Der 9. Februar 1994 war ein besonderer Tag für mich. Ich stand in aller Herrgottsfrühe auf, zog mir einen schicken Anzug an und fuhr nach Karlsruhe. Dort hatte ich einen Termin im Landgericht; ich hatte mich als Journalist angemeldet, um über den Prozess gegen einen örtlichen Neonazi-Anführer zu berichten. Das hatte ich vorher mit der örtlichen Antifa abgesprochen – man wollte ein vernünftiges Protokoll haben.
Ich war zeitig vor Ort, wurde von der Polizei einer strengen Leibesvisitation unterzogen. Sogar mein Kugelschreiber wurde auseinandergeschraubt – es hätte ja eine Waffe sein können. Danach durfte ich in der Bank in der ersten Reihe Platz nehmen, wo die anderen Journalisten saßen.
Einige der Kollegen fragten, für welches Medium ich schriebe. Ich erzählte nichts von meinem Job in der Raketenheftchenserie, sondern plauderte von »freier Mitarbeit für diverse Zeitschriften«, was so falsch ja nicht war. Jeder nahm mich als »neutralen« Schreiberling wahr.
Die anwesenden Neonazis standen und saßen als Pulk zusammen; jeder von ihnen sah aus, als hätte er sein Outfit aus dem Bilderbuch für Nazi-Skinheads gesaugt. Sie starrten die Pressevertreter an, als wollten sie uns an die Gurgel gehen. Die paar »Zivilisten« im Gerichtssaal felen kaum ins Gewicht, einige Leute aus der »linken Szene« saßen ebenfalls da.
Im Prozess selbst ging es unter anderem um den Vorwurf der »Wiederbetätigung«. Der Angeklagte, ein junger Mann aus der Region, hatte eine Gruppierung aufgebaut, die sich offenbar dem nationalsozialistischen Gedankengut verschrieben hatte und dieses entsprechend propagierte. Gewalttaten und Propagandadelikte wurden ihm vorgehalten.
Aus diversen Gesprächem mit einigen Leuten, die ich im Vorfeld geführt hatte, wusste ich mehr über ihn und sein Leben, als während des Prozesses bekannt wurde: Punkrocker und Hooligan, aktiver Autonomer und Neonazi, schwuler Aktivist und harmloser Fußballfan – in den Jahren zuvor hatte er diverse Wandlungen hinter sich gebracht.
Der Prozess war trotzdem spannend; das Gericht hatte sich gut vorbereitet. In den Pausen stellte ich mich zu den Kollegen und diskutierte mit den anderen Journalisten über den Prozessverlauf. Sie hatten zumeist wenig Ahnung von den politischen Hintergründen und waren teilweise völlig baff darüber, dass es in unserer Gegend überhaupt Neonazis gäbe.
Später stellte ich mich unauffällig – ich wirkte seriös und trug meine Schreibmappe unter dem Arm – in die Nähe der Neonazis. Die standen als Gruppe zusammen und unterhielten sich leise, warfen immer wieder Blicke zu den »Linken« hinüber, die ebenfalls eine Gruppe bildeten. Ich wollte ein wenig mithören, was sie sagten; vielleicht war das für weitere Recherchen interessant.
In dem Moment eilte eine von den »Linken« zu mir herüber. Ich kannte die Frau aus dem besetzten Haus, wo wir uns schon unterhalten hatten. Sie baute sich vor mir auf, ignorierte die Gruppe der Neonazis ebenso wie meine Versuche, sie mit Gesten oder Blicken zu stoppen.
»Wie siehst denn du heute aus?«, rief sie lauthals. »Heute mal gar nicht wie ein Punkrocker unterwegs, na? Keine Lederjacke?« Sie lachte schallend, hielt alles offenbar für einen großen Spaß, klopfte mir aufmunternd auf die Schultern und wollte mich in ein Gespräch verwickeln.
Meine »Tarnung« war futsch; danach wussten die Neonazis, wer ich war. Den Prozess bekam ich trotzdem gut hinter mich, mein Protokoll des Prozesses stellte ich hinterher auch der Antifa zur Verfügung. Als »neutraler Beobachter« war ich danach aber nicht mehr zu gebrauchen.
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