29 April 2025

Rund 200 Schwurbler

Als ich mit meinem Rad den Schlossplatz in Karlsruhe erreichte, freute ich mich schon: Mich erwartete eine kämpferische Antifa-Demonstration. Transparente sicherten die Seiten ab, ich sah haufenweise Bunthaarige und Leute, die eindeutig zur Antifa gehörten. Auch die Polizei verhielt sich regelkonform und war mit Absperrgittern und allerlei Fahrzeugen angerollt; die Beamten hielten sich aber zurück.

Um zwölf Uhr sollte die Kundgebung der Antifa beginnen, um 13 Uhr die der Gruppierung »Gemeinsam für Deutschland«. An diesem Samstag, 26. April 2025, versammelten sich in mehreren Städten in der ganzen Republik diese Gruppierungen, die eine seltsame Mischung aus organisierten Neonazis, verwirrten Kleinbürgern, Coronaleugnern und Verschwörungsheinis aufwiesen.

Ich lauschte den Reden bei der Antifa-Demo, applaudierte brav, unterhielt mich mit Bekannten und hatte große Freude an der bunten Menge. Schätzungsweise 1200 bis 1500 Leute waren es; die genaue Zahl ließ sich schwer schätzen, weil sich ständig Leute von einer Ecke des Platzes zur anderen bewegten.

Ab 13 Uhr trafen die rechtsradikalen Demonstranten ein, von der Polizei bestens abgeschirmt. Wir begrüßten sie mit Parolen, Spott- und Hohngesängen. Auffallend viele Friedensfahnen waren zu sehen; das blauweiße »Peace«, die Friedenstauben und die schwarzrotgoldenen Banner bildeten eine Zusammenstellung, die ich widerwärtig fand.

Ab 14 Uhr hielten die Rechtsradikalen ihre Reden. Weil ich gut stand, bekam ich einen Teil davon mit. Lustig war der Mann, der das Lied »Meine Söhne gebe ich nicht« sang und dabei den Text vergaß – er war gegen Krieg und für Frieden, schien aber kein Problem mit dem Angriffskrieg Russlands zu haben.

Lustig fand ich ach die Rede, in der uns lang und breit erklärt wurde, wie die Antifa längst die Gesellschaft unterwandert habe. Sogar ein »Tagesschau«-Sprecher sowie Richter am Bundesverfassungsgericht gehörten zur Antifa. Das Gericht lag in Sichtweite beider Demonstrationen; mich hätte die Meinung des Gerichtss zu diesen Aussagen schon interessiert.

Ein Redner erläuterte in einer komplizierten Darstellung die Zusammenhänge zwischen Rockefeller, Greenpeace und der Lüge vom CO2; so richtig konnte ich ihm nicht folgen, weil die Parolen von unserer Seite dann doch lauter waren als der Lautsprecher der Nazis.

Ärgerlich fand ich, dass die Schwurbler ihren Sermon ungebremst über den Schlossplatz kippen konnten. Schön fand ich, dass sie nicht laufen konnten und zwischen Antifa-Kundgebung und Polizeisperren wie in einem Käfig standen.

Gegen Ende schien sich die Polizei ein wenig zu langweilen. Gruppen von Beamten spazierten an der Antifa-Demo vorbei, Hunde und Pferde wurden in Stellung gebracht. »Da weiß man schon, wo deren Feind steht«, sagte jemand zu mir. »Die wollen halt auch noch knüppeln«, meinte ein anderer. Da sich niemand provozieren ließ, wenn ich es richtig mitbekam, ging der Nachmittag friedlich zu Ende.

(Das Bild zeigt die Schwurbler in ihrem Gitterkäfig, wie sie andächtig einer weiteren Rede voller Verschwörungsquatsch lauschen.)

28 April 2025

Wie ein Lehrer

In der kleinen Bäckereifiliale, die ich in der Mittagspause angesteuert hatte, war viel los. Vor mir standen drei Mädchen, die sich Brötchen oder Brezeln kauften; einige Jungs drückten sich vor der Tür herum und zeigten sich gegenseitig Bilder auf ihren Smartphones. Ich hatte das nahe gelegene Gymnasium nicht vergessen, den Andrang in der Mittagspause aber verdrängt.

Als ich an der Reihe war, atmete die Verkäuferin sichtlich durch. »Was möchte Sie bitte?«, fragte sie.

