Aus der Serie »Wie mich Franz Josef Strauß politisierte«
Der Wahlkampf wurde im Frühjahr 1980 schmutzig geführt, und es war häufig auch ein Kampf der »Alten« gegen die »Jungen«. Die »Jungen« waren grün oder anarchistisch, manche auch sozialdemokratisch, eine muntere Allianz von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die Helmut Schmidt nicht gerade mochten, den Kandidaten der CSU aber richtigehend hassten.
Wer aber wagte, gegen Franz Josef Strauß zu sein, bekam häufig Ärger von Eltern, Lehrern oder irgendwelchen Polizisten. Bei Demonstrationen im Land krachte es, und wer einen »Stoppt Strauß!«-Anstecker trug, konnte in Bayern von der Schule verwiesen werden.
In Baden-Württemberg war das nicht so schlimm. Trotzdem wurde ich für meinen riesigen »Stoppt Strauß!«-Aufkleber, den ich auf meinem Schulranzen angebracht hatte, nicht nur einmal blöd angemacht. »Bisch du so a linke Sau?«, war noch das Harmloseste – aber im Nachhinein muss ich mich ja bei Leuten bedanken, die so etwas sagten, trugen sie doch dazu bei, in mir eine politisch-gesellschaftliche Anti-Haltung auszuprägen.
Das Zimmer, in dem ich mein Jahr in der zehnten Klasse abzusitzen hatte, war im neuen Schulzentrum untergebracht. Im Schulzentrum in der Nordstadt von Freudenstadt hatte man die Hauptschule – im Untergeschoss mit wenig Licht – und das Gymnasium zusammengepackt.
Unser Klassenzimmer lag genau über dem Eingang zur Schule, und mein Sitzplatz war direkt am Fenster. Ich verbrachte unzählige Stunden damit, zu diesem Fenster hinauszuschauen und mich in den Tag – oder hinaus ins Universum – zu träumen, wenn ich nicht mehr oder weniger heimlich Heftromane durchschmökerte.
Irgendwann beschloss ich, meinen Schulranzen auf das Fensterbrett zu stellen. Jeder Mensch, der auf die Schule zuging und schräg nach oben sah, nahm ab diesem Zeitpunkt den leuchtend-roten Aufkleber mit »Stoppt Strauß!« wahr. Das war ein klares Statement, und ich war stolz darauf, wenn mich jemand darauf ansprach, mir entweder Prügel androhte oder mich dafür lobte.
Franz Josef Strauß politisierte mich. Vor allem seine Fans trugen dazu bei, dass ich einen Widerspruchsgeist entwickelte. Das muss ich dem Mann gegenüber, der in diesem Monat hundert Jahre alt geworden wäre, wohl bis in alle Ewigkeit positiv anmerken ...
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