Mein Gegenüber sah mich verwundert an. »Und dann seid ihr wirklich durch die Straße gezogen und hab ›Arbeit ist scheiße!‹ skandiert?«
Ich nickte. »Nicht nur einmal. Aber die große Demonstration der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands in Hamburg war unfassbar lustig.« Ich verzichtete auf die Details; das alles konnte man normalen Menschen im Jahr 2020 wirklich nicht erzählen.
»Aber du arbeitest doch, hast auch damals viel gearbeitet. Wieso schreist du dann, dass Arbeit scheiße sei?«
Ich überlegte. Wie sollte ich das erklären? Ich hatte das Glück, in einem Beruf gelandet zu sein, in dem ich Dinge machen konnte, die mir sogar privat Vergnügen bereiteten: Lesen und Schreiben im Allgemeinen, Science Fiction im Besonderen. Aber das würde mein Gegenüber erst recht verwirren.
»Die meisten Leute arbeiten nicht, weil sie etwas tun, das ihnen Spaß macht«, versuchte ich es. »Sie gehen zur Arbeit, weil sie müssen und das Geld brauchen. Deshalb träumen auch so viele vom Lottogewinn; das würden sie nicht, wenn sie ihrem Job mit viel Freude nachgehen würden. Man geht zur Arbeit, und die meisten Leute hassen ihren Job – mal mehr, mal weniger. Deshalb ist Arbeit für die meisten Leute einfach scheiße.«
»Und warum demonstriert man dafür?«
Es wäre die Gelegenheit für mich gewesen, die Standpunkte der APPD herunterzubeten. Ich hätte sie zumeist noch gekannt. Aber sollte ich im Jahr 2020 von der Balkanisierung Deutschlands reden oder von manchen pogoanarchistischen Forderungen, die in den 90er-Jahren noch richtig absurd und witzig wirkten, die ich beinhart vertreten hatte? Es hätte schal geklungen.
»Weil man …«, setzte ich an und brach ab. »Weil es Punk war.«
»Das kommt bei dir zu oft. Wann immer du etwas nicht erklären kannst, war es halt Punk.«
»Ja. Hm. In einer Zeit, in der alle Parteien von links nach rechts, die Gewerkschaften und die Arbeitgeber sowieso, davon redeten, wie wichtig die Arbeit sei, war es mir eben wichtig, zusammen mit einigen anderen klarzumachen, dass Arbeit nicht der komplette Lebensinhalt sein kann. Dass es auch noch was anderes gibt neben all der Arbeiterei, die von den meisten doch gehasst wird, dass Arbeit eben nicht das Lebensziel ist, dass der alte Spruch von der wahren Arbeit und dem wahren Lohn sowieso nicht stimmt, dass das Gerede von den angeblich so hart arbeitenden Menschen alles nur eine Verarsche der Mächtigen war, und dass …«
Ich merkte, dass ich in eine wahre Predigt verfallen war. Soviel zum Wahren und Guten. Resigniert winkte ich ab. »Es war halt doch Punk.«
Mein Gegenüber wechselte nur, und wir wechselten das Thema. Auch recht.
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