Der Mann steuerte direkt auf mich zu, als ob er genau wüsste, wer ich sei. Er sagte kurz seinen Namen und kam direkt zu seinem Anliegen. »Ich möchte gern, dass Sie mein Manuskript lesen«, bat er.
Verwundert blickte ich zuerst auf den Schnellhefter, den er vor mich auf den Tresen legte, dann in sein Gesicht. »Hier?«, fragte ich und wies um mich.
Um uns tobte der Trubel der Buchmesse. Zwischen den Ständen der Buchverlage waren Tausende von Menschen unterwegs. Lautsprecher plärrten irgendwelche Durchsagen, ein Stimmengewirr waberte durch die Halle. An manchen Stellen herrschte Gedränge, die Menschen kamen nur langsam voran.
Ich stand an unserem Messestand, wo ich mich am Informationsschalter platziert hatte. Mein Namensschild wies mich als Verlagsangestellten aus, ich trug einen Anzug mit Krawatte, und ich war darauf eingestellt, Fachfragen zu Romanen und Inhalten zu bearbeiten. Auf Manuskripte war ich nicht unbedingt vorbereitet.
»Das ist eigentlich nicht sinnvoll«, sagte ich vorsichtig. »Ich kann Ihr Manuskript gern in mein Gepäck legen. Ich verspreche Ihnen, es anzulesen und mich rückzumelden, aber das kann dauern. Hier finde ich es ein wenig ungünstig.«
Er machte eine Geste, mit der er den gesamten Messestand umfasste. »Aber ich bin doch jetzt hier, mein Manuskript liegt vor Ihnen, und Sie haben im Augenblick nichts anderes zu tun«, argumentierte er. »Also können Sie doch hineinschauen und die erste Seite gleich hier anlesen. Dann verlieren wir keine Zeit.«
Hilflos blickte ich zu den Kollegen, die sich ebenfalls am Messestand aufhielten. Die meisten waren mit Gesprächen beschäftigt. Neben mir räumte gerade Björn etwas in die Regale, er hatte alles mitbekommen. Er grinste mich an und hob die Schultern.
»Sie wollen, dass ich das jetzt lese?«, fragte ich nach. »Auch auf die Gefahr hin, dass es mir nicht gefällt?«
»Ja selbstverständlich – sonst würde ich das doch nicht von Ihnen verlangen.«
»Es besteht aber schon die Gefahr, dass es mir nicht gefällt. Und ich würde es Ihnen dann auch sagen.«
Er wich keinen Moment von seiner optimistischen Grundhaltung ab. »Das halte ich sicher aus. Ich bin einfach sehr gespannt auf Ihr Urteil.«
Ich griff nach dem Schnellhefter, schlug ihn aber nicht auf. Hilflos sah ich zu Björn hinüber, der unserem Gespräch mit stillem Lächeln folgte. Er hatte mir schon gelegentlich seine eigenen Texte zum Lesen gegeben und wusste, dass ich nicht immer einen Preis für Diplomatie erhalten würde.
Nun grinste der Kollege breit. »Wenn er es möchte«, sagte er, »guck doch einfach rein...«
Noch einmal musterte ich den Autor, der erwartungsfroh vor mir stand, verkniff mir aber eine weitere Bemerkung. Ich schlug den Schnellhefter auf der ersten Seite auf, schob meine Brille auf die Stirn – zum Lesen benötigte ich keine Brille, sondern zur Fernsicht – und begann zu lesen. Ich musste nicht einmal besonders gründlich sein, wie mir rasch auffiel.
Nachdem ich die erste Seite zu Ende gelesen hatte, nahm ich den Schnellhefter auf. »Ich finde«, begann ich vorsichtig, »dass Sie noch einmal stilistisch an das Manuskript herantreten müssten …«
Der Autor nickte mir auffordernd zu. In Gedanken zuckte ich mit den Achseln. Er wollte es wohl so.
»Schauen Sie mal, hier …« Ich tippte bei den einzelnen Wörtern immer an die entsprechende Stelle auf der Seite. »Sie benutzen sehr häufig die gleichen Wörter, das ist nicht gerade optimal. Hier sollten Sie den Dialog straffen, man muss nicht immer dazu schreiben, wenn jemand sich ansieht. Und Sie benutzen sehr viele Partizipialkonstruktionen, die verlangsamen einen Text – die sind nicht falsch, werden aber auch nicht gerade als unterhaltsam oder elegant empfunden.«
Der Mann sah mir zu, nickte gelegentlich, widersprach mir aber nicht. Das beruhigte mich einigermaßen. »Und wie geht es weiter?«, fragte er, als ich mit der Seite fertig war.
»Das müssen Sie wissen. Ich würde dazu raten, den Text noch einmal gründlich durchzuarbeiten. Zum Inhalt kann ich nichts sagen, ich habe nur das beurteilt, was mir auf den ersten Blick aufgefallen ist. Ein Lektor in einem Publikumsverlag würde ähnliche Dinge feststellen, denke ich.« Ich verschwieg, dass ein solcher Lektor normalerweise nicht selbst in unaufgefordert eingesandte Manuskripte blicken würde.
Ich schlug den Schnellhefte zu und reichte ihn dem Mann. Björns Blicke von der Seite spürte ich geradezu. Ich war mir nicht sicher, ob ich zu grob oder zu direkt gewesen war. Empathie war nicht gerade meine wichtigste Eigenschaft.
Der Autor nahm den Schnellhefter, schlug ihn auf und sah sich die erste Seite noch einmal an. Seine Selbstsicherheit schien verschwunden zu sein. »Aber …«, sagte er und verstummte.
Dann klemmte er sich den Schnellhefter unter den Arm, drehte sich ruckartig um und verschwand im Getümmel der Buchmesse. Ich sah ihn nie wieder.
Den Klaus-Frick-Diplomatiepreis kann ich auch nicht verleihen. Als du mich noch nicht kanntest und ich mich mit einem Roman bei PERRY RHODAN beworben habe, der anderswo publiziert worden ist, lautete dein Urteil: "Das hätte ich nicht angekauft."
AntwortenLöschenAllerdings hast du mir trotzdem eine Chance gegeben. Also verleihe ich dir den Klaus-Frick-Autorenförderpreis.