Mit Revolutionen ist es so eine Sache, mit Aufständen und Widerstandsbewegungen, mit Demonstrationen und Aufmärschen: Wann immer viele Leute gemeinsam auf die Straße gehen und man in einer Menge unterwegs ist, fühlt man sich stärker. Es hat etwas »Faschistisches« und gleichzeitig »Geiles«, mit vielen anderen Parolen zu rufen, gemeinsam zu laufen und zu rennen, vielleicht auch mal etwas zu werfen oder kaputtzumachen. Ich kann das aus verschiedenen Gründen sehr gut verstehen.
Bis in die neunziger Jahre hinein waren große, auch aufrührerische Demonstrationen eine Sache der »Linken«, und ich setze das bewusst in An- und Abführungszeichen. Gegen die Startbahn West und gegen Wackersdorf, für besetzte Häuser und die Umwelt, für Flüchtlinge und gegen Nazis – ich habe selbst an zahlreichen Demonstrationen teilgenommen und werde das sicher auch in Zukunft tun.
Aber ich muss mir einfach überlegen, mit wem ich laufe und an wessen Seite ich welche Parole rufe. Ich werde nie vergessen, wie ich mich fühlte, als ich in den 80er-Jahren bei einem »Ostermarsch« in Stuttgart war: Auf der einen Seite wehten die Fahnen der Kommunisten sowie irgendwelcher kurdischen Splittergruppen, auf der anderen Seite beteten irgendwelche Superchristen. Damit wollte ich nichts zu tun haben, also ging ich danach auf keinen Ostermarsch mehr.
Oder in den 90er-Jahren, als ich gegen den Kosovokrieg demonstrieren wollte. Ich drehte um, als ich die Kundgebung sah – unter einem Meer von serbischen Flaggen wollte ich nicht für Frieden demonstrieren.
Viele »Linke« hatten damit kein Problem, ich schon. Für mich gibt es keinen guten und schlechten Nationalismus – ich halte Nationalismus generell für fragwürdig.
Als ebenso fragwürdig betrachte ich derzeit die »Gelbwesten«. Weniger auf die in Frankreich, bei denen aber auch immer mehr seltsame Fraktionen auflaufen: Ab dem Moment, wenn aus einer »Gelbwesten«-Demonstration heraus antisemitische Parolen gerufen werden, ist das Thema erledigt – aber das müssen die Franzosen selbst entscheiden.
Wenn hierzulande die »Gelbwesten« auflaufen, formieren sich seltsame Grüppchen. Beinharte Nazis, verwirrte Ökospinner und beknackte Linke rufen zu den Demonstrationen auf, fordern irgendwas und machen es sehr schwer, das Ganze ernstzunehmen. In diesem Gebräu gegensätzlicher Meinungen und verwirrenden Aussagen machen dann auch noch Leute mit, mit denen ich nicht am Tisch sitzen oder auf einer Demonstration laufen möchte.
So schön eine gewisse Romantik der Revolution ja sein mag – siehe einleitend –, so klar ist es auch, dass ich nicht mit Leuten in einer Reihe laufen kann, die faschistische, nationalistische oder antisemitische Thesen verbreiten. Für mich sind die »Gelbwesten« hierzulande nicht diskutabel: zu unsauber in ihrer Abtrennung.
Gruselig finde ich, wie viele Menschen dann mehr oder weniger heimlich ihre Sympathie für die Bewegung zeigen: Endlich zeige man es »mal denen da oben« oder »so ein bisschen Revolution tut gut« oder »wir sollten mehr von den Franzosen lernen«. Der gelbe Sound der Revolution klingt für mich zu sehr nach Stiefeltritten und zu wenig nach Demokratie.
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