01 Oktober 2021

Wie ich fünf Euro für Pur bezahlte

Aus der Serie »Erinnern an Konzerte«


In den Nullerjahren packte die Stadtverwaltung von Karlsruhe wieder einmal der Größenwahn. Es genügte nicht, eine »kleine Großstadt« zu sein, man wollte unbedingt höhere hinaus. Dazu gehörte dann auch das Ziel, Kulturhauptstadt Europas zu werden, das allerdings gnadenlos verfehlt wurde.

Auf dem Weg dahin vergaß die Stadtverwaltung nicht die geringste Peinlichkeit. Manchmal gab es allerdings auch gute Ideen, und so pilgerten wir am Samstag, 18. September 2004, zu einem riesengroßen Kultur-»Event« in die Oststadt. Die sah damals noch nicht so aus wie heute, sondern bestand zu einem großen Teil aus einem abgewrackten Schlachthof, einem Autohaus, das ausgeschlachtet wurde, und haufenweise Dreck und Steinen.

Ein Jazz-Zelt und eine Filmvorführung, ein Pop-Zelt und haufenweise alberne Akrobaten auf der Straße: Es war alles geboten, was Deutschlehrer und alternde Studenten für Kultur hielten. Alles kostete pauschal fünf Euro, was ich für absolut in Ordnung hielt – Kultur soll schließlich auch etwas für die Leute sein, die nicht so viel Kohle in der Tasche haben –, und wer wollte, konnte sich mit politisch korrektem Döner und viel Bier die Birne abschießen.

Konsequenter-weise hatte man aus diesem Grund in das sogenannte Pop-Zelt dann genau solche Musik geholt, die sowohl junge Leute mit Piercing-Ringen und Holzkettchen als auch altersgraue Sozialpädagogen zufriedenstellten konnte. Leider konnte ich nicht so viel trinken, wie ich gebraucht hätte, um das Ganze ohne größere Schäden zu überstehen.

Zuerst langweilten Schein 23 aus Karlsruhe, so eine Art IndieRock, wobei das einzige, was an dieser auf jeglicher aktueller Welle reitender Band »independent« ist, eben die Tatsache sein dürfte, dass die Musiker noch kein Geld mit ihrer Musik verdienen. Astra Kid verpasste ich, stattdessen guckte ich mir drei Stücke von Kettcar an.

Es erwies sich als eine große Rock-Oper: Schätzungsweise tausend Leurte jubelten der Band zu, auf der Bühne waberte der Trockeneisnebel. Es ar ein weiter Weg für Markus Wiebusch: vom Deutschpunk von Die Vom Himmel Fielen über Intellektuellen-Punk mit ...but alive hin zum weichgespülten IndiePop von Kettcar.

Es war unnötig, zu viel über die Veranstaltung zu schreiben. Mir reichte es nach drei Stücken komplett. Genial war einfach der folgende Satz meiner Begleitung: »Das klingt alles wie Pur.« Gefolgt vom folgenden: »Wer Kettcar gut findet, muss auch Hartmut Engler und seine Band gut finden.«

(aus dem Enpunkt 42 vom April 2005)

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