20 Dezember 2024

Der »BuchMarkt« zum letzten

Dieser Tage las ich die Dezember-Ausgabe der Zeitschrift »BuchMarkt« zu Ende. Sie erschien vor einigen Wochen, sie gilt für den Dezember 2024, und damit endet eine Ära: Der »BuchMarkt« wird eingestellt, zumindest in seiner gedruckten Form. Das finde ich echt traurig.

Das Magazin kenne ich seit den 80er-Jahren, ich las es seit den 90er-Jahren regelmäßig. Kam eine neue Ausgabe in den Verlag, sicherte ich sie mir stets so schnell wie möglich, und ich las immer einen sehr großen Teil. (Artikel über Loseblattsammlungen im juristischen Bereich sind nicht mein Thema, die ignorierte ich tatsächlich.)

Ich mochte stets die Mischung: Praxisnahe Artikel aus Verlagen und Buchhandlungen mischten sich mit unterhaltsamen Kolumnen, Fotoberichten und kurzen Rezensionen. Die Perspektive erfolgte aus der Sicht des Handels oder der Verlage, nicht aus Autoren- oder Konsumentensicht; das fand ich stets lehrreich und spannend.

Als Christian von Zittwitz noch lebte, der das Magazin jahre- und jahrzehntelang geleitet hatte, war ich ein wenig stolz darauf, dass er zu meinen »Facebook-Freunden« gehörte. Gelegentlich kommentierte er Einträge auf meiner Facebook-Seite, worüber ich mich immer freute. Wir lernten uns nie persönlich kennen, aber ich empfand ihn immer als eine Art väterlichen Freund.

Wenn das Magazin in seiner gedruckten Form aufhört, wird mir wirklich etwas fehlen. Man muss sehen, inwieweit die Marke »BuchMarkt« in digitaler Form weiterhin bestehen wird. Ich werde die Internet-Seite sicher oft besuchen ...

19 Dezember 2024

Nachtwache von 1982

Im September 1982 schien ich abrupt beschlossen zu haben, ganz viele Texte zu schreiben, die ich als »Gedichte« betrachtete. Allein am 22. September schrieb ich damit mehrere Seiten voll; die Texte waren meist nicht und bestanden oft nur aus fragmentarischen Notizen, viel Selbstbeweihräucherung und den üblichen Weltschmerz, den viele Leute mit 18 Jahren haben.

Den Text »Nachtwache« von diesem Tag finde ich erstaunlich gelungen. Aus diesem Grund kommt er heute mal in diesem Blog zur Geltung:

Nachtwache 

Die Schaufenster werden dunkel,
doch niemand sieht,
dass silbern glänzende Tränen
in feinen Linien
übe die Wangen
der Schaufensterpuppen
laufen.

Wichtig: Der Text wurde von mir beim Abschreiben auf neue Rechtschreibung umgestellt. Und er wurde – wie praktisch alle Texte aus diesem Monat – nicht veröffentlicht.

18 Dezember 2024

Mit einem Motorrad und einem Autor unterwegs

Den Schriftsteller Michael Marcus Thurner kenne ich seit den 90er-Jahren, wir arbeiten seit vielen Jahren zusammen. Mein Blick auf ihn ist also nicht objektiv, meine Rezension seines Buches »Alte Eisen auf Reisen« kann es auch nicht sein. Das will ich erst gar nicht versuchen.

Thurner hat vor einigen Jahren beschlossen, mit seinem Motorrad kreuz und quer durch Europa zu fahren. Seine langen Reisen finanziert er unter anderem über ein »Patreon«-Modell, aber ebenso durch die Mitarbeit an der Science-Fiction-Serie, bei der ich als Redakteur tätig bin. Anfangs fand ich es skurril, Manuskripte aus allen möglichen Ländern zu erhalten, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.

Vom Schreiben und Arbeiten handelt das Buch nur am Rand. Das Reisen steht im Vordergrund, und das alles in einem sehr plaudernden Ton. Die Struktur des Buches ergibt sich aus den Touren; es gibt also keinen Spannungsbogen.

Im Prinzip sind es Notizen des Autors, die er im Verlauf von über einem Jahr angefertigt hat. Bei seinen Reisen durch Großbritannien und Skandinavien, Frankreich und Italien trifft er auf interessante Menschen und besucht faszinierende Städte. Das alles wird durch viele Fotos ergänzt.

