20 Mai 2014

Europa find ich toll, aber ...

Seit Wochen fahre ich tagtäglich an Wahlplakaten vorbei, die mich dazu auffordern, an der Europawahl teilzunehmen. Da sie sich alle ähneln, was mangelnde Aussagen und blödsinnige Versprechungen angeht, finde ich sie durch die Bank widerlich. Dabei bin ich überzeugt davon, dass Europa »unsere« Zukunft ist, und würde sehr gern wählen – doch bin ich diesmal genauso frustriert und angeekelt wie vor der Bundestagswahl.

Europa ist eine derart begeisternde Sache, dass ich gar nicht sagen kann, wie sehr mich der geeinte Kontinent freut und fasziniert. Mein Großvater und mein Vater mussten im Ersten und Zweiten Weltkrieg noch auf andere Europäer schießen, wahrscheinlich auch mein Urgroßvater, bei dem ich es nicht genau weiß – seit Jahrzehnten leben wir im Frieden, haben es mehrheitlich sehr gut und genießen so Dinge wie Reisefreiheit.

Will ich nach Frankreich oder nach Belgien, benötige ich keine Reisedokumente; ich kann grenzüberschreitend reisen und Leute besuchen. Die Freiheit, italienischen Wein, belgische Waffeln oder französischen Käse ohne jegliches ernsthaftes Problem genießen zu können, ist unglaublich klasse. Dass die europäischen Behörden manchen Schwachsinn ausgeheckt haben – ich sag' nur Energiesparlampen –, steht auf einem anderen Blatt Papier.

Nur: Wo steht die Partei, die für dieses Europa kämpft? Wo sehe ich eine positive Utopie, eine Vision von einem geeinten Europa, in dem es friedlich und weitestgehend gerecht zugeht? Auf Wahlplakaten nicht, in den Fernsehspots nicht, wahrscheinlich irgendwo versteckt in den Wahlprogrammen.

Da man keine Stimme verschenken soll und viele Leute dafür gestorben sind, dass wir heute überhaupt wählen dürfen, werde ich zur Wahl gehen. Ich werde irgendwo mein Kreuz setzen, zähneknirschend und im festen Bewusstsein, dass ich nicht will, dass diese Parteien an die Macht kommen, aber weil ich will, dass zumindest die Opposition ein bisschen stärker wird.

Derzeit schwanke ich ernsthaft noch zwischen den Linken (nicht, dass ich die gut fände – aber irgend jemand muss doch für Gerechtigkeit einstehen) und den Grünen (bei denen muss ich eigentlich brechen – aber irgend jemand muss doch für die Natur streiten). Vielleicht muss ich in der Wahlkabine spontan wieder das »große Kreuz« über den ganzen Wahlzettel machen; ich weiß es noch nicht.

Ist das nicht frustrierend?

5 Kommentare:

  1. Diesmal bin ich mir recht sicher. Meiner Ansicht nach gibt es nur eine Partei, die tatsaechlich einen Inhalt anbietet, der Europa, so wie ich es mir Vorstelle, weiterbringt. Die SPD.

    Und nein, der Punkt den ich meine, der steht nicht im Programm, sondern wird auf (einigen) Plakaten abgebildt: Martin Schulz.

    Und auch da gehts mir weniger um das was er so als Punkte anpreist (auch wenn ich ihn feur kompetent halte), sonderen einzig um das Ziel, dass er dann auch als Kommisionspraesident gewaehlt wird.

    Wir haben lange genug auf Reformen gewaerte. Darauf, dass sich die Europaeische Regierung (und das ist die Kommision defacto), endlich ueber das Hinterzimmergekluengel hinweg entwickelt. Und das diese Regierung nicht von irgendwelchen mehrfach indirekten Gremien bestimmt wird, sondern durch Wahlen wenigstens grundsaetzlich legitimiert wird. VON UNS legitimiert.

