Aus der Serie »Dorfgeschichten«
Ich musste meinem Vater dabei helfen, sein Auto winterfest zu machen. Er machte die Sommerreifen herunter und zog neue Winterreifen auf. Diese waren ziemlich teuer gewesen, wie er meinte, also mussten wir sie ordentlich behandeln. Danach wechselte er das Öl.
Ich stand neben ihm, und auf Zuruf reichte ich ihm das Werkzeug, das er brauchte, rollte die Reifen zur Seite und holte neue Reifen hinzu. Und weil ich noch ein Grundschüler war, fühlte ich mich richtig erwachsen, wie ich mit meinem Vater im Freien um das Auto herumwuselte.
Dabei erklärte er mir alles, sagte mir genau, wofür welcher Gegenstand gut war. Zu dieser Zeit glaubte er noch, mich zu einem »guten Handwerker« erziehen zu können. Und weil wir so schön gemeinsam arbeiteten, erzählte er Geschichten von seinem VW-Käfer und anderen Käfern, die er kannte.
So hörte ich zum ersten Mal die Geschichte von dem VW-Käfer, der im Krieg im Sand der afrikanischen Wüste verweht worden war, den man Jahrzehnte nach Rommels Afrikafeldzug wieder ausgrub und der dann – ohne Schwierigkeiten – sofort wieder ansprang. »So etwas ist nur mit einem Käfer möglich«, erzählte mein Vater nicht ohne Stolz und klopfte auf den Kotflügel des orangeroten Fahrzeugs. »So einer geht einfach nicht so schnell kaputt.«
Und weil wir ohnehin schon plauderten, rutschte er auf das Thema Krieg ab, das er ansonsten mied, wo es nur ging. »An der Ostfront hatten wir eine Volkswagen-Kompanie«, erzählte er. »Das waren gut ausgerüstete Soldaten, die mit VW-Käfern in Bereitstellung waren. Wenn es irgendwo brenzlig wurde oder die Russen schon durchbrachen, wurden die schnell an die Front geschickt.«
Als Kind konnte ich mir das nicht so richtig vorstellen. Ich mochte die knubbeligen VW-Käfer nicht nur, weil wir selbst einen besaßen. Das Auto war mit seiner speziellen Form und dem Kofferraum vorne etwas Besonderes, und ich fuhr gerne mit meinem Vater zur Tankstelle oder zum »Holzschlag« in den Wald.
In meiner Phantasie rollten nun bunte Volkswagen durch Russland. Während rings um sie eifrig geschossen wurde, fuhren sie an eine Front, die ich mir nicht richtig vorstellen konnte. Dann sprangen uniformierte Männer heraus, die Waffen trugen und auf angreifende Russen schossen. Am Ende waren alle glücklich.
In meiner Phantasie malte ich mir viele bunte Bilder. Ich dachte nicht an Leiche und Blut, an Tod und Vernichtung. Und meinen Vater fragte ich nie nach den Hintergründen, nach der Realität. So blieb die Volkswagen-Kompanie ein Mythos, der erstaunlich lang in meinem Gedächtnis blieb, begründet an einem Tag, an dem wir die Reifen unseres Käfers wechselten.
(Wenn ich heute versuche, das hinterher zu recherchieren, stelle ich fest, dass die 78. Sturmdivision zumindest zeitweise tatsächlich eine »VW-Aufklärungskompanie« hatte. Das klingt natürlich nicht so exotisch wie das, was ich mir in meiner Grundschüler-Phantasie zusammenreimte.)
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