Zuerst schaut ein Mann weg, dann handelt er, um daraufhin zu schweigen und zu vertuschen. Und während alles immer schlimmer wird, drehen sich seine Gedanken in einem Kreis, aus dem es für ihn kein Entrinnen gibt. So lässt sich die Geschichte des Rangiermeisters Maloin zusammenfassen, die Georges Simenon in seinem Roman »Der Mann aus London« schildert.
Ich las das Buch an einem grauen Tag, an dem das Wetter wunderbar zur Lektüre passte. Der Roman spielt in den dreißiger Jahren in Dieppe, an einem Fährhafen, der Frankreich mit England verbindet. Er wird aus der Perspektive eines Rangiermeisters erzählt, der die meiste Zeit in einer Glaskabine über dem Hauptbahnhof sitzt, von wo aus er die Anlage gut im Blick hat.
Maloin wird Zeuge eines Verbrechens – ein Mann wird getötet und fällt in die Nordsee –, und er fischt einen Koffer mit Geld aus dem Meer. Er versteckt das Geld, anstatt zur Polizei zu gehen. Und als diese kommt, um die Spur des Täters aufzunehmen, schweigt er, anstatt zu reden. Doch sein Gewissen spricht zu ihm, es quält ihn, und alles, was er tut, macht die gesamte Lage immer schwieriger.
»Der Mann aus London« ist eine zutiefst tragische Geschichte. Ihr Held ist ein Spießer, ein Mann, der seine Frau und seine Kinder herumkommandiert ist, der sich durch das viele Geld verführen lässt und der dann zu feige ist, schnell genug die Wahrheit zu beichten. Man leidet als Leser mit ihm, man möchte ihm bei der Lektüre zurufen, er möge doch endlich innehalten und die Spirale aufhalten, die sich immer schneller dreht.
Beeindruckend sind bei diesem Roman wie immer die Beschreibungen. Dieppe wird mit all seinem Nebel und seinem Hafen so plastisch, dass man sich alles gut vorstellen kann. Die anrollenden Züge, die Schiffe aus England, die Fischer, die wenigen Kneipen – das alles zeigt Simenon lebendig.
Ich konnte mich dem Sog dieses Romans nicht entziehen und las ihn praktisch ohne Atempause. Mit nicht einmal 180 Seiten ist er sowieso erfreulich dünn; das aber könnte ein Buch sein, das ich in zwei, drei Jahren noch einmal aus dem Regal ziehe und ein weiteres Mal anlese ...
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