Die Handlung lässt sich nicht so einfach zusammenfassen, denn die Autorin erzählt von verschiedenen Leuten und ihren Lebensläufen, die sich immer wieder verbinden und trennen. Eine wichtige Figur ist beispielsweise der Gründer eines Unternehmens, das die Welt buchstäblich verändert: Man kann seine Erinnerungen quasi auf einen Chip hochladen und sie damit für die Nachwelt speichern.
In der Science Fiction ist das keine grundsätzlich neue Idee; längst gibt es Filme und Romane, in denen Bewusstseine gespeichert oder auf technische Gerätschaften hochgeladen werden. Dieser Roman greift die Idee aber anders auf, verzichtet unter anderem auf jeglichen technischen Aspekt, sondern beschränkt sich darauf, wie man so eine Technologie nutzen könnte.
Der Anfang der Entwicklung liegt beispielsweise in der Arbeit einer Forscherin, die sich mit südamerikanischen Völkern beschäftigt hat. Und diese Wissenschaftlerin wiederum steht in einer Beziehung zu anderen Menschen, die wiederum … und so weiter.
»Candy Haus« besteht, wenn man so möchte, aus einer Reihe von Novellen oder Erzählungen, die sich inhaltlich wie stilistisch unterscheiden. Sie spielen in der nahen Vergangenheit, in der Gegenwart und in der nahen Zukunft, decken so den Zeitraum von Mitte des 20. bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts ab. Weil die jeweiligen Figuren, von denen ihr Handlungsabschnitt erzählt, in einer Beziehung zu anderen Figuren stehen, entsteht das Mosaik einer Welt, in der praktisch alle miteinander verbunden sind: über Beziehungen und Erinnerungen.
Die reinen Science-Fiction-Aspekte belässt die Autorin im Hintergrund. Neben der Technik, Erinnerungen zu speichern, führt sie einen weiteren Aspekt in die Handlung ein: eine Art Chip – hier »Assel« genannt –, der ins Hirn von Menschen verpflanzt wird. Er kann für allerlei Zwecke genutzt werden, selbstverständlich auch für eine mögliche Überwachung.
Wie sich die Lebensläufe der Menschen verbinden und wieder trennen, wie Musik eine immer wichtigere Rolle spielt, wie die unterschiedlichsten Schauplätze gewissermaßen aufleuchten und wieder verschwinden – das alles schildert Jennifer Egan mit sprachlicher wie inhaltlicher Präzision. Als Leser muss man bei der Lektüre »dranbleiben«, sonst verliert man den Überblick. Ich musste immer wieder zurückblättern, um mich vergewissern, dass eine Figur, die auf einmal die Hauptperson war, gut 200 Seiten zuvor als Nebenfigur eine wichtige Rolle spielte.
Sicher handelt es sich bei »Candy Haus« um keinen »echten« Science-Fiction-Roman. Die Art, wie die Autorin aber Elemente dieser Literaturgattung benutzt, um ihr Werk in eine andere Zeit zu verschieben, fand ich spannend und lesenswert. Eindeutig aber ist »Candy Haus« ein Roman, der viel über unsere Zeit und ihre Verwicklungen erzählt, ein Streiflicht vor allem durch die amerikanische Gesellschaft.
Lohnenswerte Lektüre!
Erschienen ist »Candy Haus« als Hardcover mit Schutzumschlag im Verlag S. Fischer. Wer sich ein wenig einlesen möchte, greife zur Leseprobe, die der Verlag auf seiner Internet-Seite anbietet.
(Diese Rezension wurde bereits im Juni auf der PERRY RHODAN-Seite veröffentlicht. Ich wiederhole sie hier aus Gründen der Dokumentation.)
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