Das Schöne an diesem Buch: Man muss es nicht am Stück lesen, man kann es auch einige Wochen lang liegen lassen, nimmt es zur Hand und liest einfach weiter; man ist ja schnell im Geschehen drin.

Klar: Man sollte den Autor kennen und schätzen, sonst hat das Buch sicher nicht so viel Sinn. Es wird vor allem bei Veranstaltungen gekauft, an denen Michael Marcus Thurner von seinen Reisen berichtet. Bei einigen Versendern ist es allerdings auch gelistet.

Ich fand’s unterhaltsam und informativ. Weil’s bereits eine Fortsetzung gibt, werde ich mir diese wohl bald besorgen müssen …

Mein erstes Krippenspiel

Mein Vater fand die Idee überhaupt nicht gut. »Das kommt nicht in Frage!«, rief er. »Mein Sohn steht nicht in dieser Kirche am Altar und trägt irgendwelche Reime vor.«

Ich war enttäuscht, und für mich als Kind war sein Verhalten nicht nachvollziehbar. Seit einem halben Jahr ging ich in den evangelischen Kindergarten des Dorfes, und dass ich einer anderen Konfession angehörte, spielte normalerweise keine große Rolle. Aber nun schien es wichtig zu sein.

Meine Mutter versuchte zu vermitteln. »Die Kinder sollen vorne am Altar stehen, und dort sagt jedes zwei Zeilen«, erläuterte sie zum wiederholten Mal. »Da machen alle Kinder aus dem Kindergarten mit.«

»Aber nicht mein Sohn«, blieb mein Vater standhaft. »In dieser Kirche hat man von der Kanzel herab gegen uns gepredigt, da gehen wir nicht hin.«

An diesem Tag blieb er stur, es gab keine Einsicht. Weder mein Weinen noch die Argumente meiner Mutter – sie war evangelisch konfirmiert worden, bevor ihre Familie in den vierziger Jahren zu unserer Religionsgemeinschaft gewechselt war – änderten daran etwas. Im Dezember 1968 war es von großer Bedeutung, in welche Kirche man ging und was man dort tat.

Es gab später doch eine Art »Happy-End« für mich. Meine Mutter und mein Vater sprachen das Thema wohl irgendwann in Ruhe durch. Und als der Tag des Gottesdienstes kam, an dem das Krippenspiel gezeigt werden sollte, besuchte ich zum ersten Mal die Evangelische Kirche unseres Dorfes.

Meine Mutter und ich saßen in der letzten Reihe. Wir waren die letzten, die in das Gotteshaus huschten, und wir waren die ersten, die es verließen. Aber ich sah meine Freunde aus dem Kindergarten, wie sie am festlich geschmückten Altar standen und ihre zwei Zeilen aufsagten. Ich war unglaublich neidisch auf sie!

»Nächstes Jahr will ich auch da vorne stehen«, sagte ich zu meiner Mutter, als wir über den verschneiten Dorfplatz gingen.

»Da gehörst du dann zu den Großen im Kindergarten«, gab sie zurück. »Mal sehen, was sich bis dahin noch alles tut …«

17 Dezember 2024

Deutschtümelei und Bier

Der neue Band von »Lucky Luke« sorgt mit seinem Cover und seinem Titel eigentlich für eine Täuschung: Das Album heißt »Letzte Runde für die Daltons«, und die vier Ganoven spielen auch eine Rolle in diesem Album. In erster Line aber geht es um das Bier und die Klischees, die man im Allgemeinen mit Deutschen verbindet.

Tatsächlich steht in diesem Album das Bier im Zentrum: Lucky Luke muss in Milwaukee, der sogenannten Beer City, einen Konflikt zwischen Arbeitern und Brauereibossen schlichten. Die Arbeiter wollen mehr Geld, die Bosse sehen das nicht ein. Als Streikbrecher werden Gefangene aus Strafanstalten angeheuert, zu denen unter anderem die Daltons gehören. Die haben natürlich andere Pläne, unter anderem mit der Streikkasse der Arbeiter.

Tatsächlich aber ist das ganze Gedöns mit den Daltons eine reine Randgeschichte. Es wimmelt von Anspielungen auf Deutschland, die Deutschen im Allgemeinen und die Auswanderung von Deutschen in die USA. Durchaus alberne Witze – etwa über die Familien Trump und Eisenhauer – gibt es ebenso wie einige eher komplexe Späße.

