Der Comic-Autor Wilfrid Lupano hat in den vergangenen Jahren mehrfach bewiesen, dass er sich sowohl auf die Unterhaltung als auch auf den politischen Blick versteht. Vor allem seine Erfolgsserie »Die alten Knacker« hat im deutschsprachigen Raum viele Leser gewonnen. Mit »Der Mörder, den sie verdient« legt der Splitter-Verlag einen Vierteiler des Autors in einem dickleibigen Sammelband vor.
Die Geschichte beginnt im Jahr 1900 in Wien; die Hauptfigur ist ein Jugendlicher, der sich mit seinen Freunden auf der Straße herumtreibt. Während sich die Reichen bereits ein Auto leisten können und der allgemeine Wohlstand wächst, leben seine Freunde und er von der Hand in den Mund.
Als er zwei reiche junge Männer trifft, verändert sich sein Leben. Die beiden beschließen, ihn zu fördern und zu manipulieren; sie sehen ihn als ein Kunstprojekt. Ohne ihn zu fragen, beginnen sie damit, ihn mit Geld zu versorgen, ihm Zugang zu einem Bordell zu ermöglichen und teuer essen zu gehen. Der Jugendliche verändert sich tatsächlich, er verliebt sich in eine Prostituierte – und sein Entsetzen ist groß, als seine Wohltäter ihn von einem Tag auf den anderen fallen lassen.
Er beschließt, Rache zu nehmen. Und während er moralisch immer tiefer sinkt, verlagert sich die Handlung von Wien nach Paris, wo im Schatten der Weltausstellung der Höhepunkt der Geschichte kommt ...
Man muss es klar sagen: »Der Mörder, den sie verdient« ist am Anfang großartig erzählt. In drastischen Szenen malt Lupano, wie sein jugendlicher Held verdorben und verändert wird. Wie man es von dem Autor gewohnt ist, zeigt er die sozialen Verhältnisse der geschilderten Zeit und die Art und Weise, wie sich Menschen in diesen Verhältnissen bewegen. Der Vierteiler erinnert in seinen besten Zeiten an die klassischen Romane von Charles Dickens, die ebenfalls starke Bilder aus dem 19. Jahrhundert zeigten. Der Abschluss der Geschichte ist allerdings ein wenig enttäuschend.
Doch dank der starken Bilder von Yannick Corboz ist dieser Comic-Vierteiler trotzdem empfehlenswert. Sowohl die stark gezeichneten Figuren als auch die Ansichten der Städte Wien und Paris haben mich fasziniert; sie sind realitätsnah und vermitteln ein glaubhaftes Bild einer längst vergangenen Zeit. Sie sind dynamisch, es gibt gelegentlich eine kleine Prise Erotik, ansonsten aber bilden sie eine gelungene Ergänzung zu einer spannenden Geschichte.
»Der Mörder, den sie verdient« ist ein typischer Lupano-Comic, der gut zu »Auf die Barrikaden!« passt, wenngleich er dreißig Jahre danach spielt; die Zeichnungen von Corboz werten die Geschichte auf und lassen den schwachen Schluss schnell vergessen. Das wunderschöne, mit ergänzenden Illustrationen versehene Buch ist nicht gerade preiswert – es erschien 2016 als limitierte Ausgabe –, erweist sich aber als absolutes Schmuckstück in der Bibliothek ...
Eine Leseprobe zu »Der Mörder, den sie verdient« gibt es auf der Internet-Seite des Splitter-Verlages. Hier:
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