Ich hatte schon leicht einen im Tee, als ich mit Harro wieder in meine Wohnung kam. Wir hatten im »Euphrat« um die Ecke je einen vegetarischen Döner gefuttert und zwei Bier getrunken; das war eigentlich nicht viel, reichte an diesem Tag aber.
»Ich krieg‘ heute nicht mehr viel gebacken«, gestand Harro. »Meinetwegen brauchen wir uns nicht mehr auf der Straße herumzutreiben.«
»Geht mir genauso.« Ich seufzte abgrundtief. »Ich werde halt alt, und Punk ist nicht mehr das, was es einmal war.«
In diesem Frühsommer 1995 war ich wieder einmal mit mir und dem Leben reichlich unzufrieden: Stress in der Firma, kein Glück mit den Frauen, wenig Erfolg mit der eigenen Schreiberei und für Punkrock so langsam ein bisschen alt. Da kam mir Harro gerade recht: Er war gut zehn Jahre jünger als ich, ein sportlicher Skatepunk, und als er mich gefragt hatte, ob er in dieser Woche – er war beruflich in der Stadt – einige Zeit bei mir unterkommen konnte, hatte ich bereitwillig zugestimmt.
Und dann saßen wir da, ich stellte neue Biere auf den Tisch, und wir waren beide müde. »Na super«, sagte ich. »Und was machen wir jetzt? Fernsehgucken geht nicht, ich hab‘ keine Glotze.«
Harro strahlte vor Begeisterung. »Ich hab‘ was ganz Neues. Hast du schon mal von ›Magid‹ gehört?«
»Ist der Papst katholisch?« Natürlich wusste ich, was »Magic« war. Die eine Hälfte meines Freundes- und Bekanntenkreises stammte aus dem Science-Fiction- und Fantasy-Umfeld, und viele von diesen Leuten mochten Rollenspiele und dergleichen.
Er stöberte in seiner Tasche und legte einen Packen mit Karten auf den Tisch. Während ich mein Bier trank, blätterte ich sie durch. Ich fand die Fantasy-Illustrationen gut, lästerte über einige seltsame Bilder, fand das Spiel aber optisch sehr schön.
»Willst du’s lernen?«, fragte Harro.
Zuerst wollte ich nicht. Aber nachdem ich noch einmal zwei Bier getrunken hatte, war ich reif. Er versuchte, mir die Regeln beizubringen, und er gab sich redlich Mühe. Im Hintergrund bollerten Bands wie die Wipers oder Big Black aus den Boxen, kein stressig-moderner Hardcore, sondern eher rockig-rotzig Töne. Und wir tranken ein Bier nach dem anderen.
»Du musst hier einen Zauberspruch setzen«, erläuterte Harro und legte eine Karte. Er legte eine andere auf den Tisch. »Dann kann ich mit diesem Dämon darauf reagieren.« Ich starrte auf die Karten und versuchte, alles zu kapieren.
Leider setzte die Wirkung von Bier und Musik bei mir um diese ein. Ich verstand nichts von den Regeln. Als Harro und ich ein Probespiel anfingen, stellte sich heraus, dass ich alles vergessen hatte, was er mir gut eine Stunde lang erklärt hatte.
Verzweifelt warf er die Hände in die Luft. »Das ist doch nicht schwer!«, rief er entsetzt.
Mein Argument, ich sei mittlerweile vielleicht zu besoffen für ein so intellektuelles Spiel, ließ er nicht gelten. »Ich hab‘ genausoviel getrunken wie du«, behauptete er.
»Du bist auch noch jung und sportlich«, konterte ich.
Wir entschieden uns ein Bier später, die »Magic«-Karten wegzupacken und uns auf Krachmusik und Biertrinken zu konzentrieren. Da waren wir zumindest einer Meinung.
Und das ist der Grund, warum die große »Magic«-Welle der 90er-Jahre spurlos an mir vorüberging …
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