Das muss man mögen. Ich fand's lustig, kann mir aber gut vorstellen, dass es viele Leserinnen und Leser gibt, die mit dieser Art von Geschichte bei »Lucky Luke« ihre Probleme haben. Das aktuelle Kreativduo Achdé und Jul reiht sich damit aber in die Tradition der Reihe ein, historische Dinge - etwa zur Einwanderung – in einer komischen Version nachzuerzählen.

»Letzte Runde für die Daltons« ist ein typisches »Lucky Luke«-Album. An die Genialität der Alben, die etwa in den 70er-Jahren erschienen – da war die Serie wohl auf ihrem künstlerischen Höhepunkt –, reicht das nicht heran. Aber der Comic-Band unterhält prächtig und eignet sich im Zweifelfall gut als Geschenk. Was will man mehr?

16 Dezember 2024

Im staubigen Archiv

Turbostaat auf dem Titelbild, mein Roman als Fortsetzung im Innenteil: Auch in der aktuellen Ausgabe des OX-Fanzines, die schon ihren Weg zu den Abonnenten gefunden hat und die man an verschiedenen Verkaufsstellen finden kann, fühle ich mich mit meinem Text sehr wohl. Die Folge 52 ist in der Ausgabe 177 der Zeitschrift enthalten, und wieder erzähle ich vom Sommer 1996.

Je länger der Roman in Fortsetzungen abgedruckt wird, desto weiter liegt die Zeit zurück, über die ich schreibe. Die ersten »Peter Pank«-Geschichten, damals noch im ZAP-Fanzine, wurden in der Mitte der 90er-Jahre veröffentlicht und spielten 1986 – da lag also nicht mal ein Jahrzehnt zwischen dem Inhalt der Texte und ihrer Publikation.

Mittlerweile spielt die Handlung im Jahr 1996, veröffentlicht wird sie 2024 und bald 2025. Wenn ich so weitermache, hinke ich dreißig Jahre hinter der Handlung des Fortsetzungsromans her – das finde ich schon beeindruckend. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch machen werde; der aktuelle Teil mit dem Titel »Der gute Geist des Rock’n’Roll« wird hoffentlich ordentlich zu Ende gebracht.

Diesmal geht’s übrigens noch mal um ein Treffen mit Kolleginnen, um ein Stöbern in einem alten und recht staubigen Archiv und der Fahrt auf ein Emocore-Konzert. Das pralle Leben also – und das ist dann doch ein bisschen autobiografisch …

13 Dezember 2024

Bob Leman und sein Loob

Einer der Science-Fiction-Autoren, die ich bislang nur vom Namen her kannte, war Bob Leman. Der Schriftsteller lebte von 1922 bis 2006 und publizierte zahlreiche Geschichten in unterschiedlichen Genres. Eine seiner Storys, »Windows«, wurde mehrfach nachgedruckt und auch verfilmt.

In »Insekten im Bernstein« befindet sich eine andere Geschichte von ihm, die ich dieser Tage las. Die Storysammlung ist die Folge 57 der deutschsprachigen Ausgabe von »The Magazine of Fantasy and Science Fiction« und wurde 1980 bei Heyne veröffentlicht. Und »Loob« erweist sich als eine Geschichte, wie sie in den späten 70er-Jahren nicht untypisch war.

Worum geht’s denn dabei? Ein Ich-Erzähler berichtet von seiner Heimatstadt in den USA, von ihrer Entwicklung, ihrem Aufstieg und ihrem Fall. Das alles steht in Zusammenhang mit einem Mann namens Loob, der offenkundig kein brillanter Typ ist, sondern eher als stumpf und arg schlicht gilt. So richtig klar wird das alles nicht – aber anscheinend könnte Loob den Niedergang der Stadt verhindern, was er aber nicht tut.

Was steckt dahinter? Handelt es sich um eine parallele Wirklichkeit, treffen hier parallele Universen aufeinander? Kann man die Vergangenheit verändern? Die seltsam verschlungen wirkende Geschichte, die ich mit wachsender Faszination las, gibt keine Antwort.

Man kann sich im übrigen darüber streiten, ob das nun Science Fiction oder Fantasy ist oder doch eher so etwas wie die klassische Phantastik: Etwas Unheimliches ist geschehen, das sich strengen wissenschaftlichen Kategorien entzieht, und der Ich-Erzähler steht diesem machtlos gegenüber. Diese Stimmung überträgt sich auf die Leser.

