Bereits im Jahr 1933 veröffentlichte der große französische Schriftsteller Georges Simenon den schmalen Roman »Die Selbstmörder«. Bei Diogenes wurde er in der leider mittlerweile vom Markt genommenen Reihe »ausgewählten Romane« als Band fünf veröffentlicht. Ich las ihn in den vergangenen Tagen und ließ mich zum wiederholten Mal in eine Geschichte hineinziehen, die traurig und spannend zugleich war.
Ein junger Mann und ein Mädchen unterhalten in einer französischen Kleinstadt eine verheimlichte Affäre, die aus wenigen Worten und ausgiebigem Knutschen besteht. So richtig gut kennen sich die beiden nicht, und dennoch flüchten sie nach Paris – weil sich der junge Mann vom Vater des Mädchens bedroht fühlt. Dort schlagen sie sich mehr schlecht als recht durch, mit Gaunereien und Gelegenheitsarbeiten.
Der Vater folgt in seiner Verzweiflung. Er versucht, seine Tochter wiederzufinden, wobei er sich auf die Hilfe eines Detektivs verlässt. Seine Suche macht ihn besessen, so sehr, dass er die Briefe seiner Frau aus der Provinz ignoriert oder gar nicht versteht.
So treiben drei Menschen durch Paris, die nichts mit ihrem Leben anzufangen wissen. Sie alle sind verzweifelt, und alles, was sie tun, treibt sie noch tiefer in die tragische Situation hinein. Man möchte sie während der Lektüre ständig alle drei am Kragen schnappen und kräftig durchschütteln – es ist ein echtes Elend.
Die Lektüre von »Die Selbstmörder« ist nicht leicht, weil die Geschichte so aussichtslos erscheint und auf ein zerstörendes Ende zusteuert. Trotzdem schafft Simenon es, die Figuren so zu schildern, dass man mit ihnen mitleidet und wissen will, wie alles ausgeht.
Dabei macht der Autor einige Dinge, die ich einem Autor normalerweise nicht verzeihe: Er springt durch die Erzählperspektiven, wechselt sie manchmal sehr hektisch; dann wieder rafft er die Handlung auf ungewohnte Weise, um später eine Szene mit allen Details zu schildern. Damit trägt er zur fiebrigen Atmosphäre dieses Großstadtromans der dreißiger Jahre bei.
Georges Simenon wirkt in diesem Roman nicht wie ein Krimi-Schriftsteller, sondern wie einer, der versucht, einen Gesellschaftsroman im kleinen Format zu schaffen. Dabei blickt er auf die »kleinen Leute«, nicht auf die Reichen und Schönen. Faszinierend.
(Übrigens: Mir war keine der handelnden Personen sympathisch. Als Leser mochte ich weder das Mädchen noch den jungen Mann und schon gar nicht den spießig-verzweifelten Vater. Sie alle haben keinen klaren Plan, sie alle vertrödeln gewissermaßen ihre Zeit und steuern alle miteinander immer tiefer in die jeweilige Krise hinein.)
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