21 September 2020

Rebell im Urlaub

Ich beugte mich auf der Treppe nach vorne und zog die Schnürsenkel nach. Meine Einkaufstasche stellte ich neben mir ab. Und weil ich keine Hektik hatte, tat mir so eine kleine Pause sogar ganz gut. Ein Mann eilte mit flottem Schritt an mir vorüber, der kräftige Duft seines Rasierwassers oder Herrenparfüms hing noch einige Zeit in der Luft.

Als ich weiterging, hatte ich ihn vor mir. Ziemlich viel Stufen führten vom Centro Martianez bis zum Hotel Pez Azul hoch, sie verbanden den Küstenstreifen von Puerto de la Cruz mit den höher gelegenen Stadtteilen. Ich konnte den schlanken Mann ständig betrachten; nachdem er mich überholt hatte, ging er nicht mehr so schnell Er trug ein »Tote Hosen«-T-Shirt und die blond gefärbten, kurzen Haare, als seien es Insignien des Widerstands.

Manchmal mochte ich die Treppenstufen, weil sie meinen Kreislauf so schön in Bewegung brachten. Es schadete nicht, wenn ich mich bewegte, und das war mir ziemlich bewusst. Trotzdem hatte ich im Ladenbereich des Centro zwei Flaschen Wein und irgendwelches Knabberzeugs gekauft, das ich auf dem Balkon meines Hotelzimmers zu mir nehmen wollte, mit einem hoffentlich schönen und ruhigen Blick auf die Nordwestküste von Teneriffa. Und nun hasste ich sie und wollte nur auf meinen Balkon.

»Bis zum bitteren Ende« verkündete die Aufschrift auf dem Rücken des Mannes wie ein trotziger Aufruf, und seine weißen Socken, die er zu den Wandersandalen trug, hatte er akkurat bis zur Hälfte der Waden hochgezogen, bis sie beide auf derselben Höhe saßen. Es passte, fand ich.

Seine Kamera baumelte an einem Band locker von seiner linken Schulter. Die Handy-Tasche an der rechten Seite des Gürtels war mit einem Riemchen verschlossen, wie ein Holster für den Revolver eines Clint-Eastwood-mäßigen Westernhelden.

Ein echter Held, dachte ich und betrachtete skeptisch meinen Bauch, den ich mit mir herumschleppte. Vielleicht war ich nur neidisch. Schließlich hatte ich auch gern kurze blonde Haare gehabt, und es hatte eine Zeit in meinem Leben gegeben, in der ich mit einem »Tote Hosen«-T-Shirt unterwegs war.

Aber das waren die 80er-Jahre gewesen, und nun hatten wir Mitte der Nuller-Jahre. Offensichtlich war ich nicht einmal für einen gemütlichen Urlaub auf einer Urlaubsinsel geeignet. Ich war trotzdem froh, dass der »Tote Hosen«-Fan die Treppe verließ und in eine Seitenstraße abbog, während ich allein weiter nach oben steigen konnte ...

1 Kommentar:

  1. In einer kürzeren Version erschien dieser Text im Jahr 2005 in der Ausgabe 42 meines Egozines ENPUNKT. Das nur, falls ihn jemand wieder erkennen sollte – was ich ja nicht glaube. Aber ...

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