Damit ist diese Story weit entfernt von der Ingenieur- und Raumsoldaten-SF, wie sie in früheren Jahrzehnten entwickelt worden war, hat aber nichts mit typischer Fantasy zu tun. »Loob« ist eine interessante Phantastik-Story, die unter anderem dadurch überrascht, dass sie sich üblichen Konventionen entzieht: kein Spannungsbogen, keine sauber komponierten Dialoge, stattdessen ein Gefühl von »Unwägbarkeit«.

12 Dezember 2024

Ein Interview in den »AN«

Die »Andromeda Nachrichten« sind eines der dienstältesten Fanzines im deutschsprachigen Raum. Ich lese es seit den frühesten 80er-Jahren, wenngleich nicht lückenlos. Vor allem die Entwicklung in den vergangenen Jahren gefällt mir sehr gut, das Heft hat sich zu einer relevanten Zeitschrift entwickelt.

Umso mehr schmeichelt es mir, wenn ich in der aktuellen Ausgabe in einem Interview zu Wort komme. In der Ausgabe 287, die dieser Tage an die Abonnenten verschickt worden ist, werde ich von Volly Tanner befragt. Es gibt die üblichen Fragen zu meiner Arbeit und wie das bei unserer Serie eigentlich so ist.

Darüber hinaus stellt Volly allerdings Fragen, die der »normale« Science-Fiction-Fan nicht unbedingt auf dem Schirm hat. Unter anderem spricht er mich auf Social Beat, meine Reisen nach Afrika oder allgemein-politische Themen an. Das fand ich gut, auch wenn ich nicht so ausführlich darauf antworten konnte.

11 Dezember 2024

Krachige Texte vom Abgrund

Alle paar Jahre wird der Schriftsteller Jörg Fauser von den klugen Köpfen dieser Republik neu entdeckt und abgefeiert. Derzeit ist es wieder so weit: Bei Diogenes erscheinen seine Romane als schicke Ausgaben, es gab eine Reihe von Artikeln über ihn. Da lohnt es sich doch, seine Textsammlung »Die Harry Gelb Story« zu lesen.

Das schmale Buch wurde erstmals 1973 veröffentlicht und 1985 erneut in den Handel gebracht. Die Version, die ich mir kaufte, stammt aus dem Jahr 2001. Das Buch erlebte im Verlauf der Jahre und Jahrzehnte also einige Auferstehungen.

Ich halte es auch für lesenswert, vor allem, wenn man sich ein wenig mit der sogenannten Underground-Literatur früherer Jahre beschäftigen will. Fausers Gedichte – mehrheitlich kann man die Texte in diese Ecke stellen – sind grob und spiegeln ein heftiges Leben wieder. Es geht um Drogen und Alkohol, den letzten Schuss in Istanbul oder das Leben auf der Straße, um Frauen und Sex, um Gewalt und zeitgenössische Schriftsteller.

Viele Textzeilen sind großartig, andere empfinde ich heute als grenzwertig. Vor allem die Art, wie der Autor über Sex und Frauen schreibt, würde heute so – aus gutem Grund – kein Verlag mehr veröffentlichen; das klingt oft sehr abschätzig. Andererseits spiegelt es die Realität dieser Zeit und dieser »Szene« wieder.

Fausers Texte sind so realitätsnah, dass es einem manchmal gruselt. Auf künstlerischen Firlefanz verzichtet er. Immer wieder werden andere Autoren oder auch der Übersetzer Carl Weisser – von ihm stammt auch das Vorwort – in den Texten erwähnt. Wer diese Namen nicht einzuschätzen weiß, hat sicher seine Schwierigkeiten.

»Die Harry Gelb Story« ist eine krasse Lektüre; wer Charles Bukowski mag oder mal mochte, wird dieses Buch allerdings schätzen. Erschienen ist es im Maro-Verlag – wo auch sonst? –, und die Texte sind so, dass man sie mehrfach lesen kann.

Was kann man mehr an Lob über einen teilweise echt krassen Band mit Gedichten und anderen Texten sagen?

10 Dezember 2024

Der Markus und das Genre

Eigentlich hielt ich Markus Söder immer für irgendwie witzig. Der CSU-Politiker ist ein Populist, und damit ist er erfolgreich. Ich fand aber stets amüsant, wie er popkulturelle Einflüsse in seinen Präsentationen umsetzte. Und ich dachte: »Wenn sich jemand als Shrek verkleidet oder sich öffentlich als Science-Fiction-Fan darstellt, kann er doch kein schlechter Mensch sein.«

Seine ganze Begeisterung für »Star Wars«, die ich zwar nicht teilen kann, fand ich eigentlich sympathisch. Das passt nicht zu seiner tagtäglichen Politik und zu seinen dauernd populistischen Äußerungen, schon klar. Aber »Star Wars« öffentlich gut finden – das zeugt doch von einem gewissen Nerd-Umfeld, das ich mag.

