Irgendwann beugte er sich zu mir herüber, streckte mir die Hand entgegen und sagte: »Ich glaube, es wird Zeit, dass wir uns duzen.« Das war während eines Seminars für Autorinnen und Autoren an der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel, an dem wir beide teilnahmen, irgendwann Mitte der 90er-Jahre. Wolfgang Jeschke war der hochgeachtete Herausgeber der Science-Fiction-Reihe im Heyne-Verlag, ich war der junge PERRY RHODAN-Redakteur.
Das ist jetzt bald zwanzig Jahre her. Und gestern ist Wolfgang Jeschke im Alter von 78 Jahren gestorben. Zuletzt hatten wir im vergangenen Jahr miteinander einen kurzen Kontakt per Mail und per Brief, gesehen hatten wir uns seit einigen Jahren nicht mehr.
Wenn jemand meinen Science-Fiction-Geschmack entscheidend beeinflusst hat, war es Wolfgang Jeschke. Innerhalb seiner Reihe kamen die prägenden Meisterwerke von Schriftstellern wie John Brunner oder C.J. Cherryh, im Fantasy-Bereich von Katherine Kurtz und Tanith Lee; er veröffentlichte darüber hinaus zahlreiche Anthologien.
In einer davon durfte ich als Autor sogar publizieren. In der Sammlung »Das digitale Dachau« ist eine Kurzgeschichte von mir enthalten; neben mir wurden Geschichten von Autoren wie C. J. Cherryh, Kate Wilhelm, Ian Watson oder George R. R. Martin abgedruckt. Ich war in diesem Jahr 1986 reichlich stolz darauf.
Jeschke war als Autor ebenfalls von einer Qualität, die man im deutschsprachigen Raum nicht oft fand. Sein Roman »Der letzte Tag der Schöpfung« ist eine originelle Zeitreisegeschichte, die mir seit über dreißig Jahren gut im Gedächtnis geblieben ist, dazu kamen weitere Romane sowie zahlreiche Kurzgeschichten und Aufsätze.
Wolfgang Jeschke war ein Streiter für die anspruchsvolle Science Fiction; er wollte sich nicht damit abfinden, dass das Genre in einem Ghetto vor sich hin vegetieren sollte. In seinen Kritiken war er oft direkt; man konnte sich auch öffentlich mit ihm streiten. Ließ man sich aber auf ihn als Menschen ein, erwies er sich als warmherziger Charakter, der viel Humor zeigte, der großzügig und freundlich war.
Er wird der Science-Fiction-Szene sehr fehlen. Meine Gedanken sind jetzt aber bei seiner Familie, der er noch mehr fehlen wird.
Seine Bedeutung kann man gar nicht zu hoch einschätzen.
AntwortenLöschenHätte sich ein Ehrengrab verdient.
RIP
Gerhard Hauer
(2008)
PS: Anekdote aus der Jungsteinzeit: Hatte ihm eine SF- Geschichte geschickt. hörte nix von ihm und so erschien sie dann bei Goldmann. Ewigkeiten später erfuhr ich dann, dass er sich bei einem Sturz auf dem Dachboden schwer verletzt hatte, deshalb nicht zurückschrieb. So eine Informationslücke ist im Zeitalter des Internets fremd geworden.
Sali, Klaus.
AntwortenLöschenEin Teil meiner Buchregale steht von der Decke bis zum Boden voller SF-Tbs aus den Achtzigern & Neunzigern; nicht wenige davon sind von Wolfgang Jeschke herausgegeben worden. Jede Menge Klassiker.
Gut in Erinnerung blieb mir auch, daß er in John Brunners letzten Jahren versuchte dessen schwierige wirtschaftliche Lage durch erneute Veröffentlichungen im deutschsrpachigen Markt zu bessern. Chapeau allein bereits für den Gedanken!
In memoriam.
bonté