauchte einige Zeit, bis ich erkannte, was vor mir zu sehen war: irgendwelche haarigen Tiere offensichtlich.
Waren das vielleicht Nutrias? Ich hatte diese Tiere zuletzt an allen möglichen Stellen gesehen. Am Altrhein, in einer Parkanlage – nun also im Schwimmbecken. Neugierig trat ich näher. Der kühle Regen tröpfelte auf meine nackte Haut, es war nun doch unangenehm. Aber bevor ich mich ins Wasser stürzte, wollte ich sehen, welche Art von Tier sich im Becken herumtrieb.
Dann drehten sich die zotteligen Dinge um: Es waren drei Leute, ein Mann und zwei Frauen. Ihre Haare waren nass, sie trieben quasi an der Oberfläche des Wassers. Im Nieselregen und weil sie eine braune Farbe aufwiesen, hatten sie mich an Nutrias oder Wasserratten erinnert.
»Ist was?«, rief mir der Mann zu, der wohl bemerkt hatte, dass ich zu den drei Leuten hinüberstarrte.
Da wachte ich auf.
15 April 2023
Underdogs auf Frankreichs Straßen
Dabei bin ich mir sicher, dass ich einige Jahrzehnte über der angepeilten Zielgruppe bin und man auch ein anderes Geschlecht als Zielgruppe vor Augen hat. Erzählt wird nämlich die Geschichte einer Gruppe von jungen Frauen, die Roller Derby spielen wollen, alles andere als gut in diesem Sport sind und alles versuchen, um an ihr Ziel zu kommen.
Hauptfigur ist eine ehemalige Eiskunstläuferin, die eigentlich vom Leben frustriert ist und im Roller-Derby eine Chance sieht, dem Alltagstrott ihrer langweiligen Heimatstadt zu entfliehen. Sie ist kein unbedingt positiver Charakter: Sie lügt ihre Freundinnen an, wenn sie einen Vorteil darin sieht, sie trickst ihren Vater aus, sie ist wankelmütig in ihren Entscheidungen, und sie hat kein Problem damit, peinliche Auftritte hinzulegen.
Das alles legen die Macher der Serie aber mit viel Sinn für Eigenironie hin. Alle Heldinnen sind – wenn man es genau nimmt – Verlierertypen. Sie stecken in ihren Problemen und Lügen fest, sie kämpfen mehr mit sich selbst und ihren Gefühlen als mit ihrer Umwelt.
Das paart sich mit witzigen Dialogen, mit einer abwechslungsreichen Handlung und leider viel zu wenig Roller-Derby-Action. An solchen Stellen merkt man, dass es wohl schon eine sparsame Produktion war … Und natürlich darf man manche Szenen nicht ernst nehmen: Wenn in der zweiten Staffel die Gegensätze zwischen Staatsmacht und revoltierenden Jugendlichen in einer Schlacht vor dem Rathaus ausarten, ist die weit entfernt von handfesten sozialen Auseinandersetzungen.
Aber gut: Das hier ist Unterhaltung – und sie ist gut und temporeich. Ich habe mich gut amüsiert und empfehle die Serie sehr gern weiter.
14 April 2023
Wie Ghazir eigentlich entstand …
Genau genommen ging es im Sommer 1979 los. Damals las ich in einer Amateurzeitschrift für Science-Fiction-Fans, die den schönen Titel »Carthago« trug, von einem Verein, der sich mit der Fantasy-Literatur beschäftigte. Dieser Verein nannte sich Erster Deutscher Fantasy Club e.V. (EDFC) und gab diverse Zeitschriften heraus, die Namen wie »Magira«, »Fantasia« und »Follow« trugen.
Ich war zu dieser Zeit ein Schüler der zehnten Klasse, ging auf das Gymnasium unserer Kleinstadt und träumte von einer Karriere als Schriftsteller. Science Fiction und Fantasy waren meine Genres, und ich stellte mir vor, wie großartig es sei, mit eigenen Büchern meine Welten zu schaffen. Weil ich eine Chance sah, dieses Ziel mithilfe eines Vereins weiter vorantreiben zu können, bestellte ich mir beim EDFC Paket der unterschiedlichen Publikationen und las mich sehr schnell ein.