Bis mir »Piratensender Powerplay«, mein aktuell liebster Podcast, sehr deutlich klarmachte, dass Söder »Star Wars« überhaupt nie verstanden hatte. Er stehe doch nicht auf der hellen Seite der Macht, er sei in keinem Fall einer der Guten, sicher kein Rebell gegen das Regime. Ein Markus Söder wäre, würde es ihn im »Star Wars«-Universum geben, stets auf der dunkeln Seite platziert sein.

Der Podcast begründete das ein wenig, und mir leuchtete es sofort ein. Seither habe ich für Markus Söder nicht einmal mehr wegen seiner Nerd-Seiten irgendwelche Sympathien.

09 Dezember 2024

Die Lametta 2024

Als was man einem Außenstehenden die Lametta in Karlsruhe erklären soll, ist mir nicht ganz klar. Vielleicht so: Hier treffen allerlei Kleingewerbetreibende, die Kunst, Kleidung, Schmuck und andere Dinge anbieten, auf ein Publikum, das sich wohl als »öko« oder »liberal« bezeichnen würde. Anders gesagt: Die Blase, in der ich mich doch die meiste Zeit bewege, hat an zwei Tagen im Dezember eine zusätzliche Gelegenheit, sich zu treffen.

Und so bummelte ich am Samstag durch das Tollhaus, wo die Messe veranstaltet wurde. Es gab allerlei zu bewundern: Bier aus Karlsruhe, Schmuck aus Karlsruhe, Kerzen aus Karlsruhe, Klamotten aus Karlsruhe und so weiter – aber auch allerlei Händler aus anderen Regionen des Landes. Bilder gab es zu kaufen, Blocks mit den Titelbildern alter Romane, Schnäpse aus der Region und anderes.

Die meisten Produkte, die angeboten wurden, schrieben sich »nachhaltig« auf die Agenda, manches wirkte bewusst »amateurhaft«, und es gab keine Produkte von großen Firmen. Wer also originelle Geschenke für Weihnachten suchte, war hier sehr gut beraten.

Ich selbst kaufte gar nichts, aber ich hatte viel Freude dabei, zwischen den Ständen hindurchzuschlendern und gelegentlich auf Bekannte zu stoßen. Man kennt sich teilweise seit vielen Jahren; es sind Leute darunter, die auch schon durch einen Pogo-Mob gehüpft sind, heute aber ähnlich bieder und grauhaarig durch die Gegend schleichen wie ich.

Die Lametta 2024 hat mir wieder Spaß gemacht. Auch wenn die bisherigen Organisatoren aufgehört haben, hoffe ich doch, dass in den kommenden Jahren eben andere Leute diese schöne Veranstaltung weiterführen.

06 Dezember 2024

Vom Balkon in den Keller

Wir saßen beim Essen. In der Ferne verschwamm die Silhouette der großen Stadt in den tief hängenden Wolken. Lichter blitzten ab und zu durch das Grau in der Luft, die Wolkenkratzer schienen ab einer gewissen Höhe zu verschwimmen. Der Blick auf Berlin war von den umliegenden Hügeln immer beeindruckend.

Das Essen schmeckte gut. Rings um uns blühten Pflanzen, auch der Balkon war begrünt. Wir ließen uns die leckeren Gerichte schmecken, wir mochten den Wein aus der Region. Berlin selbst fand ich immer anstrengend, die Naherholungsgebiete um die Metropole schätzte ich aber. 

Als ich pinkeln musste, blickte ich mich ratlos um. Wo sollte ich hingehen? Ich überlegte mir, einen der Kellner zu fragen.

Meine Begleitung wusste Rat. »Du musst die Treppe hinuntergehen«, sagte sie und nickte mit dem Kopf zu dem Eingang ins Restaurant. »Oder du kletterst über die Balkonbrüstung.« Es war ein Scherz, sie blinzelte dabei.

Aber ich nahm es ernst. Ohne ein weiteres Wort stand ich auf, legte die Serviette auf meinen Platz und ging zur Brüstung. Er kletterte zwischen den Pflanzen hindurch und saß dann auf der Brüstung. Weil es breite Holzbretter waren, konnte ich mich gut festhalten. Rasch kletterte ich nach unten, wo ich wieder auf einem Balkon stand.

