Es ist schon irgendwie peinlich – aber obwohl ich einen Stapel Platten der amerikanischen Punk-Band Anti-Flag besitze, habe ich sie bis gestern nie live gesehen. Ein Grund war bislang, dass die Band von Anfang an »so groß« war, dass sie nur auf Open-Air-Festivals oder in großen Hallen auftrat. Ich brauchte auch einige Zeit, bis ich mich dazu überwinden konnte, ins »Substage« in Karlsruhe zu gehen.
Das »Substage« ist einer dieser seelenlosen Konzertorte, in die es mich nicht zieht: eine Beton-Architektur, hingeschissen in ein eigentlich schönes Areal mit alten Gebäuden, von der Stadt Karlsruhe ordentlich subventioniert und trotzdem mit »Rocker«-Attitüde. An diesem Dienstagabend, 25. April 2017, ging ich zum ersten Mal zu einem »richtigen« Konzert hinein.
Der Raum wirkte gut ausverkauft; ich nehme an, dass über tausend Leute da waren. Weil ich vor der Tür mit einigen Bekannten redete, verpasste ich die erste Band. Dabei sollen The Prosecution mit ihrem SkaCore echt gut gewesen sein. Aber ich rechnete echt nicht damit, dass das »Substage« seine Konzerte so pünktlich anfangen lässt.
Radio Havanna spielten als nächste Band. In den guten Momenten erinnerte die Band an alte Wizo-Stücke, in den schlechten Momenten langweilte der poppig-melodische Punkrock sehr. Zwischendurch wurde ein Stück der Prinzen gecovert, ansonsten fand ich die Band musikalisch meist belanglos, wenngleich mit den Ansagen nicht unsympathisch.
Als Anti-Flag die Bühne enterten, war vom ersten Ton an gleich Bewegung im Saal. Okay, die Band zündete mit »Die For Your Government« gleich einen ihrer ersten Hits und legte dann kontinuierlich nach. Das textsichere Publikum sang eifrig mit, es wurde eifrig getanzt; gelegentlich wurde Crowdsurfing betrieben.
Was ich echt blöd fand, war die Manie der Band, das Publikum zu irgendwelchen Mitmach-Dingen aufzufordern. Wenn mir von der Bühne einer sagt, ich solle springen, bleibe ich halt aus Prinzip stehen. Und wenn es heißt, man solle die Hände recken oder klatschen, stecke ich sie in die Hosentasche. Punkrock hieß irgendwie nie, dass man den Aufforderungen der Band eins zu eins Folge zu leisten hat.
Immer wieder gab es Sprechchöre wie »Alerta Antifascista« im Publikum, die ich gut fand. Wahrscheinlich gehören Antifa-Parolen ebenso zum Lifestyle heutiger Konzertbesucher wie Vollbärte und Tätowierungen. (Aber seltsames Konzertverhalten gab es in den 80er-Jahren ja auch schon bei Exploited und anderen Bands ...)
Ich will nicht zu mäkelig klingen: Die Band überzeugte mit schmissiger Musik, mit einer professionellen Show auf der Bühne, die viel Spaß anklingen ließ, mit guten Ansagen und spontanen Aktionen. Am Ende wurde ein Stück von den Ramones gespielt, zwischendurch wurde stellten sich der Schlagzeuger und einer der Gitarristen mitten in das Publikum und spielten dort weiter – das war alles schon ziemlich große Klasse.
Als ich irgendwann aus dem »Substage« ins Freie kam, erhitzt und bester Laune, hatte ich das Gefühl, ein tolles Konzert erlebt zu haben. Ein Freund des Konzertortes werde ich aber trotzdem kaum werden, fürchte ich.
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