23 Februar 2016

Zukunft und Tradition

Die aktuellen Wahlplakate lassen mir keine andere Wahl: Wenn ich an ihnen vorbeifahre oder vorbeigehe, muss ich sie anschauen. Am Montag abend purzelte ich fast vom Fahrrad, als ich in der Innenstadt von Karlsruhe ein aktuelles Plakat der CDU sah. Zuerst hielt ich es für eine Satire, allein schon wegen der außergewöhnlich schlechten Typographie, aber ebenso wegen der Aussage.

In schlichtem Deutsch steht da geschrieben: »Damit unser Mittelstand auch in Zukunft Tradition hat.« In einem Land wie Baden-Württemberg, in dem angeblich der Mittelstand den Ton angibt, in Wirklichkeit aber multinationale Konzerne wie Daimler der Landesregierung sagen, was sie zu tun hat, ist das eine starke Aussage.

Gemeint ist damit wohl, dass die CDU sich mal wieder als Hüterin des Mittelstandes aufspielen will, nachdem man jahrzehntelang die Großindustrie hätschtelte und den Oberen Zehntausend eine Steuersenkung nach der anderen angedeihen ließ. Aber ich fiel fast vom Rad, weil ich die eigentliche Aussage wahrnahm. Die CDU will nicht, dass der Mittelstand eine Zukunft hat, sondern dass er seine Traditionen behält.

Wollte man eine Zukunft für den Mittelstand, müsste man investieren: in vernünftige Transportwege, in eine gute Infrastruktur auch im Internet, in Bildung und in eine schlanke Verwaltung. All das kostet Geld und vor allem Hirn, das ist schwierig umzusetzen. Ganz anders ist es, wenn man an die Tradition denkt: Da zieht man im Zweifelsfall den Leuten einen Trachtenanzug an und einen bunten Hut auf – und gut ist.

Traditionen sind billig, eine Zukunft muss erarbeitet werden. Und das macht diese Wahlaussage der CDU einerseits sehr witzig, andererseits halt sehr traurig.

3 Kommentare:

  1. Was mich, und das als Parteimitglied, wenn auch in einem anderen Land, stört, ist die Häufigkeit der Plakate. Ich wünschte, man würde sich darauf einigen, an einigen zentralen Stellen in der Stadt große Plakate aufzustellen. Stattdessen wird jede Laterne mehrfach behangen. Zumindest ist das bei uns so.

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  2. Latha math, Klaus.
    Wahlslogans* sind schlicht der Satz unter dem Bodensatz der Kommunikationsform "Werbung". Weder inhaltlich noch stilistisch kann man/frau die aneinander gereihten Worte näher Ernst nehmen.
    Daß die BW-Konservativen nichts Besseres als die Tradition auffahren; schließlich ist der Begriff schwammig, dehnbar, relativ. Ein Nebelwurf.

    bonté


    *im Grunde, in Tateinheit mit Wahlwerbung insgesamt

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  3. M.E. ist das ein Relikt des Präinternets. Wen holt man bitte mit Wahlplakaten noch ab?

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