Ich erkannte, dass man in diesem Verein unter anderem eine Fantasy-Welt namens Magira simulierte. Wer Mitglied im Verein wurde, konnte als Charakter auf dieser Fantasy-Welt auftauchen, konnte sich dort einem Volk oder Clan anschließen und dann Geschichten über seinen Charakter erfinden. Es gab allerlei Veranstaltungen, und man konnte Freundschaft mit anderen Fantasy-Fans schließen.
In Briefen und Broschüren wurden mir die nächsten Schritte erläutert. Man musste sich einen Fantasy-Namen aussuchen, dann konnte man sich zu einem der Clans gesellen. Recht schnell trat ich in Kontakt zum Greifen-Clan, in dem man sich wiederum verschiedenen Gruppierungen anschließen konnte. Man konnte Priester sein oder Krieger, aber auch Esraner. Dabei handelte es sich um eine Untergruppierung, in der eine afrikanische Wüstenkultur simuliert wurde.
Ich wählte mir den Namen Ghazir en Dnormest, der – wie ich hoffte – ein wenig an meinen eigenen Namen Anklang fand, mit dem »en« für mein »N« und dem »Dnormest«, das ich von »Norbert« ableitete. Ebenso suchte ich mir das Volk der Bekassiden aus. Das waren afrikanisch aussehende Wüstenreiter mit eigener Kultur.
So entstand meine Figur. Wie ich das heute sehe, steht auf einem anderen Blatt. Darüber schreibe ich zu einer anderen Gelegenheit, würde ich sagen …
13 April 2023
Älter werden oder alt sein?
Woran erkennt man(n), dass man(n) in die Jahre kommt? Man redet häufiger über die Gesundheit oder die unterschiedlichsten Zipperlein und viel weniger über Ausschweifungen aller Art. Das fällt zumindest mir immer wieder auf, und ich bin von mir selbst sehr oft verwirrt – aber meist erst nach dem Gespräch.
Mit Kolleginnen und Kollegen spreche ich über Rückenprobleme und die Schwierigkeiten, die passende Brille zu kaufen. Mit der Verwandtschaft rede ich über Corona und seine Folgen, über Allergien und Taschentücher, über allerlei Mittelchen, die gegen Sodbrennen und Allergiefolgen helfen sollen.
Noch bin ich kein regelmäßiger Leser der »Apotheken-Rundschau«. Ich seh's aber schon richtig vor, wie ich bald ein Hardcore-Fan dieser Publikation werden dürfte ...
12 April 2023
Von Tansania erzählt
Er geriet innerhalb kürzester Zeit in einen Strom von Wörtern, der nicht stoppen wollte. Sein Freund war zwei Wochen lang in Tansania gewesen, hatte an verschiedenen Safaris teilgenommen und war unter anderem am Fuß des Kilimanjaro gewesen. Das fand mein Bekannter beeindruckend.
»Ich war auch mal in Tansania«, wandte ich vorsichtig ein. »Ich bin vier Wochen lang durchs Land gereist, ich habe eine Safari zu Fuß unternommen, bei der’s leider die meiste Zeit geregnet hat, und ich war ebenfalls am Fuß des Kilimanjaro. Also …«
»Das ist ja alles schön und gut«, unterbrach mich mein Bekannter und redete weiter. »Mein Freund, der hat da echt Elefanten gesehen und Giraffen, sogar Löwen und Büffel, der war völlig begeistert. Und die Leute dort waren so nett, nicht nur die im Hotel, sondern auch die, die er sonst traf.«
Ich war ein wenig verzweifelt, wollte aber nicht kampflos aufgeben. »Mir hat’s in Tansania ebenfalls gut gefallen«, erzählte ich. »Fahrten mit der Fähre, mit dem Taxi und dem Bus, Unterkünfte in Camps und in bescheidenen Hotels und …«
Er ließ mich wieder nicht ausreden, widersprach mir aber auch nicht. Und so hörte ich mir an, was er mir erzählte, korrigierte ihn nicht, belehrte ihn nicht, schaffte es tatsächlich, die Klappe zu halten. Ich war einigermaßen stolz auf mich, dass ich so lange still bleiben konnte.
