Der Laden war altmodisch, und er hatte keinen besonderen Namen; er hieß nach seinem Inhaber: »Friseur Würth« war eine Institution in unserer Stadt, und er zeigte in jedem Quadratzentimeter, dass es ihn schon seit Jahrzehnten gab. Besonders gut: Ihm gegenüber war der Sitz von »Elektro-Fortenbacher«, der Firma also, in der mein Vater beschäftigt war.
Und so war es für ihn ganz praktisch, seinen Sohn einzusammeln, wenn er gerade eh »auf Montage« unterwegs war, und ihn zum Haareschneiden beim Frisör abzusetzen. Einen Termin brauchte man nicht, »der Bua« konnte sich gut beschäftigen, und wenn mein Vater dann endlich Feierabend hatte, packte er mich in seinen VW-Käfer, begutachtete den neuen Haarschnitt und fuhr mit mir nach Hause.
Warum ich gerne zum Frisör ging und kein Problem damit hatte, stundenlang herumzusitzen? Des Rätsels Lösung: Der Frisör hatte einen Tisch, auf dem die aktuelle Tageszeitung sowie einige Zeitschriften lagen. Darunter aber war ein Fach, und in diesem stapelte er Comic-Hefte. Es waren schmale Hefte, für die ich damals keinen speziellen Begriff kannte – erst später erfuhr ich, dass es sich um sogenannte Piccolos handelte.
Und was waren das für Schätze! Es gab »Akim« und »Sigurd«, vor allem aber »Tibor«. Die Auswahl wechselte, jedes Mal lagen andere Hefte herum, und mir war die Reihenfolge völlig egal. Ich griff nach einem »Sigurd«, vertiefte mich in ein Abenteuer des tapferen Ritters und war dann für einige Zeit in einer anderen Welt.
Am meisten fesselte mich aber »Tibor«. Dabei handelte sich um einen Dschungelhelden, der nur mit einem Lendenschurz bekleidet war und als einzige Waffe einen Dolch mit sich führte. Er konnte mit den Tieren sprechen – heute würde man sagen, dass es ein »Tarzan«-Abklatsch war –, schlug sich aber auch mit Dinosauriern oder Außerirdischen herum. Im bunten Reigen der Abenteuer gab es eine obskure Mixtur aus Fantasy und Science Fiction, die mein kindliches Hirn wohl für lange Zeit prägte.
Irgendwann sagte mir der Frisör, der damals schon sehr alt war, sicher über sechzig Jahre: »Die Hefte sind von meinem Sohn. Der hat eine ganze Kiste davon, und er mag sie nicht mehr. Wenn du willst, kannst du sie alle haben.«
Ich war faszinierend und begeistert, meine Eltern waren es weniger. Sie wollten nicht, dass ihr Sohn zu sehr durch die »Schundhefte« verdorben wurde. Wenn ich sie beim Frisör las, war das in Ordnung, daheim haben wollte man sie nicht. Also bekam ich nie die große Piccolo-Sammlung des Frisörs.
Das Staunen über die phantastischen Geschichten und das Eintauchen in die fremde Welt der Ritter und Dschungelhelden – das sollte mir bleiben. Und so denke ich oft an den Frisör, der nie erfahren sollte, was er mit seinen Lektüre-Stapeln bei mir anrichtete …
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