(Aus der Serie »aus dem Gedruckten ins Digitale« ...)
Man muss die Stadt Andernach nicht unbedingt kennen. Anders gesagt: Wer noch nie von ihr gehört hat, braucht sich nicht wegen seiner Bildungsferne zu grämen. Noch mal anders: Ich war unlängst dort, es war eine berufliche Reise, und privat hätte mich das Ganze nicht so sehr interessiert. Aber es reichte für einen kleinen Blick auf die Realität.
Irgendwann stand ich am Bahnhof der reizenden Stadt am Rhein. Es war ein hässlicher, kalter Tag, an dem ein grauer Himmel wie vergammelnde Kotze über den Köpfen der geduckt gehenden Menschen hing. Ich bummelte ein bisschen herum, wartete auf den Menschen, den ich besuchte und der mich abholen wollte; aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen war ich zu früh eingetroffen.
Der Witterung entsprechend war ich recht warm gekleidet, in genau den Klamotten, die ich sonst auch ins Büro anziehe: eine schwarze Stoffjacke, darunter ein roter Kapuzenpullover, Hemd und T-Shirt, Jeans, Stiefel. Also eher bürgerlich, nicht gerade punkrock-mäßig, aber eben auch nicht unbedingt so, wie man sich einen Chefredakteur vorstellt. In meiner Hand hielt ich die Tasche, die ich stets auf solchen Reisen dabei habe: ein bisschen abgewetzt, aus Kunststoff und schwarz, darin Manuskripte und Datensammlungen.
So bummelte ich hin und her, ging an einer Pizzeria unweit des Bahnhofs vorbei, die von außen so wirkte wie eine typische Bahnhofskneipe, ein wenig schmuddelig, leicht altmodisch und vor allem mit dem Charme der schlechten siebziger Jahre ausgestattet. Und dort sah ich die drei älteren Männer, die dort im Schnee standen, Bierflaschen und Dosen in den Händen, schlecht rasiert, um es mal vorsichtig zu formulieren, und mit einer eher undeutlichen Aussprache.
Ich hätte sie nicht beachtet, hätte sie mit ihren langen Haaren und den Bärten schlicht in Gedanken zur Gattung »Penner« gesteckt. Einer von ihnen war aber anders: Er trug eine schwarze Lederjacke, auf deren Rücken einige Killernieten steckten, dazu waren einige Aufnäher angebracht, die zwar sehr verschmuddelt aussahen, bei denen ich aber ganz klar erkennen konnte, dass es sich um Punk-Aufnäher handelte. Ich schaute genauer hin: Es waren Zeichen alter Punkrock-Bands und der obligatorische Anti-Nazis-Aufnäher.
Der alte Penner, der wahrscheinlich nicht ganz so alt war, wie er aussah, war mit hoher Wahrscheinlichkeit mal ein Punkrocker gewesen. Vielleicht hielt er sich noch für einen, vielleicht hatte er mit der Szene nicht einmal mehr das Geringste zu tun. Es war mir in diesem Augenblick auch völlig gleichgültig.
Ob der Mann wirklich mal Punk war?, überlegte ich mir, während ich die Männer im Vorbeigehen betrachtete. Andernach war nicht weit von Bonn weg. Ich versuchte mir vorzustellen, wie der langhaarige, bärtige Penner in den 80er Jahren als junger Mann mit bunten Haaren und wilden Idealen auf dem Kaiserplatz in Bonn herumsaß, wie er an der Punk-Olympiade teilnahm, wie er vielleicht auf die verschiedenen Konzerte im »Bla« und andere Läden ging. Es gelang mir nicht.
Ich schüttelte den Kopf, während ich weiterging. Die Männer beachteten mich nicht; wahrscheinlich hielten sie mich für einen langweiligen Geschäftsmann oder einen Berufspendler, der sich langweilte. So ganz unrecht hatten sie damit nicht. Wahrscheinlich nahmen sie mich nicht einmal wahr.
Theoretisch könnte ich den Mann mit der Punk-Lederjacke ansprechen und ihn fragen, ob er die Jacke geschenkt bekommen hatte oder ob er sie von früher her besaß. Aber das wäre albern gewesen, und das wusste ich. Also ließ ich es sein. Er hätte mich nicht verstanden, hätte ich möglicherweise nur angegriffen gefühlt. Und auf diese Reaktion hatte ich keine Lust.
Die 80er-Jahre sind einfach vorüber, dachte ich zum wiederholten Male und stapfte die Treppen neben der hässlichen Pizzeria hinunter. Es wurde Zeit, dass ich meinen Besuch absolvierte.
(Dieser Text wurde im Enpunkt 42 veröffentlicht, im April 2005.)
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