Einige Minuten später wechselte das Thema am Tisch, wir sprachen über aktuelle Musik, die derzeit im Radio lief. Davon verstand ich gar nichts, und ich hielt die Klappe. Das Bier schmeckte mir ja trotzdem.
11 April 2023
Selfpublisherin beeindruckt mich
Das macht sie seit einigen Jahren, und der Erfolg gibt ihr Recht. »Zeichen & Omen« hat – ganz aktuell – sie selbst verlegt, in Zusammenarbeit mit diversen Dienstleistern, die dafür sorgen, dass ihr Buch vernünftig vertrieben wird. Laut »buchreport.express« betrug die Startauflage des Buches, das Ende März veröffentlicht wurde, stolze 21.500 Exemplar. Das ist beeindruckend viel.
In der Bestsellerliste landete die Autorin aus dem Stand: Gleich in der ersten Woche kam der Roman auf den dritten Platz. Das finde ich noch beeindruckender (viel drucken kann man schließlich immer; ist ja nur eine Frage des Geldes). Ich kenne die Autorin nicht persönlich – zu so einem Fantasy-Erfolg möchte ich trotzdem gratulieren!
06 April 2023
Ostermarsch-Gedanken
Dabei nahm ich in den 80er-Jahren selbst mehrfach an Ostermärschen teil. Es ging vor allem gegen die Nachrüstung der Nato, und die Demos richteten sich unterm Strich immer gegen den Westen. Im Nachhinein muss man klar sagen: Leute wie ich haben sich vor irgendwelche Karren spannen lassen; die vorhandene Abneigung gegen die Atomraketen aus dem Osten wurde nie klar formuliert.
Heute ist alles deutlich komplizierter. Wer gegen Waffen und für Frieden demonstriert, kann sich schwer den Mund verbrennen. Pazifismus wird derzeit stark kritisiert, man wird schnell mal als »Putinfreund« verunglimpft. Es gibt zudem genügend Menschen, die sich pauschal für Frieden und gegen Waffen aussprechen und damit letztlich den russischen Angriffskrieg unterstützen.
(Wer in diesen Tagen einen Waffenstillstand fordert, spielt Russland in die Hände, das nach einem solchen Waffenstillstand schlicht riesige Gebiete der Ukraine besetzt halten würde. 2014 brachte der Waffenstillstand letztlich ein ähnliches Ergebnis.)
Pazifismus ist eine Tugend, und ich finde ihn immer noch gut. Wenn Menschen in diesen Tagen auf die Straße gehen und für Frieden demonstrieren, haben sie meine Sympathie – vor allem, wenn sie sich klar von Russland und diesem schrecklichen Krieg distanzieren. Ich muss dabei selbst nie mitlaufen. Aber ein Misstrauen gegen Kriegs- und Waffenbegeisterung halte ich für sehr sinnvoll …
05 April 2023
Weglaufen und Schnapstrinken
Es handelt sich bei diesen Szenen und Kapiteln immer um etwas, das erfunden ist. Ich erzähle keine Wahrheiten, sondern es handelt sich um einen Roman – aber es ist auch klar, dass es immer eine reale Basis für alles hat. So kann man an der einen oder anderen Stelle vielleicht Karlsruhe entdecken.
Nur: Ich bin nie durch Karlsruhe gejagt worden, hatte allerdings im Verlauf früherer Jahre schon die eine oder andere körperliche Auseinandersetzung. Und das Gefühl, von einem Mob gehetzt zu werden, bekam ich an anderen Orten mit. Nicht angenehm.
Bei »Der gute Geist des Rock’n’Roll« handelt es sich um eine romanhafte Darstellung zur Mitte der 90er-Jahre. Dazu gehören Punkrock und Hardcore ebenso wie immer wieder Auseinandersetzungen auf der Straße. Ich hoffe da immer, dass es die Leserinnen und Leser gut unterhält.
