02 Juni 2019

Schick in die Schule

»Du repräsentierst den Verlag«, blieb der Chefredakteur ziemlich stur, »also ziehst du einen Anzug an.«

»Aber ich fahre in eine Schule«, argumentierte ich, »dort stelle ich PERRY RHODAN vor. Und wenn ich da mit Anzug und Krawatte auftauche, nimmt mich kein Mensch ernst.«

Wieder einmal waren Dr. Florian F. Marzin und ich nicht einer Meinung. Das kam häufig vor, und weil er der Chef war, konnte er seinen Willen meist durchsetzen.

Wir schrieben den Sommer 1994, und ich war seit eineinhalb Jahren als Redakteur in einer Science-Fiction-Serie angestellt. Redakteure trugen Hemden und Jacketts, Chefredakteure hatten stets eine Krawatte um den Hals. Ich lief mit Converse-Turnschuhen, ausgeleierten Jeans und T-Shirts herum; meine jeweils aktuellen Frisuren wurden höchst kritisch diskutiert.

Wenn ich einen öffentlichen Termin hatte, so die Meinung des Chefredakteurs, hatte ich seriös auszusehen. Wie ich im Büro aussah, war ihm egal; ging ich auf die Straße, sollte ich seriös sein. Das sah ich ein, wenn es um eine Buchmesse ging – da zog ich sogar einen Anzug an. Aber in einer Schule?

Nach einigem Hin und Her einigten wir uns auf einen Kompromiss, den ich eher peinlich fand: Ich zog eine beigefarbene Bundfaltenhose an, wie sie zu der Zeit modern waren, dazu Halbschuhe und ein Polohemd, das ich ordnungsgemäß in die Hose steckte. So fand mich mein Chefredakteur ordentlich genug, und ich konnte meinen Termin wahrnehmen.

Es ging in ein Gymnasium in Ettlingen, einer Kleinstadt zwischen Karlsruhe und Rastatt. Ein Lehrer hatte mich eingeladen, und er wollte, dass ich seinen Deutschschülern etwas über Science Fiction erzählte. Das ging auch gut: Ich stand in Bundfaltenhose, Halbschuhen und Polohemd vor der Klasse und versuchte den Schülerinnen und Schülern meinen Kenntnisse zu vermitteln. Sie hörten zu, sie waren interessiert.

Als ich sie bat, Fragen zu stellen, meldete sich ein unauffällig aussehender Jugendlicher aus der letzten Reihe. Seine Frage war einfach: »Sind Sie der Klaus N. Frick, der auch für das ›Zap‹ schreibt?«

Ich fiel fast in Ohnmacht. Im »Zap« schrieb ich über Demonstrationen und Punk-Konzerte, ich hatte meinen Fortsetzungsroman »Vielen Dank Peter Pank«, und ich verherrlichte ein Leben mit Krachmusik und Dosenbier. Und jetzt stand ich in den modischen Klamotten eines Mannes vor der Klasse, der gerade erst dreißig Jahre alt geworden war. Ich fühlte mich uralt und superspießig.

Weil ich schlecht lügen konnte, eierte ich nicht herum, sondern gab es zu, machte dann aber mit den Science-Fiction-Fragen weiter. Nach Ende meines Vortrags sowie der Fragerunde war die Unterrichtsstunde vorüber, alle Schüler verließen das Klassenzimmer.

Noch Jahre danach fragte ich mich, was der Jugendliche wohl von mir gehalten hatte. Und was wohl aus ihm geworden war. Hatte er sich zu einem Punk entwickelt, war er dem Vorbild des »Zap«-Magazins gefolgt, oder hatte er sich an dem bürgerlichen Karrieremodell orientiert, das ich ihm im Klassenzimmer präsentierte? Nie werde ich es erfahren …

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