    Das ist der einzige Punkt, bei dem ich eine konkrete Verbesserung und einen Wandel zum besseren sehen kann. Und nur die SPD hat sich voll hinter die Idee gestellt. Bei CDU/CSU haelt man (bzw. merkel) sich alle Tueren offen doch wieder weiterzumauscheln. Und bei den kleineren besteht numal keine Chance, dass einer ihrer Kandidaten auch nur in die Naehe des Postens kommt.

    Inhaltlich/gefuehlsmaessig hab ich eher mit was anderem geliebaeugelt. Aber das Thema ist wichtig. Das erste mal ueberhaupt, dass es etwas gibt fuer das es sich bei der Wahl lohnt.

    Und nein, Durchstreichen ist keine Loesung - dann liber das keuz bei irgendwelchen lokalen Splittergruppen machen.

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  2. Geh doch den Wahl-o-maten durch oder dieses alternative Programm vom European University Institute!
    http://www.faz.net/-hz7-7ou2f

    Und gräme dich nicht, wenn du keine großartige Übereinstimmung findest - bei mir sind die höchsten Werte immer um die 70 Prozent, und das heißt ja, dass ich in einer von drei Fragen nicht mit der favorisierten Partei übereinstimme.

    That's life.

    Andererseits - kann man sich eine Diktatur vorstellen, in der man in zwei von drei Fragen mit dem starken Mann übereinstimmt?

    Also ich nicht :-D

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  3. Anonym6:36 PM

    Das ist halt das sprichwörtliche Kreuz, dass du als Demokrat in einer Demokratie mit ihren Möglichkeiten zu tragen hast, mitzureden, mit zu entscheiden. Es sind eh eingeschränkte Möglichkeiten, eingeschränkter als die Möglichkeit, zu entscheiden, was am nächsten Tag in deinen Kühlschrank kommt. Aber immerhin kannst du entscheiden. Das ist mal wichtig.

    Ich selbst habe nach meinem Parteibuch entschieden. Ja, ich habe so was, und ja, ich fand es ganz angenehm, so entscheiden zu können.
    Meine holde Gattin hat nach Gusto entschieden - und was sie wählte, das hast du, Klaus, auch erwähnt (und hätte ich kein Parteibuch, hätte ich genau die gleiche fünfbuchstabige Partei mit dem L am Anfang gewählt).

    Am Ende erlangt ja eh keiner wirklich die Macht in Europa. Noch immer leben wir in Nationalstaaten, die da nur einen Deckel oben drüber haben, der manchmal gut ist - Stichwort: Reisefreiheit, gemeinsame Währung, auch manche gemeinsame Rechtsprechung -, die manchmal unsinnig ist - Gurken, Energiesparlampen usw. Für mich ist Europa nach der Betrachtung von Soll und Haben ein Gewinn. Ich fühle mich wohl in Europa, ich mag es mehr, Europäer als "nur" Deutscher zu sein, ich finde es richtig und wichtig, dass es unser heutiges Europa gibt - gerade auch im Hinblick auf die historischen Gegebenheiten vergangener Jahrhunderte -, und ich fände es schön, wenn sich das bei allen Zwiespältigkeiten und Animositäten, die man selbst vielleicht für sich verspürt, auch in der Wahlbeteiligung zeigt.

    Man wird sehen.

    My.

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  4. Was ich wähle ist kein Geheimnis, uns es ist definitiv nicht die SPD. ;-)

    Und zu den Gurken und dem generellen Vorwurf, die EU würde vieles (oder bald alles?) überreglementieren, empfehle ich folgenden Artikel:
    http://www.n-tv.de/politik/Die-Wahrheit-ueber-die-Regelungswut-der-EU-article12821446.html

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  5. Ich stelle nicht ohne Überraschung fest, dass ich Ska Keller (Grüne) zumindest in dieser Debatte durchaus positiv und mitreißend finde. Vielleicht trägt sie aber auch nur am meisten Schminke und spricht das beste Englisch.

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