23 November 2022

Zwei Nächte in Marseille

Die Romane des italienischen Schriftstellers Gianrico Carofiglio mag ich seit Jahren. Der Autor aus Bari veröffentlichte verschiedene Krimis, in denen er immer wieder die Mafia thematisierte. Kein Wunder: Carofiglio hat sich als Staatsanwalt häufig mit dem organisierten Verbrechen auseinandergesetzt.

Mit dem Roman »Drei Uhr morgens« legt er aber ein Werk vor, das so gar nichts von einem Krimi hat. Im Prinzip geht es um einen Vater und einen Sohn, die in Marseille auf einer ungewöhnlichen Reise zur Selbsterfahrung sind. Die ruhig erzählte Geschichte zog mich bei der Lektüre immer mehr in ihren Bann – sie ist spannend, ohne auch nur ansatzweise Krimi-Aspekte oder dergleichen aufzuweisen.

Hintergrund für alles ist eine Epilepsie, die bei dem Sohn diagnostiziert wurde. Weil die Spezialisten für diese Krankheit in Marseille sitzen, reisen Vater und Sohn dorthin. Dort muss der Sohn an einem Experiment teilnehmen, das die Ärzte anordnen: Dazu gehört, dass er zwei Tage und zwei Nächte ohne Schlaf verbringen muss. Sein Vater beschließt, diese Zeit mit ihm zu teilen, was letztlich bedeutet, dass sie sich gegenseitig wachhalten müssen.

Daraus könnte man eine Klamotte machen, einen skurrilen Roman mit vielen schrägen Begegnungen. Der Autor verzichtet darauf. Er erzählt in einem ruhigen Ton, wie der Jugendliche mit seinem Vater diese Zeit verbringt. Die beiden trinken irrsinnig viel Kaffee, sie gehen stundenlang durch die nächtlichen Straßen, und sie reden.

Das könnte man elend langweilig erzählen, aber der Autor kann halt schreiben. Die Spannungen zwischen Vater und Sohn, die Begegnungen mit anderen Leuten, die Angst vor der Krankheit, das alles vermengt er in einem Erzählreigen, der fasziniert.

»Drei Uhr morgens« ist ein stiller literarischer Roman, der sich leicht lesen lässt und der im Leser nachwirkt. Zwischen all der Genre-Literatur, die ich ansonsten bevorzuge, ist das eine gelungene Abwechslung.

1 Kommentar:

  1. Ich habe »Drei Uhr morgens« in der Hardcover-Version erschienen, die schon vor einigen Jahren veröffentlicht wurde. Im Unionsverlag kam in diesem Jahr das Taschenbuch heraus.
    Hier:
    http://www.unionsverlag.com/info/title.asp?title_id=8666

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