21 Januar 2018

Einmal fünfzig, eimmal hundert Jahre

Ich bin ja, was die Gedankenwelt aktueller Politiker angeht, schon seit Jahren der Ansicht, dass ihr intellektueller Horizont zumeist nicht weiter geht als bis zur nächsten Stufe der Karriereleiter. Vor allem historisch und gesellschaftspolitisch wird so wenig wie möglich nachgedacht, man peilt – so scheint es mir – gern den Weg des geringsten Widerstands im Hirnstübl an.

Dieses Jahr stehen zwei Jubiläen an, was das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich angeht. Vor hundert Jahren endete der Erste Weltkrieg, der ein fürchterliches Gemetzel war, dessen Nachwirkungen wir uns heute wohl kaum noch vorstellen können. Der Élysée-Vertrag, der vor fünfzig Jahren geschlossen wurde, sollte aus uralter Feindschaft endlich eine neue Freundschaft schmieden.

Ich lebe an der französischen Grenze. Mit dem Autor brauche ich eine Viertelstunde nach Frankreich, vielleicht auch zwanzig Minuten; mit dem Fahrrad ist es ein wenig mehr. Weil es aber keine Grenzen gibt, kann es einem am Rhein passieren, dass man einfach mit dem Rad durch den Wald strampelt und plötzlich in einem anderen Land steht.

Dass »wir« heute ein so positives Verhältnis zu Frankreich haben, ist ein Erfolg von Verträgen und Freundschaften, die in den fünfziger und sechziger Jahren geschlossen wurden. Die heutige Kaste von Politikern erahnt wahrscheinlich nicht mal, was das bedeutet und wieso das so wichtig ist.

Ich weiß es gut aus meiner eigenen Biografie: Mein Vater war 1943 beim »bewaffneten Reichsarbeitsdienst« in Besancon, bevor er als Soldat an die Ostfront versetzt wurde. Mein Großvater war als Soldat der Reichswehr während des Ersten Weltkriegs in Frankreich und schoss auf Franzosen. Mein Urgroßvater war, wenn ich die Geschichten richtig zusammenbekomme, im Deutsch-Französischen Krieg zumindest in der württembergischen Landwehr.

Anders gesagt: Meine Generation war die erste seit Generationen, die nicht in einen Krieg mit dem Nachbarn ziehen musste. Der Frieden in Europa ist keine Selbstverständlichkeit – aber ob die heutigen Politiker in ihrer Beschränktheit an solche Dinge denken, wage ich zu bezweifeln. Offenbar muss sich unsereins auf die Weitsicht von Monsieur Macron und seiner Regierung verlassen ...

1 Kommentar:

  1. Bonsoir, Klaus.
    Es sind in der Regel die daran einschlägig Interessierten, die Gräben in den Boden rammen, andere ausgrenzen & Feindbilder am köcheln halten. Böses Blut, für die eigenen Interessen entfacht. Die Riege alter Männer hat damals den Krieg für den Vater aller Dinge gehalten; tatächlich ist er einzig für ein Verwüsten zuständig.
    147, 100 & 73 Jahre nach den erwähnten Kriegen sitzt wieder die "Früher-war-alles-besser"-Denke in dem Parlamenten.

    Der Horizont mancher Politiker geht wohl - zu guten Teilen - auch nur bis zum nächsten Wahltag.

    Besagter Vertrag ist übrigens fast so alt wie wir beide. :-)

    bonté

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