Ich gab meine Bestellung auf. Während sie zusammenpackte, was ich haben wollte, sagte ich: »Man merkt, dass die Ferien vorüber sind, oder?«

»Ganz eindeutig.« Sie seufzte. »Auf einmal ist der Laden mit Schülern voll.« Dann lachte sie. »Aber es ist ja gut fürs Geschäft.«

Sie gab mir die Bäckertüten, ich bezahlte den geforderten Preis. Auf einmal sah sie mich an. »Sind Sie eigentlich Lehrer?«

Ich schüttelte den Kopf. »Sicher nicht. Wie kommen Sie darauf.«

»Na ja.« Sie lachte verlegen. »Sie haben eine Brille und so, und Sie sind halt nett. Das sind die meisten Lehrer ja auch, wenn die von der Schule rüberkommen.«

Ich versicherte ihr, kein Lehrer zu sein; wir lachten ein bisschen und wünschten uns gegenseitig einen schönen Tag. Dann trat ich hinaus in die Sonne und begab mich auf den Weg in Richtung Büro. 

Ich und ein Lehrer? Ich schüttelte den Kopf. So weit war es schon mit mir gekommen? Vor zwanzig oder dreißig Jahren wäre niemand auf diese Idee gekommen. Ich fühlte mich auf einmal sehr bürgerlich.

25 April 2025

In der Pigeon Street

Was für eine gemeine Geschichte, was für eine drastische Handlung! Bei den »Dorian Hunter«-Hörspielen bin ich es ja geradezu gewöhnt, dass es der Hauptfigur und ihren Freunden nicht immer gut geht – aber der Einstieg und der weitere Verlauf des Hörspiels mit der Nummer 50.2, das den schönen Titel »Das Kind der Hexe – Pigeon Street« trägt, ist selbst für die Verhältnisse dieser Serie heftig.

Die Handlung lässt sich für jemanden, der sich mit der Serie nicht gut auskennt, kaum zusammenfassen. Dorian Hunter wird von der Polizei gestellt, als er sich gerade in einem Haus voller Leichen befindet. Die Hexe Coco Zamis, zeitweise Hunters Freundin, ist hochschwanger und braucht einen Platz im Krankenhaus. Und überall treiben die Dämonen der Schwarzen Familie ihr Unwesen, haben nichts anderes vor, als die Gruppe um Hunter zu zerstören.

Das ist dann streckenweise ziemlich brutal. Es wird viel geschossen, Menschen werden abgeschlachtet, Dorian Hunters Team zerbricht, und am Ende bleiben viele Leichen zurück. Tatsächlich scheint die Lage am Ende aussichtslos zu sein; mit seinen wenigen Getreuen hat der Held kaum eine Chance gegen die Übermacht der Dämonen und ihrer Verbündeten.

»Dorian Hunter« ist Horror, die Hörspiele sind es auch. In der Bearbeitung durch Dennis Ehrhardt und sein Team wird der ursprüngliche Roman von Ernst Vlcek, zu einer unglaublich spannenden Geschichte. Die Dialoge zünden, die Geräusche sind erschreckend; das alles läuft wie in einer Filmkulisse ab. Das ist richtig gut gemacht – »Dorian Hunter« ist eine hervorragende Hörspiel-Umsetzung.

(Ich weiß: Es gibt schon neuere Hörspiele aus dieser Serie. Aber die habe ich mir noch nicht angehört. Kommt noch!)

Subkultur bei Hirnkost

Über den Hirnkost-Verlag und sein umfangreiches Buchprogramm habe ich schon einige Male geschrieben. Aktuell freut mich wieder einmal sehr, was der Verlag alles an Büchern über Punkrock und andere Subkulturen veröffentlicht. Darüber informiert ein aktuelles Faltblatt vor, das den schlichten Titel »Subkultur« trägt.

Vorgestellt werden Sachbücher über Punk in der DDR, es gibt eine Seite, die »Schmöker« übertitelt ist – dort finden sich auch zwei meiner Bücher –, und natürlich gibt es Bücher zur Punk-Historie. Wichtig ist bei all diesen Titeln: Sie wurden nicht von Doktoren und Professoren geschrieben, die die jeweiligen Szenen von außen oder gar von oben betrachteten, sondern von den Menschen, die in den jeweiligen Szenen aktiv sind und waren.

Der Flyer lohnt sich; den schaut man sich gern an. Noch besser ist natürlich, sich die Bücher zu besorgen und sie zu lesen!

24 April 2025

Und sie lügen noch immer

Im August 1995 war ich bei den Chaostagen in Hannover. Weil mich interessierte, wie die Rezeption nach über dreißig Jahren ist, habe ich in den vergangenen Tagen auf der einen oder anderen Seite recherchiert. Und mir fiel auf: Wer den Begriff Chaostage im Netz sucht, stößt vor allem auf die Darstellung der Polizei und der braven Presseleute von Hannover.

Anders gesagt: Es wird die gleiche Ansammlung von Lügen und Falschaussagen präsentiert wie damals.

