10 November 2012

Orwellisierte Verlage


Einer der Kontakte, die ich in den frühen 80er-Jahren in die damalige DDR unterhielt, war mit dem Schriftsteller Carlos Rasch. Dieser war durchaus systemkritisch, wenngleich er nach heutigem Verständnis links war; wir trafen uns nur einmal, etwa 1987, aber das ist eine Geschichte für sich.

In unser Korrespondenz waren wir durchaus politisch, und das belegt ein Schreiben vom 3. Januar 1984. Es ging um das sogenannte Orwell-Jahr, wie man es damals nannte, nach dem Roman »1984« von George Orwell.

Rasch schrieb, er habe das Buch vor über zehn Jahren gelesen; au fihn habe es einen »hetzerischen Eindruck« gemacht, aber das müsse er korrigieren. »Manche Literaturkenner bestreiten, daß Orwell visionäre Absichten gehabt hätte. Es sei die Leserschaft gewesen, die das eigentlich satirische Werk zu einem visionären gemacht habe.«

Orwell sei ihm aber sympathisch geworden, aufgrund seiner Aussage, »jede Obrigkeit erliegt der Versuchung, ihre Macht auch zu benutzen, den Untertanen einzureden, 2+2 sei 5«. Die Sympathie sei durch eigene Erfahrungen entstanden, und ironisch fügte Carlos Rasch hinzu: »selbst wenn es sich dabei nur um den Zoll handelt, der die Buchpakete überwacht«.

Wir tauschten damals Bücher: Ich schickte Science Fiction aus dem Westen und bekam Science Fiction und andere Literatur aus dem Osten dafür. Gewisse Romane aus dem Westen durfte man nicht schicken, die wurden streng überwacht – unter anderem Heftromane einer gewissen Raketenheftchenserie, für die ich heute arbeite.

»Auch die DDR-Verlage scheinen sich zu orwellisieren«, schrieb der Autor, und er berichtete über ein Romanprojekt, in dem er einen »pluralistischen Kommunismus« präsentieren wollte. Der Verlag sei »über so viel Oppurtunismus erbost« gewesen und habe in der Folge alle Verbindungen zu dem Autor gekappt.

Im weiteren Verlauf des Schreibens ging es über die »Welle von Atomkriegsgeschichten« in der westlichen Science Fiction. Die Angst vor einem atomaren Krieg zwischen Ost und West herrschte damals noch vor, und in den Schreiben zwischen mir und Rasch war sie immer wieder Thema. Interessant war dennoch, dass jeder von uns sein eigenes System kritisierte – im Nachhinein würde mich wirklich interessieren, was ich damals schrieb ...

2 Kommentare:

  1. Zu Orwell und der DDR fällt mir eine Geschichte ein, die mir ein Freund erzählte: Ein Westbesuch, der mal zu ihm wollte, hatte zwei Bücher im Koffer, einen Comic (ich weiß nicht mehr, was es war)und Orwells "Farm der Tiere". An der Grenze nahm ihm der Ost-Zöllner das bunte Heftchen ab, weil nicht systemkonform. Zu Orwell meinte er dagegen: "Das Tierbuch dürfen Sie aber natürlich mitnehmen."

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  2. Lustige Anekdote, Erik! FARM DER TIERE war in der DDR eines der berühmtesten verbotenen Bücher; für den Besitz galt (nachweisbar für die 1950er Jahre) Haftandrohung. Ich gehe davon aus, dass der Grenzpolizist sich dumm gestellt hat. Die waren ja nicht alle so linientreu, wie sie sich zu geben hatten.

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