Den Begriff »Dekadenzliteratur« kannte ich bis vor zwei Jahren überhaupt nicht. Dann aber fuhren wir nach Brügge, und ich packte als Reiseliteratur den Klassiker über Brügge überhaupt ein: Georges Rodenbach wurde mit seiner Novelle »Das tote Brügge« bekannt, die 1892 veröffentlicht wurde und die in Vergessenheit geratene Stadt für viele Menschen überhaupt in Erinnerung rief.
Im Europäischen Literaturverlag – ein eher hochtrabender Name, aber egal – ist die Novelle in deutscher Sprache neu aufgelegt worden. Dabei handelt es sich offenbar um die Eins-zu-Eins-Umsetzung einer Ausgabe, die irgendwann zwischen den Kriegen in deutscher Sprache erschienen ist.
Klar, der Autor sowie der Übersetzer Friedrich von Oppeln-Bronikowski sind schon lange tot, also sind die Texte rechtefrei. Aber ich will darüber nicht meckern – immerhin wird auf diese Weise ein echter Literaturklassiker zur Verfügung gestellt. Und wer sich auf die Geschichten sowie die Novelle einlässt, wird mit durchaus faszinierten, wenngleich sehr deprimierenden Geschichten zwischen Realität und Phantastik, Religion und Wahnsinn belohnt.
Die Hauptgeschichte spielt in Brügge. Dorthin hat sich Hugo Viane zurückgezogen, ein Witwer, der unaufhörlich um seine tote Frau trauert und durch die düsteren Straßen von Brügge spaziert. »Ein Hauch des Todes wehte ihn von den geschlossenen Häusern an, deren Scheiben wie im Tode gebrochene Augen starrten, von den Giebeln, deren getreppte Absätze das Wasser fast schwarz wiederspiegelte.«
Doch dann trifft der ewig trauernde Mann auf Jane, eine junge Schauspielerin, die ihn an seine Frau erinnert. Sein Leben verändert sich, es entwickelt sich fast eine Besessenheit. Wie der Witwer und seine neue Frau sich aufeinander einlassen, wie eine Beziehung entsteht und diese in immer tiefere Abgründe führt – das ist in einem düsteren Stil geschildert und endet sehr konsequent. Die Novelle ist alles andere als leichte Literatur, fasziniert aber durchaus.
Ähnliches gilt für die anderen Geschichten. Die Beschreibungen sind – der Zeit entsprechend – oft recht ausführlich; die Dialoge nicht so dynamisch, wie man das heute gewöhnt ist. Alles wirkt ein wenig betulich, man kann von diesen Geschichten auch nicht zu viel an einem Abend lesen.
Menschen, die zu Depressionen neigen, sollten von dieser »Dekadenzliteratur« sicher die Finger lassen. Wer aber Geschichten mag, die an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden sind, für den ist dieses Buch ein Leckerbissen. Ich fand es durchaus unterhaltsam, aber eben in homoöopathischen Dosen – eine Geschichte nach der anderen und immer schöne Pausen dazwischen ... Dann geht das gut!
Das klingt wirklich interessant. Gibt es übrigens auch frei, wie ich gerade festgestellt habe.
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