Mein Lieblingsbeispiel sind die Zahlen: Wenn angeblich 1500 Punks ein Wochenende lang randalierte, wie sollte das funktionieren, wenn mehr als 1800 von ihnen eingesperrt wurden? Und wieso war die Polizei »überfordert«, wo die Veranstaltung doch ein Jahr im Voraus angekündigt wurde? Wieso wurde die Polizei mit mehreren tausend Beamten nicht einer Gruppe von angeblich 1500 Punks nicht Herr? Haben Journalisten keinen Taschenrechner, dass ihnen solche Missverhältnisse in der Darstellung nicht auffallen.

Die Geschichte wird oft von den Siegern geschrieben. Sie wird zumindest von denen geschrieben, die die größten Ressourcen haben. Das darf mich nicht überraschen, es ärgert mich aber. Die Lügenberichte von damals sind immer noch in den Medien, die Polizei erzählt nach wie vor den gleichen Unfug.

Mir ist klar, dass meine Sicht der Dinge nicht objektiv ist. Wie auch? Ich war nicht nur Zeuge, ich war an jenem verlängerten Wochenende mittendrin. Da kann nur eine subjektive Sichtweise herauskommen.

In den kommenden Wochen und Monaten werde ich immer mal wieder auf das Thema eingehen. An vielen Szenen jenes langen Wochenendes in Hannover erinnere ich mich schließlich noch gut genug: wie die Polizei die Straßenschlacht provozierte, wie Journalisten völlig übertriebene Berichte veröffentlichten, wie alle möglichen Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden und wenn die Menschen, um die es bei den »Maßnahmen« ging, bunte Haare hatten.

23 April 2025

Sehr sehr kurze Filme

Ein deprimiertes Mädchen in Pars überlegt sich, ob es sich umbringen soll – allein sitzt es auf einer Treppe und hängt düsteren Gedanken nach.

Zwei Männer sitzen in einem Café und führen Gespräche über einen Urlaub – dabei hat der eine der beiden Männer eine absurde Kopfbedeckung, über die sich niemand zu wundern scheint.

Eine Frau fährt gezwungenermaßen allein in Urlaub – was anfangs anstrengend war, wird für sie zu einer positiven Überschreitung der Grenzen.

Das sind nur ganz grob die Inhaltseinblicke für die kurzen Filme, die im Rahmen des Short Shortfilm Awards in Karlsruhe gezeigt wurden. Die Veranstaltung beschloss am Sonntag, 13. April 2024, die Independent Days, das Filmfestival in Karlsruhe. Und wie im vergangene Jahr erwies sich die Veranstaltung als sehr unterhaltsam.

Die vielen kurzen Filme ließen sich kaum auf einen Nenner bringen; sie waren mal ernst, mal traurig, manche wirkten amateurhafte, manche sahen aus wie Kino-Produktionen. Es gab Zeichentrickstreifen und solche, die mit Schauspielern arbeiteten.

Zwischendurch wurde moderiert, man konnte Fragen stellen, und einige der Leute, die für die Filme verantwortlich waren, hatten sich auch persönlich eingefunden. Es wurde fleißig geklatscht, an den richtigen Stellen kam Gelächter im Publikum auf. Ich fand: eine rundum gelungene Abendveranstaltung!

17 April 2025

Bissige Science Fiction aus nächster Zukunft

Der Autor Cory Doctorow ist mir vor allem durch seine Kolumnen in der Zeitschrift »Locus« bekannt, ebenso durch politische Aussagen, die er unter anderem über Twitter veröffentlichte. Von seinen Science-Fiction-Romanen las ich bislang gar nicht so viel. Aber nun nahm ich endlich seinen Kurzroman »Wie man einen Toaster überlistet« vor, der bereits vor einigen Jahren in deutscher Sprache erschienen war.

Der Autor stellt eine Frau ins Zentrum, die als Flüchtling in die USA gekommen ist und versucht, in Boston durchzukommen. Wann genau die Handlung spielt, ist nicht klar – es kann nur wenige Jahre in der Zukunft spielen: Die Gesellschaft ist nicht weit von unseren, die technische Entwicklung nicht superweit von der Wirklichkeit entfernt.

Salima, so der Name der Hauptfigur, lebt in einem mehrstöckigen Gebäude, in dem sie vom System ständig schikaniert wird. Der Fahrstuhl kann von ihr nur benutzt werden, wenn die »reichen Leute« ihn gerade nicht brauchen. Und der Toaster arbeitet nur mit Brot, das von genau einer Marke hergestellt wird und entsprechend teuer ist.

Doch Salima ist findig und bekommt heraus, wie man sowohl den »intelligenten« Toaster als auch den Kühlschrank technisch verändert. Danach kann sie auch andere Produkte kaufen, was ihr echt Geld spart. Doch was ist, wenn die Firmen, denen diese Geräte ja gehören, herausfinden, dass die Computer dieser Geräte manipuliert worden ist?

