Am 15. Januar 1988 erschien in der überregionalen Ausgabe der »Südwest Presse«, für die ich seit dem Frühling 1983 immer wieder geschrieben hatte, ein dreispaltiger Artikel von mir, der eine ellenlange und über zwei Zeilen laufende Überschrift hatte: »Im Buch des Bergbauern Lapp hat Schwarzwald-Idylle keinen Platz« hieß er.
Der Artikel wäre es wert, ausführlicher ausgebaut oder gar zu einer Geschichte verlängert zu werden; zu klar und eindeutig sind die Bilder in meiner Erinnerung. Aber an dieser Stelle sollte es genügen, ihn eins zu eins wiederzugeben.
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Horst Lapp wohnt bei Wolfach im Langenbachtal, mitten im Schwarzwald. Von der Bundesstraße zweigt eine kleine Straße ins Tal ab: kurvenreich, eng, immer weiter den Berg hinauf, in beängstigenden Schleifen, die im Winter die Fahrt zu einem mittleren Abenteuer werden lasen. Das letzte Haus ist der Staighof: ein schönes großes Anwesen, herrlich gelegen, zwischen Wald und steilen Wiesen ringsum, fast am Ende der Welt.
Hier wohnt Horst Lapp, mittelbadischer Bergbauer und Buchautor, eine für manchen Besucher wohl schwer verdauliche Mischung aus Schlitzohr und zurückhaltendem Landmann. Die Fassade kann täuschen – wie sie auch bei seinem Buch täuscht. Der Titel »Heimat – deine Sünder« regt im ersten Moment vielleicht gerade die Freunde der »Schwarzwaldklinik« zur Lektüre an – und Horst Lapp, der sich auf dem Cover mit einer Ziege ablichten lässt, wirkt auch eher wie ein Werbemann für die unberührte Schwarzwald-Landschaft.
Im Buch selbst wird jedoch mit einigen Klischees von der »guten alten Zeit« aufgeräumt. Als Hirtenbub gehörte Lapp zur untersten Klasse der bäuerlichen Gesellschaft und bekam nach dem Krieg als kleiner Junge für knochenharte Arbeit nicht mehr als ein miefiges Bettlager, eine Mahlzeit und regelmäßig eine hinter die Ohren. In der Schule zum Depp gestempelt, vom Bauern zur Arbeit angetrieben – so wuchs Lapp auf.
Schlechte Kameraden schafften es, dass er auch prompt zwei Mal ins Gefängnis kam. Als Analphabet unterschrieb er Geständnisse, deren Inhalt er nicht erfasste. Erst als fast 18-jähriger lernte er lesen und schreiben – in Stuttgart, wo er nach der zweiten Haft eine Metzgerlehre begonnen hatte.
Horst Lapp, Jahrgang 1937, hat mit diesem Buch seine Jugendgeschichte geschrieben, direkt und kompromisslos, in einem Stil ohne geschliffene Sequenzen, statt dessen urwüchsig und natürlich. Da bleibt kein Rau für tiefsinniges Philosophieren, kein Platz für ausgefeilte Dialoge und Landschaftsbeschreibungen und schon gar keine für die Schilderung der heilen Bergwelt. Lapp erzählt im Buch so ehrlich, dass der Leser manches Mal den Kopf schütteln muss ob der abgrundtiefen Naivität.
Raum für die Schwarzwaldklinik und ähnlich unsägliche Epen bleibt hier natürlich auch nicht. Das war das Anliegen des Autors: Aufgrund »von dem dumme Zeugs, was man immer im Fernseh sieht« hatte Lapp sich vor allem vorgenommen, endlich einmal seine Ansicht zu schildern. »Wenn ma des über Jahrzehnte sieht, brennt es eim unterm Nagel, de Leut e wahre Gschichte zu erzähle«.
Er wolle den »richtigen Schwarzwald zeigen« und nicht »die unreale Klinik«. »Verlogene Geschichten mit Schwarzwaldliedern unter dem gemeinsamen Dach« gebe es genug, da sei nichts Wahres dran. »Abends wurden keine Lieder gesungen, da hat der Bauer die Arbeit für den nächsten Tag verteilt und gesagt, wehe, du schaffst das nicht, und dann ging's ins Bett.«
Der Autor ließ sein Buch im Eigenverlag erscheinen. Er träumt nämlich davon, den Stoff einmal zu verfilmen. Dann hätte er das gewünschte Gegengewicht zu der Serie »Schwarzwaldklinik«. Der Autor Frederic W. Nielsen aus Freiburg hatte das Manuskript vor Druck gelesen und gemeint, Lapp solle zur Buchmesse gehen. Lapp fuhr nach Frankfurt und sorgte dort für Aufsehen.
Jetzt bekommt er jeden Tag Anrufe, Zeitungen schreiben über ihn, der Bischof von Freiburg wollte ein signiertes Exemplar, Büchereien und Buchhandlungen bestellten es. Der plötzliche Ruhm hat ihn ganz schockiert: »Ich sag zu de Leut, die solle mich net verkenne, ich bin doch kei Schriftsteller, nur e armer Bergbauer«, beteuert der Autor.
Bisher wird er allerdings mit dem Ruhm »ganz gut fertig«, meint er. Wenn's gar zu schlimm wird, weiß er einen Ausweg. Ich bin froh, wenn ich pro Tag e Stund bei meine Schaf in de Berge bin.« Zur Leipziger Messe fährt er trotzdem, und eine Fortsetzung will er ebenfalls schreiben. »Nebenbei« bewirtschaftet der Bauer seinen Hof »mit Viechern und Fremden«, das heißt Feriengästen. (Das Buch gibt es für 28 Mark beim Buchhändler.)
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