04 April 2023
Häschen an der Straße
Irgendwann erfasste das Licht meiner Scheinwerfer eine Bewegung am Straßenrand. Eine zweite folgte, eine dritte. Dann erst kapierte ich: Im Abstand von einem Meter oder zwei Metern saßen Kaninchen am Rand der Straße und futterten die frischen Triebe, die dort wuchsen. Nachdem ich das bemerkt hatte, sah ich immer mehr von ihnen: aufgestellte Ohren, geduckte Gestalten, eifrig mümmelnde Tiere.
Normalerweise hätte ich ein begeistertes »och wie süß!« oder dergleichen ausgestoßen, meine Reaktion aber war anders. Verdammt!, dachte ich, die Viecher sind jung und blöd, und ich will keines davon überfahren.
Ich reduzierte meine Geschwindigkeit und vergrößerte den Abstand zum Rand der Straße. So schlich ich weiter, konzentrierte mich auf die Tiere am Rand des Asphalts und versuchte so sehr aufzupassen, wie mir das möglich war.
Es gelang mir: Ich fuhr keines tot. Als ich in Karlsruhe mein Auto abstellte und ausstieg, war ich richtig froh. Ich hätte mir nicht so schnell verziehen, wenn ich so ein Jung-Karnickel umgebracht hätte …
03 April 2023
Science Fiction trifft auf Punk
Für mich sind Science Fiction und Punk seit Jahrzehnten die zwei Eckpfeiler meines Lebens. Das mag pathetisch klingen, ist aber so. 1977 hörte ich zum ersten Mal die Sexpistols und las meinen ersten PERRY RHODAN-Roman. In den 80er-Jahren veranstaltete ich Punk-Konzerte und Science-Fiction-Cons. Ich veröffentlichte Science-Fiction- und Punk-Fanzines. Ich schrieb Science-Fiction-Geschichten und Punk-Romane. Heute arbeite ich als Redakteur in Sachen Science Fiction, höre immer noch Punkrock oder gehe auf Punk-Konzerte.
Seit einigen Jahren dient Punk für viele Leute vor allem als schickes Aushängeschild für ihre Aktivitäten. Das fängt bei Zeitschriften wie »Business Punk« an und endet bei Unter-Genres wie Hopepunk oder Arcanopunk (was immer das jeweils sein mag).
Das alles hat mit dem Punk, den ich kennengelernt habe, nicht das Geringste zu tun. Punk ist widerständig und rotzig, oft anstrengend und egoistisch, sicher nicht politisch korrekt und in sich widersprüchlich. Ich war auf Chaostagen und wurde verhaftet. Ich war auf Punk-Konzerten, die von Nazis angegriffen wurden. Ich wurde zusammengeschlagen, weil ich »punkig« aussah.
Im Verlauf der Jahrzehnte habe ich buchstäblich Tausende von Punk-Bands gesehen. Ich habe zwanzig Jahre lang eine Radiosendung über Punk gemacht, anfangs jede Woche eine Stunde. Ich habe Punks aus aller Welt getroffen. Sie alle haben mein Leben bereichert. Und ich habe geschätzt, wie unterschiedlich und gleichzeitig rotzig sie sind.
Das alles hat nichts mit dem zu tun, was man heute auf irgendwelche Genres klebt. Als Cyberpunk anfing, war das eine Verbindung aus Science Fiction und Punk, das passte. Ein Autor wie John Shirley spielte in einer Punk-Band und schrieb Science Fiction. Das passte erst recht.
Wenn heute auf jedes Unter-Untergenre der Science Fiction ein »Punk«-Aufkleber angebracht wird, weil das irgendwie schick ist, mag das ja in Ordnung sein. Es kann ja jeder in dieser Richtung machen, was immer er oder sie mag. Aber das ist nichts für mich.
Vielleicht bin ich zu konservativ für das, was man heute unter »Punk« außerhalb der eigentlichen Punk-Szene versteht ...