Meine Eltern waren sehr christlich, das Dorf war sehr christlich, die ganze Welt um mich herum war christlich. Überall hingen Kreuzsymbole an den Wänden, die Kirchen waren voll. Und so war mir bereits als Kind der Sohn Gottes stets gegenwärtig, ich hatte ein klares Bild von Jesus Christus im Kopf.
Er sah aus wie in der Familienbibel, die wir hatten, ein klassisch aussehendes dickes Buch mit Goldrand und Schwarzweiß-Abbildungen, das mein Vater von seinen Eltern erhalten hatte. Jesus hatte helle gewellte Haare und einen Bart, und sein Gesicht sah aus wie das eines netten jungen Mannes aus Mitteleuropa, der auf der Straße nicht aufgefallen wäre.
Jesus war für mich so hellhäutig wie ein Deutscher, Engländer oder Däne, mit genau diesen Gesichtszügen, die man mit einem Nordeuropäer verband. Ich machte mir als Kind keine Gedanken darüber. Und als ich später sehr unchristlich wurde, war es mir ohnehin egal.
Die aktuelle Diskussion über Hautfarben, über People Of Color und institutionellen Rassismus bekomme ich heute natürlich mit. Und mir wurde klar, dass auch das völlig harmlos-kindliche Jesus-Bild, das ich früher gehabt hatte, ein rassistisches Bild war. Die positive Figur des Gottessohns wurde uns als mitteleuropäisch »verkauft«; dabei dürfte ein junger Mann, der um die Zeitenwende im heutigen Israel gelebt hatte, eher wie ein Araber ausgesehen haben, also deutlich dunkler.
Was mache ich heute mit dieser Erkenntnis? Erst einmal nichts. Vielleicht öfter mal gedanklich in den Spiegel gucken: das Bewusstsein dafür schärfen, dass rassistisches Denken halt auch tief im eigenen Kopf steckt.
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