Dieser Balkon war ebenfalls ein Restaurant. Überall saßen Menschen, es wurde gegessen und getrunken. Ein Keller sah mich, schenkte mir einen strafenden Blick und wies mit der Hand auf die Brüstung. Ich musste also weiterklettern.

Zwei weitere Balkone kam ich so nach unten. Als ich auf festem Boden stand, erkannte ich, dass ich den Eingang einer großen Lagerhalle erreicht hatte. Eis überzog die Wände, es kam kalt aus dem Inneren. Männer in weißen und grauen Kitteln zogen Hubwagen mit Paletten durch die Gegend. 

Ich war verwirrt. Wo war nun die Toilette? Ich frage einen der Männer, der offensichtlich kein Deutsch konnte, meine Frage aber kapierte. Unbestimmt wies er in die Tiefe der Halle. Ich folgte seinem Hinweis.

Mit jedem Schritt, den ich in die Halle– oder in den Eiskeller? – hinein machte, wurde mir kälter. Überall standen Paletten und Container, die Fisch enthielten. Ich las einige der Aufschriften auf der jeweiligen Verpackung. Der Anblick brachte mich ziemlich durcheinander.

Irgendwann erreichte ich das Ende des Eiskellers, die in einen Supermarkt überging. Ich spazierte zwischen Regalen hindurch, wobei ich mich ständig umsah; eine Toilette nahm ich nirgends wahr. Meine Blase drückte, es war schon unangenehm.

Da wachte ich endlich auf.

05 Dezember 2024

Armageddon als Fanzine-Thema

Im Dezember 1968 erschien ein Fanzine, das für die weitere Entwicklung der Fantasy- und Science-Fiction-Szene in Deutschland nicht unwichtig war: Es war die sechste Ausgabe von »FOLLOW«, zusammengestellt von Hubert Strassl und Eduard Lukaschandl. Enthalten waren vor allem die Spielregeln von »Armageddon«, dem ersten großen Fantasy-Brettspiel überhaupt.

Ich schaute mir in diesen Tagen nicht das Original-Fanzine an, sondern den Reprint, der im Spätjahr 1979 veröffentlicht wurde. Der »Follow-Sonderdruck« mit der Nummer vier ist nichts anderes als die »FOLLOW«-Ausgabe 6. Wer das nicht gleich versteht, möge sich nicht grämen; mir war das 1979 ebenfalls nicht gleich bewusst, als ich versuchte, in die Strukturen des Ersten Deutschen Fantasy-Clubs einzusteigen.

Das vorliegende Fanzine enthält auf über fünfzig Seiten im A5-Format die Regeln für ein Spiel, das im Verlauf späterer Jahre immer größer wurde, zahlreiche andere Spiele beeinflusste und heute noch gespielt wird. Das Regelwerk zu »Armageddon« war damals bereits komplex und sollte im Verlauf der Zeit noch komplexer werden.

Auch hier gilt: Ich war sehr verwirrt, als ich mir zu Beginn des Jahres 1980 in jugendlichem Leichtsinn die Spielregeln kaufte ...

Das Regelwerk im vorliegenden Fanzine beschreibt die Möglichkeiten, einen Krieg in einer Fantasy-Welt zu führen. Truppen werden bewegt, Schiffe sind auf den Meeren unterwegs, Fabeltiere kommen zum Einsatz. Länder wie Esran und Clanthon wurden damals definiert, ohne dass man sie mit »Leben« gefüllt hätte, also mit Geschichten oder Romanen. Aber es wird klar, dass aus diesem Regelwerk etwas Größeres entstehen könnte.

Ob sich Lukschandl und Strassl damals ausmalten, dass ihre Schöpfung auch Jahrzehnte danach Bestand haben würde, weiß ich nicht. Mit dem kleinen Heft legten sie damals einen wichtigen Grundstock für viele Fantasy-Fans, Rollen- und Brettspieler.

04 Dezember 2024

Keine leichte, aber wichtige Literatur

Toni Morrison war zeit ihres Lebens eine bedeutende Autorin der amerikanischen Literatur. Sie wurde 1993 als erste Schwarze Frau mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, viele ihrer Romane bekamen darüber hinaus nationale und internationale Preise. Ihr erster Roman war »Sehr blaue Augen«; er liegt seit 2023 als Neuveröffentlichung im Hardcover-Format vor, und ich habe ihn gelesen.

