Die Geschichte beginnt nach einem schrecklichen Krieg, der offensichtlich mit atomaren Waffen ausgetragen worden ist. Weite Teile der ehemaligen Vereinigten Staaten sind menschenleer. Die Überlebenden haben sich in kleinen Gemeinden eingerichtet, wo sie ein einfaches Dasein fristen. Über sie regieren christliche Sekten, die unter anderem verbieten, mit den technischen Mitteln der Vergangenheit zu arbeiten.
Doch zwei Jungs haben keine Lust darauf, in diesen Verhältnissen zu leben. Sie wollen ausbrechen. Als sie etwas entdecken, das sich nach einigen Versuchen als Funkgerät entpuppt, können sie damit zwar nicht umgehen, aber ihr Interesse an der Außenwelt wird geweckt. Also beginnen sie eine Reise zu der Stadt, an der angeblich die Schätze vergangener Epochen aufbewahrt werden und wo man in eine neue Zukunft blickt …
So lässt sich die Handlung von »Das lange Morgen« zusammenfassen, einem echten Klassiker der Science-Fiction-Literatur. Verfasst wurde er von Leigh Brackett (1915 bis 1978), eine der bedeutendsten Autorinnen der 50er- und 60er-Jahre. Sie schrieb Drehbücher und Romane, Kurzgeschichten und Erzählungen. Unter dem Titel »The Long Tomorrow« wurde der Roman bereits 1955 veröffentlicht, seit einigen Monaten liegt er in einer neuen Übersetzung vor.
Verantwortlich dafür ist der Carcosa-Verlag, der erst vor einigen Monaten gegründet worden ist. Zu seinem Programm gehören Science-Fiction-Titel aus dem englischen Sprachraum sowie Sekundärliteratur; es lohnt sich auf jeden Fall, die Website des Verlags zu besuchen und sich umzuschauen. Es gibt schon jetzt viel zu entdecken.
Mich sprach Leigh Bracketts Roman sehr an. Die Autorin verzichtet auf all das, was man gemeinhin mit der Science Fiction der fünfziger Jahrre verbindet: Es gibt weder Raumschiffe noch Zeitreisen, keinen strahlenden Helden und keinen finsteren Bösewicht. Stattdessen wirft sie einen kritisch-literarischen Blick auf die Vereinigten Staaten, der sich mit klassischen Mainstream-Autoren wie John Steinbeck vergleichen lässt.
Das klingt vielleicht vermessen, ich meine es aber ernst. Der Roman ist zeitlos, auch wenn die Vision der Zukunft – er spielt ja wohl in unserer Zeit – so nicht eingetreten ist: 1955 stellte man sich künftige Computer als riesige Maschinen vor und glaubte, die friedliche Nutzung der Atomenergie bringe keine Probleme mit sich. Sieht man von diesen zwei Elementen ab, die ohnehin erst am Ende des Romans eine Rolle spielen, handelt es sich bei »Das lange Morgen« um eine unterhaltsame Geschichte, die stets aus der Sicht der jungen Hauptfiguren erzählt wird.
Bracketts Erzählweise ist altmodisch im positiven Sinn. Es gibt keine stilistischen Experimente, die Geschichte verläuft geradlinig. Gelegentlich springt die Perspektive ein wenig – zu jener Zeit üblich –, was aber nicht sehr stört.
Der Blick der Autorin auf die amerikanische Kultur nach einem Atomkrieg ist durchaus pessimistisch, und ihre Darstellung des religiösen Fanatismus finde ich erschreckend. Vor allem das erste Drittel des Romans ist trotz der ruhigen Erzählweise richtig stark – man glaubt sich in eine ländliche Region versetzt, die von christlichen Fanatikern beherrscht wird.
Wer klassische Science Fiction mag, sollte dieses Buch lesen. Man kann es übrigens jederzeit auch Menschen in die Hand drücken, die sonst von der SF-Literatur die Finger lassen …
(Diese Rezension veröffentlichte ich bereits im Januar 2024 auf der Internet-Seite von PERRY RHODAN. Hier wird sie aus dokumentarischen Gründen wiederholt.)
Weitere Informationen zu »Das lange Morgen« gibt es auf der Internet-Seite des Carcosa-Verlags, darunter eine Leseprobe.
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