09 Januar 2019

Soße aus dem Mund

Die zwei Paare am Nachbartisch waren das, was man »gutbürgerlich« nennen würde: zwei grauhaarige Männer, die viel und offenbar gern lachten, zwei Frauen, die auch schon angegraut wirkten. Man aß gut, man ließ sich den Wein schmecken, man hatte offenbar viel Spaß. Alle sprachen im örtlichen Dialekt, wirkten so, als seien sie gut vernetzt in der örtlichen Gesellschaft.

Normalerweise versuche ich, die Gespräche am Nachbartisch zu ignorieren. Das geht nicht immer, und so schnappte ich irgendwann Wörter wie »Seehofer« oder »Kretschmann« auf, verstand dann recht schnell, dass es um Politik ging. Danach war es um mich geschehen, und ich lauschte immer wieder zum anderen Tisch hinüber. Das ist unhöflich, aber ich konnte mich nur mühsam bremsen.

Der eine Mann sagte, er habe früher immer die SPD gewählt, und er habe immer die Öffentlich-Rechtlichen Medien verteidigt. Der andere war wohl ein CDU-Wähler, seit vielen Jahren zwar durchaus kritisch, aber dennoch von der Partei überzeugt.

Später sagte der ehemalige SPD-Wähler, dass er mittlerweile eigentlich »nur noch RTL-Nachrichten« gucke. Die seien nicht so manipulativ wie die anderen. Was er damit meinte, fragte sein Gegenüber.

Die Begründung: Bei »heute« oder der »Tagesschau« sage man nie, die AfD veranstalte einen Parteitag, sondern man sage immer, »die rechtspopulistische AfD« mache dies. Das sei eine Manipulation.

Man sage schließlich auch nicht, »die rotgrün versifften Grünen« täten dies oder jenes. Er lachte laut, das war offenbar ironisch gemeint. Ich sah zu, dass ich mich wieder auf meinen Tisch konzentrierte.

Später fiel der Name Sarrazin, und ich hörte doch wieder hin. »Man muss die Bücher lesen«, sagte der ehemalige SPD-Wähler. »Da ist jedes Wort wahr, da stimmt alles.« Alle Zitate und alle Zahlen seien belegt, alles sei wissenschaftlich korrekt.

Es war ein schöner Abend, und mein Essen und meine Getränke waren lecker, die Gesellschaft an meinem Tisch empfand ich als sehr angenehm. Trotzdem musste ich mich immer wieder darauf konzentrieren, nicht mit einem Ohr am Nachbartisch zu sitzen.

Die Leute dort wirkten sympathisch: gute Bürger in einem netten Restaurant in der Innenstadt, keine Stammtisch-Proleten. Und trotzdem troff die angebräunte Soße aus einem freundlich lächelnden Mund.

1 Kommentar:

  1. Moin moin, Klaus.
    Erinnert in der bornierten Einstellung ein wenig an Loriots "Kosakenzipfel", wo es ja auch um gutbürgerliche Tünche & Rechthaberei geht. Selbsgefällige Rechthaberei hier, weil man/frau sich in einem Restaurant auch so unterhalten kann, dass der Inhalt im allgemeinen "Rhabarbar, Rhabarbar" untergeht. Es sein denn es geht schlicht um Prahlerei.
    Anmerkenswert immer wieder, dass die willigsten Opfer von Manipulation(en) diejenigen sind, die sich vollbrüstig darüber beklagen. Kombiniert mit selektiver Wahrnehmung (das beanstandete Adjektiv wird im Zusammenhang mit der Alternative fürs Selberdenken lediglich im Zusammenhang mit konkreten, gemachten Äußerungen verwendet)hat sich an der Spießbürgerlichkeit loriot'scher Beobachtung nicht viel geändert.
    Die inhaltlich Sinnfreie Begriffskombination "rotgrün versiffte Grüne" wirkt dann doch bezeichnend.

    bonté

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