Wir saßen am Fenster und blickten hinaus auf die Straße, die leicht abschüssig war; man kam von hier rasch zum Place Stanislas, dem Zentrum der Altstadt. Die Sonne eines frühen Sommerabends schien auf Nancy herunter, ich fühlte mich richtig gut. Am Nachmittag hatten wir bei einem Spaziergang das »Gambetta 27« gefunden – so nannten wir es –, uns praktisch sofort in das Restaurant verliebt und einen Tisch für den Abend bestellt.
Eine junge Frau kümmerte sich um uns. Mein Französisch erwies sich wieder einmal als Katastrophe, und sie sprach so gut wie kein Englisch; wir radebrechten fleißig und mit viel Gelächter. Einer der zwei jungen Geschäftsführer kam sogar zwischendurch vorbei und half aus; er konnte leidlich Englisch, was die Verständigung erleichterte.
Immerhin schafften wir es, für uns ein schönes Menü zu bestellen. Mein Vegetarismus stellte das Personal vor einige Probleme, aber wir entschieden uns für einige nett klingende Varianten. Dann ging es an die Weinbegleitung zu dem Menü.
»Wollen Sie vorneweg einen Champagner?«, fragte die Bedienung. Normalerweise finde ich Sekt nicht sonderlich ansprechend, aber an diesem Abend und bei diesem Restaurant schien es zu passen. Wir entschieden uns für einen Aperitif. Immerhin waren wir in Frankreich, da passte ein Champagner dann doch ganz gut.
Von unserem Platz aus hatten wir einen guten Blick hinter die Theke, die zu beiden Seiten hin offen war. Die junge Frau fischte eine Flasche aus dem Kühlschrank und begann damit, sie zu öffnen. Ich wurde nervös, als ich sah, wo sie genau arbeitete: Keinen Meter von ihr entfernt stand ein Notebook. Ich nahm an, das von ihm aus die Musik gesteuert wurde, die das Restaurant beschallte; vielleicht war auch ein Programm für die Reservierungen drauf. Aber ich sagte nichts – erstens wegen der Sprachkenntnisse und zweitens, weil ich davon ausging, dass sie schon wusste, was sie tun würde.
Vielleicht hätte ich etwas sagen sollen … Was immer die junge Frau genau falsch machte, ich bekam es nicht mit. Auf einmal spritzte eine Fontäne Champagner aus der Flasche, gut einen Meter hoch. Die Flüssigkeit spritzte der jungen Frau ins Gesicht, sie nässte ihre Bluse und schlug wie eine Meeresbrandung auf den Computer hinunter.
Die junge Frau stand da wie erstarrt, nachdem sie einen Schrei des Entsetzens ausgestoßen hatte; auch ich konnte mir vor Schreck nicht rühren. Als sie reagierte, machte sie alles mögliche falsch – aber ich hätte an ihrer Stelle ebensowenig vernünftig reagiert. Sie stellte die Flasche in den Ausguss, sie schüttelte ihre Hände aus, sie warf ihre Haare nach hinten, dann griff sie endlich zu dem Notebook. Sie riss es in die Höhe und kippte es, so dass der Sekt aus der Tastatur herauslaufen konnte.
Schreiend eilte in diesem Moment ein Mann aus der Küche, einer der zwei Geschäftsführer – das alles geschah in wenigen Sekunden. Er schnauzte die Frau an, die völlig erstarrt da stand, dann zog er den Rechner von der Stromverbindung ab und rannte mit ihm in die Küche zurück. Die Frau blieb stehen, ihre Hände zitterten. Sie tat mir komplett leid.
Der Geschäftsführer, mit dem wir schon gesprochen hatte, stand auf einmal ebenfalls bei der Theke. Er sprach ruhig, leise und bestimmt auf die junge Frau ein, die sofort im Hintergrund verschwand und an diesem Abend nicht mehr gesehen wurde. Hoffentlich kann sie ihren Job behalten, dachte ich.
Der Rest des Abends verlief in wunderbarer Stimmung. Das Drei-Gang-Menü war sehr lecker, die Sorte französischer Küche, die ein gewisses Niveau erreicht, das man in Deutschland als »gehoben« betrachtet, die aber noch nicht in den »überkandidelt«-Bereich hinüberschwappt. Die Weinbegleitung passte, unser Aperitif – aus einer frischen Flasche – bildete einen gelungenen Einstieg.
Das »Le 27 Gambetta« war ein Lokal, das also eindeutig überzeugte. Die unfreiwillige Show-Einlage vergaß ich allerdings nie.
Tatsächlich hat das »Le 27 Gambetta« auch eine Facebook-Seite:
AntwortenLöschenhttps://www.facebook.com/Le27Gambetta