Doctorows Roman ist eine Satire, wenn man möchte, aber eine sehr bittere. Sein Blick auf das Leben armer Menschen, die an manchen Stellen höhere Kosten haben als die Wohlhabenden, ist klar und ohne Sozialromantik. Seine Geschichte erzählt er geradlinig und ohne Umwege – da ist nichts übermäßig komplex oder intellektuell erzählt.

Für Science-Fiction-Fans ist die technische Idee womöglich zu »dünn«; wer aber einen kurzen Roman lesen möchte, der in unterhaltsamer Weise zeigt, wie sehr man von »intelligenten« Maschinen und Geräten abhängig sein kann, ist hier sehr gut beraten. (Der Kurzroman erschien als schmaler Hardcover-Band bei Heyne. Infos dazu gibt’s auf der Website des Verlags.)

15 April 2025

Ein altes Fanzine in neuem Gewand

Walter Jost und Heinz J. Baldowé sind mir seit meinen frühesten Tagen in der Fan-Szene bekannt. Die beiden mischten schon in den 70er-Jahren in der Science Fiction mit, sorgten mit frechen Sprüchen aus der linken Ecke für Furore und veröffentlichten Fanzines. Nachdem es in den vergangenen Jahrzehnten ein wenig ruhiger um sie geworden ist, sind sie wieder aktiv – vor allem Walter Jost tritt häufiger in Erscheinung.

Zu den neuen Themen, die aber auf uralten Wurzeln aufbauen, gehört tatsächlich, dass ein Fanzine-Thema neu belebt wird: Die »Science-Fiction-Nachrichten«, die es bereits in den 70er-Jahren gab, sind wieder da – im Jahr 2024 erschienen zwei Ausgaben, und ich las zuletzt die zweite Nummer.

Wie es sich für moderne Zeiten wie die unsere gehört, erscheint das Fanzine nicht mehr in gedruckter Form, sondern wird als PDF und kostenlos im Internet angeboten. Dort habe ich mir die Ausgabe zwei mit ihren 32 lesenswerten A4-Seiten auch heruntergeladen.

Die Mischung finde ich interessant. Der Altfan Dieter Braeg schreibt über alte Zeiten; es gibt kurze Vorstellungen aktueller Romane und Rezensionen; Filme und kleine Messen werden ebenso vorgestellt wie aktuelle Werbung mit Science-Fiction-Motiven und sogenannte Space Fashion. Das ist mal amüsant, mal informativ, unterm Strich bekommt man einen schönen Streifzug durch das Genre!

Mir gefällt die Mixtur sehr, und ich hoffe, dass Walter Jost bald weitermacht und eine Ausgabe drei erscheinen kann. Man kann das Heft auf der entsprechenden Website einfach herunterladen – ich empfehle es hiermit ausdrücklich!

14 April 2025

Zahlen zu einem Phänomen

Viele kluge Leute schreiben seit einiger Zeit über das Phänomen #BookTok. Wer davon noch nie gehört hat, dem fasse ich es hiermit zusammen: Es handelt sich nicht um ein »neues Programm« oder gar eine »neue Anwendung«, wie besonders kluge Leute schon formuliert haben, sondern um einen »Namen«, wenn man es genau nimmt, unter dem auf der Videoplattform TikTok über Bücher gesprochen wird.

Mittlerweile gibt es in den Buchhandlungen ganze Tische mit den neuen #BookTok-Veröffentlichungen. #BookTok-Bestsellerlisten sollen Orientierung schaffen, aber ich habe das Gefühl, dass sich diese Listen vor allem an den Buchhandel richten, nicht an die Kundschaft.

Und die ist nicht so jung und so weiblich, wie man bislang dachte. Die Zeitschrift »Börsenblatt« hat einige Zahlen geliefert, die ursprünglich von MediaControl und von TikTok direkt kommen. Spannend finde ich eine Zahl: Rund 50 Millionen Beiträge unter dem Hashtag #BookTok wurden mittlerweile hochgeladen – das ist schon sehr viel.

2023 wurden allein in Deutschland rund zwölf Millionen Bücher verkauft, die über #BookTok empfohlen worden sind. 2024 waren es dann schon mehr als 25 Millionen Bücher. Wer auf den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig war, sah auch direkt, was das bedeutet: Immer mehr Verlage springen auf diesen Zug auf.

2023 betrug der Frauenanteil bei #BookTok noch 83 Prozent, 2024 sank er auf 75 Prozent. Man kann also von einem Viertel Männer ausgehen, die sich dafür interessieren. Die Altersgruppe von 30 bis 39 Jahren ist übrigens mit 30 Prozent vertreten; es sind also nicht nur die ganz jungen Leute, die sich für Bücher unter dem Hachtag #BookTok interessieren.

