Man kann sich diese Zeit heutzutage nicht mehr vorstellen: Anfang Mai 1945 war das sogenannte Dritte Reich militärisch längst geschlagen. In den Resten zerbombter Städte regierten aber noch die alten Nazis, an den Fronten wurde teilweise erbittert gekämpft, und Millionen von Ausgebombten, Flüchtlingen, KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen irrten in langen Kolonien durch Deutschland.
Volker Ullrich gibt in seinem Buch »Acht Tage im Mai« einen Einblick in eine Zeit des Chaos und der Erleichterung. Der Journalist und Sachbuchautor stellt Tag für Tag dar, was sich während dieser Zeit abspielt. Er erzählt von den Auseinandersetzungen an den letzten Fronten, wobei er auch einige eher unbekannte Schauplätze zeigt: der Endkampf um Berlin, das Ringen um Breslau, die Waffenstillstandsverhandlungen in Italien, die verzweifelten Versuche deutscher Soldaten, lieber bei den Westmächten als bei den Sowjets in Gefangenschaft zu geraten.
Ullrich spart nichts aus, weder das brutale Vorgehen der SS-Truppen, die in diesen Tagen noch Zigtausende von Häftlingen auf mörderische Todesmärsche jagen, noch die Vergewaltigungen der Sieger in Ost und West. In klaren Worten schildert er, wie die verbrecherische Reichsführung noch bis in die letzten Stunden um Macht und Einfluss kämpft und wie Feldmarschälle und Minister sich den neuen Machthabern andienen, während gleichzeitig Millionen um ihr Überleben kämpfen.
Das Buch hat nicht nur eine zeitliche Dimension, sondern eigentlich drei – der Autor blickt nämlich anhand einzelner Personen sowohl vor als auch zurück. So zeigt er beispielsweise an der Person von Helmut Schmidt dessen Vergangenheit als Wehrmachtsoffizier, der nie durch Widerstandsgedanken aufgefallen war, sowie seine spätere politische Karriere. Ebenso stellt er dar, wie fanatische Nazis nach dem Krieg recht schnell wieder zu Amt und Würden kamen – sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR.
In seinen Beschreibungen bleibt der Autor bemerkenswert nüchtern und zurückhaltend, journalistisch eben. Er verzichtet auf die detaillierte Darstellung von Grausamkeiten, sondern erzählt sachlich und trotzdem so, dass man bereitwillig folgt. Das Buch lässt sich sehr flüssig lesen, es verzichtet auf übertriebene Fremdwörter oder umständliche Satzkonstruktionen. Das Thema steht im Vordergrund, und dem ordnet sich alles andere unter.
»Acht Tage im Mai« ist eine Chronik, die in überschaubarer Weise einen Blick auf den Untergang des sogenannten Dritten Reiches wirft. Auch wenn man sich – wie ich – mit den historischen Details ganz gut auskennt, wird man doch viele neue Details entdecken. Ein spannendes Buch, das sich solche Leser ebenfalls zu Gemüte führen können, die noch nicht so viel über die historische Epoche wissen!
Seit März 2021 gibt es zu diesem Buch eine Taschenbuch-Ausgabe Nach wie vor gibt es die Hardcover-Ausgabe aus dem Verlag C. H. Beck.
Auf der Internet-Seite des Verlags C. H. Beck gibt es Informationen sowie eine Leseprobe zu »Acht Tage im Mai«.
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