Ohne zu sehr ins Detail zu gehen (das kann man ja alles ausführlich in der Wikipedia nachlesen): Die Geschichte spielt in den sogenannten Südstaaten der USA, und sie zeigt das Leben von armen Schwarzen. Zentrale Figur ist ein Mädchen, das als besonders hässlich gilt, von allen nur herumgeschubst wird und als größten Lebenswunsch eigentlich nur hat, auch so blaue Augen zu haben wie die beliebten weißen Mädchen in der Schule.

Toni Morrisons Blick in die Lebenssituation von bettelarmen Schwarzen Familien ist erschütternd und nicht immer leicht zu lesen. Die Menschen, die sie schildert, sind keine fröhlichen Leute, die mit Humor ihrem Schicksal trotzen. Sie sind nicht gerade positive Charaktere, sondern sie kämpfen mit sich und ihren Familien. Alkohol und Gewalt, Sex und Verelendung sind die Norm, und das schildert die Autorin sehr scharf und sehr klar.

In unterschiedlichen Abschnitten zeigt sie das Leben ihrer Figuren, das Ende fällt leider nicht besonders positiv auf. Aber damit ist bei einem solchen Roman ja auch nicht zu rechnen.

»Sehr blauen Augen« ist ein wichtiges Buch, das mir schon zu denken gegeben hat. Die Lektüre halte ich für wichtig, und es ist sehr gut, dass der Roman in dieser Form neu aufgelegt worden ist.

Sehr empfehlenswert!

03 Dezember 2024

Beeindruckender Thriller mit Science-Fiction-Hintergrund

Über den Schriftsteller Andreas Eschbach muss ich an dieser Stelle sicher nicht viel sagen. Einem breiten Publikum wurde er durch seine erfolgreichen Romane wie »Jesus-Video« oder »Eine Billion Dollar« bekannt. Science-Fiction-Leser mögen seine »Marskinder«-Romane oder einzelne Werke wie »Haarteppichknüpfer«. Die PERRY RHODAN-Leser erfreut er alle paar Jahre durch einen Gastroman.

Mit »Die Abschaffung des Todes« legte der Autor im Herbst 2024 einen Roman vor, der zwar im »Hier und Jetzt« spielt, aber eine eindeutige Science-Fiction-Idee aufweist und diese bis ins Detail durchspielt: Wie wäre es denn eigentlich, wenn man mithilfe der Technik den Tod überlisten könnte? Ist so etwas überhaupt machbar, und welche Szenarien sind denn denkbar?

Was sich ein bisschen theoretisch anhört, wird im Roman unterhaltsam und locker präsentiert. Als Hauptfigur wählte der Autor einen Journalisten aus. James Windover ist der Herausgeber einer exklusiven Publikation, die sich nur an reiche und einflussreiche Menschen wendet.

Mit seinem Team kommt er auf die Spur eines mysteriösen Projekts, das von amerikanischen Unternehmern im Geheimen vorbereitet wird. Dabei sollen die aktuellen Mittel der Computertchnik mit den Entwicklungen der Hirnforschung verbunden werden. Ziel ist tatsächlich eine Art Unsterblichkeit, nicht unbedingt für den Körper, aber doch für das Bewusstsein.

Je mehr Windover über das Projekt herausbekommt, desto faszinierender findet er es. Bald erkennt er auch die kritischen Seiten des Projekts. Irgendwann steht er in Verbindung zu einem Autor, und dann werden die beiden gejagt … Ganz offensichtlich geht es beim Versuch, den Tod zu überwinden, nicht um Philanthropie, sondern um beinharte Interessen.

Andreas Eschbach gelingt es in seinem Roman wieder einmal, Science Fiction zu schreiben, die nicht wie Science Fiction aussieht. Die Handlung spielt heute, die Figuren benutzen die Technik des Jahres 2024 – aber die Vision, die der Autor entwickelt, weist über dieses Jahr hinaus.

Man kann den Roman ohne jegliche Vorkenntnisse lesen, bekommt nebenbei haufenweise Informationen über Hirnforschung und das Finanzwesen vermittelt und denkt vielleicht über manche Dinge hinterher anders: Ist es wirklich so gut, dass sich so viel Macht und Einfluss auf so wenige Personen konzentriert?

Eschbachs Verdienst als Autor ist schon immer, dass er keinen moralischen Zeigefinger erhebt. Er überlässt das Denken seinen Leserinnen und Lesern, er gibt höchstens Denkanstöße. Das verbindet er mit glaubwürdigen Charakteren, einer groß angelegten Geschichte und vielen Details, die für sich schon faszinierend sind.