Und welchen Schluss zieht man jetzt daraus? Das mag bitteschön jeder Mensch für sich selbst entscheiden. Vielleicht den hier: Manche Vorurteile halten sich hartnäckig und stimmen nicht immer zu hundert Prozent …

11 April 2025

Zwei starke Texte, einer über mich

Als ich das sogenannte Klausbuch zum ersten Mal in den Händen hielt, kurz nach meinem sechzigsten Geburtstag, blätterte ich »Das wüsste ich aber!« schon recht gründlich durch, wenngleich ich so gut wie nichts las. Eine gewisse Scheu hielt mich davon ab, über die ich schon gelegentlich schrieb. Aber es war klar, dass das Buch eine Reihe sehr persönlicher Texte enthalten würde.

Mittlerweile bin ich wieder einige Schritte weitergekommen.

»Letzte Chance« ist eine sehr gelungene Kurzgeschichte oder Erzählung von Lucy Guth. Die Autorin, mit der ich seit einigen Jahren sehr gut zusammenarbeite, bringt mich selbst nicht in diese Geschichte ein; der Bezug zu mir ist die Arbeit. Ihre Geschichte siedelt Lucy Guth nämlich in der Welt von PERRY RHODAN NEO an, nicht in der top-aktuellen Zeit, sondern einige Handlungsabschnitte in der Serienvergangenheit.

Die Geschichte ist – wie bei der Autorin nicht anders zu erwarten – spannend geschrieben und sehr unterhaltsam. Auf einer eigentlich entvölkerten Erde trifft ein Raumfahrer auf einen Meeresbiologin, die unbedingt ein Problem lösen möchte, das die Erde betrifft, auch wenn keine Menschen mehr auf ihr leben ...

Viel persönlicher ist dann das Theaterstück – oder wie immer man diesen starken Text nennen soll – mit dem Titel »Warten auf Sieben«. Christina Hacker, die auch das Buch zusammengestellt hat, erzählt von mir und hat dazu nicht nur die Einrichtung meiner Wohnung ganz gut getroffen, sondern das Ganze mit Bildern von mir aus verschiedenen Lebensjahrzehnten garniert. Es gibt sogar ein Bild, das mich zeigt, wie ich mutmaßlich mit siebzig Jahren aussehe.

Der Text spart nicht an Kritik an mir, schön versteckt in den Dialogen verschiedener Klaus-Inkarnationen: Der punkige Klaus trifft quasi auf den jugendlichen und den spießigen Klaus, alles in allem stehen sehr unterschiedliche Charaktere in meiner Wohnung herum. Schöner Text: ein bisschen schmeichelhaft, durchaus kritisch, meinem Geburtstag sicher recht angemessen ...

10 April 2025

Über Dörfler und Emos

In der aktuellen Ausgabe des OX-Fanzines bin ich wieder mit einer aktuellen Folge meines Fortsetzungsromans vertreten. Folge 54 von »Der gute Geist des Rock’n’Roll« erzählt von einem Besuch des Ich-Erzählers in einem kleinen Ort, in dessen Jugendhaus an einem Freitagabend ein Emocore-Konzert stattfinden soll. Dabei gibt es das eine oder andere Gespräch und vor allem den einen oder anderen Einblick in die Denkstruktur von Leuten, die in einem dörflichen Umfeld leben.

Das ist wieder ein Kapitel, das auf biografischen Grundzügen beruht. Während ich in den 80er-Jahren häufig zu Konzern in schwäbische und badische Kleinstädte fuhr – Orte wie Geislingen oder Waiblingen, Schwäbisch Gmünd oder Offenburg, Schramberg oder Bernhausen tauchten auf meiner Landkarte sehr häufig auf –, veränderte sich das Bild in den 90er-Jahren.

Tatsächlich gab es Emocore-Konzerte in Dörfern in der Pfalz oder im Umland von Karlsruhe, zu denen ich fuhr und auf denen ich mit Lederjacke und Stiefeln oft wie ein Fremdkörper wirkte. Nicht nur wegen des Alters, sondern auch wegen des Aussehens. Im Nachhinein würde mich schon interessieren, wie ich auf die jungen Leute in diesen Ortschaften wirkte: Hielten die Leute mich für einen seltsamen alten Kauz oder fanden sie das normal?

Die Ausgabe 179 des OX-Fanzines gibt darüber keine weitere Auskunft. Aber sie gibt hoffentlich wieder einen unterhaltsamen Einblick in die 90er-Jahre.

