Im Lauf der Jahre habe ich von dem Schriftsteller Kai Meyer viele Romane gelesen: fast schon klassisch anmutende Jugend-Fantasy, historische Romane, ein wenig Horror und natürlich Science Fiction. Aber keiner seiner Romane hat mich so gepackt wie »Die Bücher, der Junge und die Nacht«: Mit diesem Werk zeigt der Autor, dass er auch allgemeine deutschsprachige Literatur schreiben kann, wobei er nicht auf einen leicht phantastischen Einschlag verzichtet.
Seine Geschichte spielt zu verschiedenen Zeiten. Sie beginnt im Jahr 1943, als im Bombenkrieg das Graphische Viertel in Leipzig in Flammen untergeht, als Buchhandlungen, Druckereien und Verlage am Ende nur noch Schutt und Asche sind. Sie spielt ebenso im Jahr 1971, in dem ein junger Händler im Auftrag eines reichen Mannes auf der Suche nach seltenen Büchern ist. Und sie zeigt das Jahr 1933, während in Leipzig die Nationalsozialisten nach der Macht greifen ... Das alles hängt inhaltlich zusammen und ist über verschiedene Figuren eng miteinander verwoben.
Kai Meyer greift in diesem Roman die zentralen deutschen Themen auf: die Zeit des Dritten Reiches, der Zweite Weltkrieg und der Massenmord an der jüdischen Bevölkerung in Europa. Der Autor beschreibt nicht das Grauen der Vernichtungslager, aber er zeigt, wie Juden ausgegrenzt werden, wie sich einzelne Menschen schuldig machen, wie sich Täter und Opfer gegenüberstehen und was nach dem Krieg aus ihnen geworden ist.
Persönliche Konflikte, die im Jahr 1933 angefangen wurden, sind im Jahr 1971 noch nicht beendet. Die Trennung des ehemaligen Deutschen Reiches in zwei deutsche Staaten spielt ebenfalls eine Rolle. Meyers Figuren müssen moralische Entscheidungen treffen, und das ist für sie nicht immer einfach.
Dem Autor geht es aber auch um Literatur: Bücher sind wichtig, Romane laden ein, in eine fremde Welt aufzubrechen, und es ist wichtig, Literatur zu bewahren und gegen ihre Widersacher zu verteidigen.
Der Roman ist spannend und vielschichtig zugleich. Er stellt die Charaktere in den Vordergrund, spart nicht an persönlichen Dramen und emotionalen Konflikten – es geht auch um Geld und Liebe –, und er schafft es immer wieder, die Faszination für schöne Bücher ins Zentrum zu stellen. Dabei hält Kai Meyer die Balance: »Die Bücher, der Junge und die Nacht« ist sicher kein Roman über die Naziherrschaft und die Shoah, spart dieses Thema aber nie aus. Der Autor ist gesellschaftspolitisch, ohne auch nur einmal mahnend den Zeigefinger zu erheben.
Ich bin mir sicher, dass das »phantastische Element« in diesem Roman nicht jedem Leser auffallen wird. Wer gerne Fantasy oder Horror liest, wird die Hinweise entsprechend einordnen. Wer solche Genres eher meidet, liest eben einen spannenden Gegenwartsroman mit vielen aktuellen Bezügen. Mich konnte das Werk über die gesamte Länge fesseln, und ich empfehle es gern weiter – ein großartiger Roman!
Erschienen ist er als Hardcover mit Schutzumschlag; er ist 496 Seiten stark und kostet 22,00 Euro. (Die E-Book-Version gibt's für 8,99 Euro.) Man kann das Werk in allen Buchhandlungen bestellen, die ISBN 978-3-426-22784-8 kann dabei behilflich sein. Versender wie der PERRY RHODAN-OnlineShop bieten das Buch ebenfalls an.
Es gibt auch eine Hörbuch-Version, die im Argon-Verlag veröffentlicht wurde. Die zwei MP3-CDs haben eine Laufzeit von fast 16 Stunden und werden von Simon Jäger – er wirkte auch bei den PERRY RHODAN-Hörspielen des »Sternenozean«-Zyklus mit –, Maria Koschny und Johann von Bülow eingelesen. Als Verkaufspreis werden 22,00 Euro empfohlen; zur Qualität kann ich allerdings nichts sagen.
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