Ich habe »Die Abschaffung des Todes« in einem rasanten Tempo gelesen. Der Roman verzichtet weitestgehend auf die typischen Elemente eines Thrillers – es wird nicht brutal gemordet, die Action beschränkt sich auf wenige Seiten –, reißt aber trotzdem mit. Klare Dialoge, stets saubere Beschreibungen, eine unterschwellige Bedrohung: Der Autor weiß, wie man die Leserinnen und Leser fesselt.

Wer schon einmal Romane von Andreas Eschbach gelesen hat, wird an »Die Abschaffung des Todes« auf jeden Fall viel Freude haben. Alle anderen sollen sich nicht vom Umfang abschrecken lassen: Das Buch entfaltet einen starken Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Und es behandelt letztlich ja ein Thema, das mehr ist als »nur ein Roman«.

Erschienen ist der Hardcover-Band mit Schutzumschlag bei Bastei-Lübbe. Das Buch ist 655 Seiten stark und kostet 26,00 Euro. (Das E-Book kostet 19,99 Euro.) Man kann es mithilfe der ISBN 978-3-7577-0051-5 überall im Buchhandel bestellen.

Bei Lübbe-Audio ist auch eine Hörbuchfassung erschienen. Die gekürzte Version wird von Matthias Koeberlin gelesen; sie ist 916 Minuten lang und wird auf drei MP3-CDs angeboten. (Zur Qualität kann ich nichts sagen, weil ich das Hörbuch nicht gehört habe.) Als Preis werden 26,00 Euro empfohlen.

(Die Rezension erschien ursprünglich auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie. Ich wiederhole sie hier recht zeitnah.)

Ein fischiges Menü

Seit wann ich Vegetarier bin, weiß ich gar nicht mehr. Ich erinnere mich dunkel daran, dass es um 1993 herum anfing, nachdem vorherige Versuche gescheitert waren. War ich als Reisender in afrikanischen Ländern unterwegs, aß ich allerdings immer, was ich eben bekam, und diskutierte nicht herum – ein Bekannter bezeichnete mich damals sarkastisch als »Euro-Vegetarier«, womit er nicht unrecht hatte.

Mittlerweile esse ich sogar regelmäßig Fisch, was ich lange Zeit vermied. Totes Tier ist schließlich totes Tier. Aber so einmal im Vierteljahr lasse ich mich dazu überreden; es soll ja auch gesund sein und hilft bei irgendwelchen Vitamin-B12-Haushalten. Und so ging ich mit großem Vergnügen zum Menü-Abend ins »fünf«.

Es war alles köstlich: die Dekoration, das Essen, der Wein, die Gespräche. Es war ein wunderbarer Abend, zugleich der erste Menp-Abend im »fünf«. Diesmal ging's um Wasser; mal schauen, was bei den anderen Elementen serviert und präsentiert wird ...

02 Dezember 2024

Fiese Briefe vor historischem Hintergrund

Kurz nach dem Ersten Weltkrieg, ein kleiner Ort in England: Eine unbekannte Person schreibt Briefe voller Schimpfwörter an eine »unbescholtene« Frau. Verdächtigt wird die Nachbarin, die vor allem durch einen lockeren Lebenswandel auffällt. Sie wird verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, ihr soll der Prozess gemacht werden.

Der Kinofilm »Kleine schmutzige Briefe« wurde 2023 in England in die Kinos gebracht, lief im März 2024 in den deutschen Kinos an – doch dort bekam ich nichts von ihm mit. Nun sah ich ihn mir bei einem der Streaming-Anbieter an, fand ihn höchst unterhaltsam und möchte ihn empfehlen.

Das Ensemble hatte wohl seine Freude an der Mischung aus historischen Details und groben Schimpfwörtern. Es wird geflucht, und die Schimpfwörter sind teilweise sehr heftig. Gleichzeitig wird aber klar, dass das hauptsächliche Problem die superchristliche Moral ist: Die junge Frau, die zumindest zeitweise ins Gefängnis muss, ist definitiv nicht schuldig, soll aber zur Schuldigen gemacht werden – weil sie eben nicht so gottesfürchtig und zurückhaltend ist.

Toll erzählt ist der Streifen, mit eindrucksvollen Bildern; das schaut man sich gern an. Und er bleibt trotz der moralischen Komponente mitreißend und witzig. Sehr schön!