09 April 2025

Der verdammt noch mal beste Punkrock-Roman

Die südliche Pfalz ist in den vergangenen Jahren zu einer Region für mich geworden, in der ich gerne Wein kaufe oder zwischen den Weinbergen spazieren gehe. In den 80er- und 90er-Jahren war sie allerdings eine Gegend, in der man Angst haben musste, beim Trampen von örtlichen Nazischlägern verdroschen zu werden oder wo unsereins gelegentlich zu körperlicher Auseinandersetzung mit Prügeldeppen gezwungen wurde.

In diesem Milieu spielt »Krach«, ein Roman von Tijan Sila. Der Autor ist in Bosnien geboren, kam als Flüchtling nach Deutschland und arbeitet heute als Lehrer. In den 90er-Jahren hatte er eine Punk-Band; ich weiß aber nicht, ob ich sie jemals gesehen habe. Glaubt man seinem Facebook-Account, müssen wir schon auf den gleichen Konzerten gewesen sein.

Sein Buch spielt in den 90er-Jahren und in der Pfalz. Der jugendliche Held geht noch zur Schule, hasst eigentlich seine komplette Umwelt und spielt in einer Punk-Band. Mit der treten seine Kumpels und er in besetzten Häusern oder Jugendhäusern auf. Dazwischen gibt es erste Versuche, sich ernsthaft zu verlieben, und einige realistisch geschilderte Schlägereien.

Und es gibt Dialoge, die großartig sind! Tijan Silas Figuren reden mal Dialekt, mal hochdeutsch; es gibt Lehnwörter aus dem Bodnischen und Slangbegriffe, die ich aus meiner Gegend kenne. (Über »Tschukkekahler« mache ich mal einen speziellen Text, glaube ich.) Das ist spannend, das treibt die Handlung, das ist ein literarisches Spiel.

Wer mag, kann »Krach« als starken Punkrock-Roman lesen. Wer mag, kann ihn als literarisches Feuerwerk feiern. Beides ist richtig: »Krach« ist ein verdammt guter Roman!

08 April 2025

Großartiger Comic über die Liebe und das Älterwerden

Um es gleich zu sagen: Ich stelle an dieser Stelle einen Comic – oder eine Graphic Novel –, vor, der sich jederzeit als Geschenk für Leute eignet, die sonst nicht viel mit bebilderten Geschichten anfangen können. »Trotz allem ... Liebe« von Jordi Lafebre ist eine wunderbare Geschichte, und sie wird so warmherzig und voller Lebensfreude erzählt, dass man sie zwei-, dreimal lesen kann.

Ich machte das übrigens selbst so: Ich las den Comic zuerst in der Reihenfolge, wie er vom Künstler angelegt worden ist, und dann nahm ich ihn mir erneut vor und las ihn »von hinten« her ein zweites Mal. Damit verändert sich die Perspektive, und die Geschichte gewann für mich an weiteren Facetten, die mir beim ersten Lesen nicht aufgefallen waren.

»Trotz allem ... Liebe« spielt in einer Stadt am Meer, irgendwo in Italien. Hauptpersonen sind eine Frau, die jahrelang als Bürgermeister die Stadt verwaltet hat, und ein Mann, der viele Jahre zur See gefahren ist und erst im hohen Alter die Buchhandlung wieder eröffnet, die ihm in jungen Jahren so am Herzen gelegen ist. Beide treffen sich an einem Abend im Regen, auf einer Brücke, die sie hat errichten lassen, und von diesem Zusammentreffen an geht die Handlung von Episode zu Episode in der Vergangenheit zurück.

Der Comic umspannt einen Zeitraum von fast vierzig Jahren, in denen sich die beiden treffen und wieder verlieren, in der sie miteinander korrespondieren und telefonieren. Sie ist verheiratet, sie hat eine Tochter, während er auf hoher See unterwegs ist und immer wieder in eine neue Beziehung rutscht. Sie ist die kontrollierte Politikerin, die ihrer Stadt eine neue Brücke beschert und Tag und Nacht arbeitet, während er der Träumer und Vagabund ist, der mit über sechzig Jahren noch seine Doktorarbeit in Physik schreibt.

Jordi Lafebre gelingt es mit diesem Comic, sowohl erzählerisch als auch zeichnerisch zu überzeugen. Die Geschichte ist wunderschön, ohne kitschig zu werden, und sie hält stets die Balance zwischen Herzschmerz und Klischee. Er nimmt seine Figuren ernst, und er setzt sie immer glaubhaft in Szene. Dabei ist sein Stil nicht hyperrealistisch, aber ebenso weit davon entfernt, ein Funny zu sein. Ich empfehle unbedingt, die Leseprobe anzuschauen.

»Trotz allem ... Liebe« ist ein Comic, der nicht nur die Fans der neunten Kunst anspricht, sondern der auch andere Menschen begeistern kann. Sehr gelungen! (Sehr schöne Hardcover-Ausgabe im Splitter-Verlag übrigens.)

