10 April 2015

Vom Leid der Historiker

Wieder einmal geht es in der Öffentlichkeit um die angeblichen Tabus, die sich um das Ende des Zweiten Weltkriegs ranken. Nachdem vor einigen Jahren das Tabu des Bombenkriegs »gebrochen« wurde – endlich durfte man wieder über das Bombardement auf deutsche Städte sprechen –, geht es jetzt um die Zivilbevölkerung im Allgemeinen.

Der Historiker Florian Huber hat beispielsweise das Buch »Kind, versprich mir, dass du dich erschießt« veröffentlicht, in dem es unter anderem um die Massenselbstmorde gegen Kriegsende geht. In einem Interview mit dem »Börsenblatt« wird er folgendes gefragt:

»Das Leid der Zivilbevölkerung war lange Zeit kein Thema, durfte es nicht sein, wegen der großen Schuld der Deutschen. Brauchte es 70 Jahre, um über diese Selbstmorde sprechen zu können?«

Der Autor antwortet, dass diese Tatsache »nie in das Bewusstsein der Deutschen vorgedrungen« sei. Und das verstehe ich nicht. Ich wuchs mit Geschichten über den Zweiten Weltkrieg auf. Geschichten über deutsche Opfer wohlgemerkt.

Es gab kein Familientreffen und kein Dorffest, an dem solche Dinge nicht diskutiert wurden. Ich erfuhr als Kind, wie »die Neger« in Freudenstadt gewütet hatten; meine Großtante erzählte mir, wie ihr Mann »bei de Franzose« verhungert sei; ein Großonkel war in Stalingrad geblieben. Und nicht nur einmal hörte ich, dass man sogar im beschaulichen Dietersweiler gesehen hätte, als Pforzheim lichterloh brannte.

Dasselbe Bild bietet sich übrigens – jenseits aller subjektiven Erinnerungen –, wenn man in Bücher aus den 60er- oder 70er-Jahren blickt. Seitenweise wird über die Vergewaltigungen deutscher Frauen und den Bombenkrieg geschrieben, während man beispielsweise den Massenmord an den Juden eher »am Rande« behandelte.

Wie angesichts der andauernden Berichte über das Kriegsende, über Vergewaltigungen, Bombenkrieg und Selbstmorde heute behauptet werden kann, es handle sich um Tabus, die unbedingt gebrochen werden müssten, verstehe ich nicht. Vielleicht bin ich in einem anderen Land aufgewachsen und habe andere Bücher gelesen als so mancher Historiker.

2 Kommentare:

  1. Bücher, die "Tabus" brechen, verkaufen sich halt besser. ;)

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  2. Diese Tabus sind eben Tabus der wissenschaftlichen Zunft.

    Darüber geredet wurde. Oft, wie du ja auch erwähnst, deutlich mehr als über die eigene Schuld.

    Darüber geforscht und geschrieben wurde kaum - auch nicht im Rahmen der alltagsgeschichtlichen Erzählwerkstätten etc., weil die ja alle in einen gegenkulturellen Kontext eingebunden gewesen sind.

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