07 April 2025

Ein Zettel mit Notizen

Beim Aufräumen förderte ich ein A4-Blatt zutage, auf dem allerlei Notizen standen. Sie waren handschriftlich, ich hatte sie in großer Eile angefertigt, und es gab weder ein Datum noch sonst einen Hinweis darauf, von wann sie stammten. Besonders interessant: Ich erinnerte mich auch nicht daran, diese Notizen angefertig zu haben. Sie waren neueren Datums, das war klar, und ich hatte sie nicht in meiner Schulzeit oder sonstwann in den 80er-Jahren verfasst.

Ich brauchte ohnehin einige Zeit, bis ich sie entzifffert hatte. Offensichtlich war mir die Idee für eine Science-Fiction-Geschichte bekommen, und ich hatte damit angefangen, sie genauer zu skizzieren. Ich hatte sogar einen Anfang aufgeschrieben, einen Satz, den ich offensichtlich gut gefunden hatte, den ich nun aber nicht einmal mehr verstand.

Ratlos saß ich mit dem Zettel da. Ich erkannte, dass es eine Idee war, aber ich fand sie weder spannend noch interessant. Womöglich wäre sie brillant gewesen, vielleicht hätte sie mir einen Preis eingebracht – aber ich konnte sie nicht in meinem Kopf zu Szenen und Bilder zusammensetzen.

Bevor mich das Betrachten des Blattes zu sehr frustrierte, tat ich das, was wohl am Sinnvollsten war: Ich zerriss es und warf es in die Altpapiertonne. Dort plagt es zumindest nicht mehr mein Gewissen ...

04 April 2025

Zum Goldrausch mit Orchester

Ich erinnere mich düster daran, dass ich als Kind den Film »Der Goldrausch« sah. Mit meiner Mutter saß ich im Gastraum des »Grünen Baums« in Dietersweiler, wir hatten schließlich keinen Fernseher, und starrte gebannt auf den kleinen Bildschirm. Im Raum saßen noch andere Leute, gemeinsam sahen wir Charlie Chaplin im Schneesturm zu.

In diesem Frühjahr ergab sich die Gelegenheit, den Film erneut anzusehen: im Filmtheater »Babylon« in Berlin. Dort wurde der Stummfilm auf einer großen Leinwand gezeigt, und begleitet wurde er von einem richtigen Orchester.

Das »Babylon« kannte ich bislang nicht, es ist ein altes Theater, unweit der Volksbühne und des Rosa-Luxemburg-Platzes gelegen, in einer recht belebten Gegend also. Es gibt alte Sessel aus Plüsch, eine breite Treppe führt hinauf zu den oberen Rängen, alles sieht angestaubt und trotzdem schick aus; man kommt sich als Besucher vor, als sei man selbst in einer Filmkulisse unterwegs.

Bereits vor Beginn der Vorstellung wurde Musik gespielt. An der Orgel saß eine Frau, die Filmmusiken der ganz klassischen Art präsentierte, die auf dem alten Instrument hervorragend zur Geltung kamen. Das Orchester nahm währenddessen seinen Platz ein, und dann begann der Film.

Die Geschichte sollte bekannt sein. Charlie Chaplin spielt einem Goldsucher, der Ende des 19. Jahrhunderts versucht, in Alaska sein Glück zu machen. Dabei bekommt er es mit dem Wetter zu tun, aber auch mit mordlüsternen Goldsuchern und anderen menschlichen Problemen. Unvergessen ist beispielsweise die Szene, in der er seinen Schuh ist – der Filmklassiker lohnt sich immer noch.

Dank des Orchesters kam zwar eine Stummfilmstimmung auf, das war aber richtig schön. Die Live-Musik begleitete die Szenen, und am Ende gab’s einen verdienten Applaus. Toll!

03 April 2025

Ein Blick auf dreißig Jahre

Es ist ein schmeichelhafter Text, der mich sehr gefreut hat: Auf der Internet-Seite der Bundesakademie für kulturelle Bildung ist ein Beitrag zu lesen, der mich und meine Arbeit als Dozent fast schon abfeiert. »30 phantastische Jahre« lautet die Überschrift, und der Untertitel macht es ein wenig klarer: »Dank an unseren Kapitän im Raumschiff Literatur«.

Olaf Kutzmutz, mit dem ich an der Akademie schon lange zusammenarbeite, verfasste diesen Text, der durch drei schöne Fotos ergänzt wird; das alles macht mich ein wenig wehmütig. Die Anfänge der Science-Fiction-Seminare verlieren sich allerdings in meinem Gedächtnis langsam in Anekdoten, aber das liegt wohl in der Natur der Sache.

1995 war ein Jahr, in dem sich viel veränderte: Ich begann mit meiner wöchentlichen Radiosendung im Freien Radio Querfunk. Ich fuhr zu den Chaostagen nach Hannover. Ich wurde mit einem Schlag Redaktionsleiter bei der Raketenheftchenserie, für die ich seit 1992 tätig war. Und ich fing damit an, als ein Dozent nach Wolfenbüttel zu fahren, um dort mit anderen Menschen über phantastische Literatur zu sprechen.

Das ist alles dreißig Jahre her; manchmal kann ich es selbst kaum fassen. Umso schöner fand ich deshalb diesen Text.

02 April 2025

Das »Zap« im Bundestag

Wann genau ich Michael Arndt kennenlernte, weiß ich nicht mehr. In den 80er-Jahren las ich das Fanzine »Trust«, bei dem er einer der Macher war; persönlich trafen wir uns Ende des Jahrzehnts bei einem Hardcore-Konzert in Homburg im Saarland. Er trug kurze Haare, lachte nur selten und wurde Moses genannt.

Später trafen wir uns öfter. In den 90er-Jahren waren wir oft miteinander unterwegs. Ich schrieb für das »Zap«, sein zeitweise wöchentlich erscheinendes Heft, wo unter anderem meine »Peter Pank«-Geschichten veröffentlicht wurden. Wir waren bei Chaostagen und Fußballturnieren, wir reisten zu Demonstrationen und sportlichen Veranstaltungen; wir trafen uns auf unzähligen Konzerten. Er pennte bei mir auf dem Fußboden, ich bei ihm, und ich könnte stundenlang Geschichten erzählen.

In den Nuller-Jahren verloren wir uns ein wenig aus den Augen. Und so bekam ich nicht mit, dass er sich neuerdings in der Linkspartei politisch betätigte. Ein soziales Gewissen hatte er schon immer, politische Analysen hatte er bereits früher drauf – was ich jetzt nicht abwertend oder ironisch meinte.

Vor allem bekam ich nicht mit, dass er in den Bundestag gewählt wurde. Tatsächlich wurde mir das auf der Leipziger Buchmesse erzählt, und ich wollte es zuerst nicht glauben.

Aber es ist wahr: Im neuen Bundestag vertritt Dr. Michael Arndt – dass er Arzt geworden war, hatte ich mitgekriegt – das Saarland. Ich bin sicher, dass er diese Aufgabe mit großem Engagement angehen wird. Respekt!

01 April 2025

Gegenspielerin der speziellen Art

Ich mag die Figur des blinden Superhelden Daredevil seit vielen Jahren. Im Marvel-Universum ist er eigentlich die einzige Figur, von der ich regelmäßig Comics lese. Ich kenne mich allerdings nicht aus, vor allem nicht mit den vielen Seitenlinien und anderen »Randprodukten«. Deshalb freute es mich, als in der Reihe »Marvel Must Have« der schöne Band »Daredevil & Echo: Teile der Leere« erschien.

Die Hefte, die diesem Band zugrunde liegen, wurden bereits im Jahr 2000 veröffentlicht; ich hatte sie aber nie gelesen. Mit ihnen wird eine neue Figur eingeführt: Echo ist eine junge Frau, die gehörlos ist und mithilfe von Echos, die sie empfängt, dann doch Geräusche wahrnehmen kann. Damit ähnelt sie dem Handicap des blinden Daredevil und spiegelt es in gewisser Weise.

Die beiden sind am Anfang erbitterte Gegner, und es dauert einige Zeit, bis aus der Gegnerschaft etwas ganz anderes wird. Entwickelt wurde die Figur von dem Autor David Mack, der auch die Texte in diesem Buch schrieb. Mack führt die Figur in starken Szenen ein und lässt sie als Gegnerin mit all ihrer Vergangenheit durchaus glaubhaft erscheinen. Wenn Echo und Daredevil kämpfen – entweder gegeneinander oder mit anderen Gegnern –, ist das aufgrund ihrer jeweiligen Einschränkungen und Gaben immer spannend angelegt.

Für die Grafik sind unterschiedliche Künstler zuständig; insgesamt ergibt sich eine Abfolge starker Superhelden-Szenen. Vor allem die Action-Szenen wissen aus den genannten Gründen immer zu überzeugen. Wer amerikanische Superhelden-Comics mag, wird auch »Daredevil & Echo: Teile der Leere« mögen.

(Ich weiß, dass die Figur der Echo in der Fernsehserie »Daredevil« auftaucht und längst ihre eigene Serie erhalten hat. Aber hier geht's nur um den Comic-Band, den ich mir als schicke Hardcover-Ausgabe gekauft habe.)